Freitag, 19. April 2024

Archiv


Weiter Rätselraten um Pechsteins Blut

In der Causa Claudia Pechstein den Überblick zu behalten, ist derzeit nicht ganz so einfach. Der Expertenstreit darüber, ob die Blutwerte der fünffachen Olympiasiegerin auf Doping zurückzuführen sind oder doch auf eine Blutanomalie, hält unvermindert an. Pechstein kämpft an mehreren juristischen Fronten hartnäckig um ihren Ruf. Der Ausgang dieser Verfahren ist offen, allerdings zeichnen sich Tendenzen ab.

Von Grit Hartmann | 17.04.2010
    Mit verlässlicher Regelmäßigkeit lässt Claudia Pechstein die Leser ihrer Homepage wissen, wofür sie ihren Dopingfall hält: für ein Fehlurteil der Sportgerichtsbarkeit, für eine Verschwörung und einen Skandal. Seit Anfang Juli 2009, als der Eislauf-Weltverband ISU sie sperrte, präsentiert sie Versionen dieser Sicht. Auch die jüngste, die 40. Botschaft, sagt nichts anderes: "Das Kartenhaus der ISU fällt zusammen", titelt Pechstein – soll heißen: Ihre Dopingsperre wegen auffälliger Blutwerte war, obgleich bestätigt durch den Weltsportgerichtshof Cas und das Schweizer Bundesgericht, von Anfang an ein Willkürakt.

    Anlass für den Optimismus in eigener Sache bot nicht zum ersten Mal Pierre-Edouard Sottas, der Biostatistiker des Lausanner Anti-Doping-Labors. Laut ISU-Anklage trug Sottas zum Dopingurteil bei. Später teilte er Pechstein aber per Mail mit, er habe die ISU auch auf seine persönliche Meinung hingewiesen. Nach der sei ihr abnormales Blutprofil eher medizinisch zu erklären als durch Manipulation. Weil dann die ISU Sottas im Verfahren beim Cas nicht als Gutachter hörte, stellte Pechstein Strafanzeige wegen Prozessbetrugs. 430.000 Besucher will sie auf ihrer Webseite gezählt haben, als sie im Februar den harschen Vorwurf gegen die ISU verkündete.

    Nun wiederholte Sottas seine Zweifel an einem Dopingvergehen öffentlich. Er stellte aber auch seine eingeschränkte Zuständigkeit klar: Als Statistiker habe er sein Gutachten nur zur Einzigartigkeit der Pechstein’schen Blutwerte abgegeben, aber nicht zu deren Ursache. Pechstein geht darauf nicht ein. Im Gegenteil: Sie folgert kühn, ihre Strafanzeige habe neue Nahrung erhalten.

    Der zuständige Untersuchungsrichter in Lausanne sieht das offenkundig anders. Nicholas Cruchet sagte dem Deutschlandfunk, bisher gebe es kein Ermittlungsverfahren. Darüber wolle er erst entscheiden, wenn das Urteil des Schweizer Bundesgerichtes vom 10. Februar schriftlich vorliege. Mit diesem Urteil war Pechsteins Beschwerde gegen den Cas abgewiesen worden; sämtliche von ihr reklamierten Verfahrensfehler wurden verworfen. Ein erstes Indiz dafür, dass die Auskünfte von Sottas keineswegs so brisant sind wie von Pechstein dargestellt.

    Pierre-Edouard Sottas wollte Fragen zum angeblichen Prozessbetrug zwar nicht detailliert beantworten. Auf zwei Feststellungen legt er aber Wert. Erstens habe er die ISU "immer darauf hingewiesen, dass sie die Möglichkeit einer Blutanomalie untersuchen müsse – so weit sie kann". Dieser Empfehlung folgte der Weltverband: Er offerierte Pechstein 90 Tage Frist für medizinische Tests; die Athletin lehnte dies ab. Das erklärt Sottas’ zweite Feststellung: Er selbst, sagt er nämlich, fühle sich "von ISU-Funktionären nicht betrogen". Ergo: Pechsteins Versuch, den Weltverband zu kriminalisieren, mag zwar für viel Publicity gut sein – aber womöglich weniger für einen erfolgreichen Gerichtsgang.

    Skepsis ist auch für das juristische Hauptverfahren angebracht, also für Pechsteins Antrag beim Schweizer Bundesgericht, das dem Cas eine Wiederaufnahme ihrer Causa verordnen soll. Der Antrag stützt sich auf angeblich elementar neue Erkenntnisse zu einer Blutanomalie. Dieser Befund aber ist umstritten.

    Der Hannoveraner Hämatologe Arnold Ganser stufte ihn gar zur wissenschaftlich nicht abgesicherten "Verdachtsdiagnose" herab. Und eine weitere, jüngst aufgeworfene Frage mindert Pechsteins Erfolgschancen. Zwar widerlegten Gutachter überzeugend, dass die Standarddroge Epo im Spiel war. Offen ist aber, ob sich ein Blutbild wie das von Pechstein beispielsweise mit der Gabe von Wachstumshormon vereinbaren ließe. Ihr Anwalt Simon Bergmann sagt, dafür werde man den Gegenbeweis nicht antreten – wegen der "Gutachterkosten in horrender Höhe".

    Nach Lesart von Bergmann soll es nun ausreichen, dass Wissenschaftler wie Sottas eine medizinische Ursache der Pechstein’schen Blutwerte für wahrscheinlicher halten als Doping. Das bedeute nämlich, die Blutwerte würden "keinen Dopingvorwurf rechtfertigen". Deshalb komme es auch "gar nicht mehr darauf an, ob und welche Blutkrankheit" die auffälligen Ausschläge produziere. Das ist eine spannende neue Logik aus dem Lager der Berlinerin. Sie läuft darauf hinaus, dass Pechsteins Blutbild ein Rätsel bleiben darf. Ob Richter dem folgen können?