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Weiterbildung für Rettungskräfte

Ein Dortmunder Psychologieprofessor hat auf einer Straße einen verletzten Motorradfahrer gefunden. Er wollte ihm helfen, ihn beruhigen, wusste aber nicht, was er sagen sollte. In der Literatur fand er nichts und so begann er selber über Psychische Erste Hilfe zu forschen. So entstand an der Uni Dortmund der Forschungsschwerpunkt Psychische Erste Hilfe mit sehr viel praktischem Bezug.

Von Christina Bramsmann |
    Polizisten, Notärzte, Rettungssanitäter gehören zur Zielgruppe.
    Polizisten, Notärzte, Rettungssanitäter gehören zur Zielgruppe. (Unsplash / Ram Mindrofram)
    " Nach unseren Erfahrungen ist die Angst, allein zu sein, dass Schlimmste was einem Menschen passieren kann. Also: Ich bin ganz alleine, kein Mensch hilft mir. Für einen Laien heißt das, er müsste hingehen und sagen: Ich bleibe bei Ihnen, bis der Krankenwagen kommt. Zweitens, viele beklagen sich über die Zuschauer, die dann da sind und gaffen, also wäre es günstig den Zuschauern zu sagen: Treten Sie bitte zurück, es kommt hier gleich der Rettungsdienst."

    Bernd Gasch forscht seit 15 Jahren gemeinsam mit seinem Kollegen Frank Lasogga zum Thema psychische erste Hilfe. Die Erkenntnisse schlagen sich nicht nur in der Fachliteratur nieder, sondern werden gleich in der Praxis angewendet. Polizisten, Notärzte, Rettungssanitäter gehören zur Zielgruppe der Dortmunder Psychologieprofessoren. Frank Lasogga erklärt einige Regeln für die Ersthelfer:

    "Die sollten ankommen, sich mit Namen vorstellen und welche Funktion die haben. Also beispielsweise, mein Name ist Knösel ich bin Rettungsassistent. Das beruhigt die Patienten gleich und sie wissen auch, sie haben es mit der richtigen Person zu tun, die ihnen jetzt helfen wird. Eine andere Regel lautet: geben sie Informationen. Also beispielsweise nicht die Spritze in den Arm jagen, sondern erklären: Ich gebe ihnen eine Spritze, sie werden zunächst ein leichtes Kribbeln verspüren, das soll sie nicht beunruhigen, sie werden dann keine Schmerzen mehr haben."

    Die beiden Professoren reisen durch ganz Deutschland, um psychische erste Hilfe zu lehren. Aber nur, wenn die Weiterbildung der Rettungskräfte flächendeckender wird, können Langfristschäden bei allen Patienten vermieden werden, sagt Frank Lasogga:

    " Das kann sehr schlimme negative Folgen für die Patienten haben, sie können beispielsweise unter Spätfolgen leiden. Dass sie Angststörungen entwickeln, dass sie Depressionen entwickeln, so genannte posttraumatische Belastungsstörungen oder einfach unter Schlaflosigkeit oder dergleichen leiden. Manchmal sagen einem sogar die Patienten: Das war ja schon schlimm genug, was ich da erlebt habe, aber was der Arzt oder Rettungsassistent mit mir gemacht hat, das war noch viel schlimmer als der eigentliche Notfall."

    Damit die Schulung von Rettungskräften in Zukunft nicht dem Zufall überlassen bleibt, bemüht sich die Uni Dortmund, Studierende für die psychische erste Hilfe zu interessieren.
    "Der Psychologie wird oft vorgeworfen: Je relevanter eine Fragestellung ist, desto weniger hat die Psychologie zu bieten. Das muss man der Psychologie auch leider in diesem Bereich vorwerfen, es hat sicherlich viele Gründe, warum das so ist, aber die klassischen Psychotherapien, die man lernt an Universitäten, die sind für eine derartige Situation maßgeschneidert. Ich hab Minuten oder auch ein zwei Stunden, in denen ich etwas machen muss, ich muss draußen im Straßengraben teilweise arbeiten, in der Fabrikhalle in der es irre heiß ist, da sind ganz andere Qualifikationen erforderlich."

    Bei Medizinstudenten gehört die Notfallpsychologie nicht zum offiziellen Curriculum. Nicht mal die psychologischen Fakultäten in Deutschland bieten Seminare an. Die Uni Dortmund macht Angebote für Pädagogikstudenten. Allerdings auch nur sporadisch. Sabine Grabinski ist im neunten Semester und hat eine Forschungsarbeit über psychologische erste Hilfe bei Schlaganfallpatienten geschrieben. Sie weiß, dass sie noch eine Einzelkämpferin ist:

    " Ich hoffe, dass das irgendwie ein Berufsfeld wird, dass mehr Leute sich dafür interessieren, für dieses Thema, weil das doch ziemlich wichtig ist für die Zukunft, dass man den Opfern nicht nur körperlich helfen kann, sondern auch psychologisch oder psychisch."

    Es gibt keine Stellen für die psychologische Weiterbildung von Notfallmedizinern an den medizinischen Fakultäten. Dabei sind die Professoren Lasogga und Gasch dringend der Meinung, dass es sie geben müsste – denn sie kennen verheerende Beispiele aus der Praxis.

    " Da war ein Massenunfall auf der Autobahn, ein Kind wurde aus dem Auto geschleudert, der Vater wurde auch rausgeschleudert, beide sehr verletzte. Er konnte das Kind nicht sehen. Da ging ein Notarzt vorbei, der Patient fragte: Was ist mit meinem Kind? Der Arzt fragte: Trägt das Kind einen roten Anorak? Ja. Dann ist es tot, und ging weiter. Der Vater sagte dann hinterher: Meine eigenen Verletzungen hab ich vergessen, die waren nicht so schlimm. Aber diesen Dialog, der geht mir nicht aus dem Kopf. "

    Damit solche Szenen nicht öfter passieren, hoffen die Dortmunder Forscher, dass die psychische erste Hilfe bald auch an anderen Universitäten in Deutschland ein Thema wird.