Archiv


Welche Gefahr geht von der Verbreitung rechtsradikaler Schriften aus?

    Gerner: Wie können Jugendliche am besten vor radikalem Gedankengut geschützt werden? Sie gelten als besonders anfällig für rechtsradikale Botschaften. Ein großer Teil der Propaganda, der Jugendliche anheimfallen, findet im Internet statt. Darüber hinaus üben Musik- und Tonträger eine besondere Anziehungskraft aus. Viele dieser rechtsradikalen Musiken, Schriften oder Internetseiten gehen über den Tisch der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften in Bonn. Deren Leiterin Elke Monssen-Engberding ist jetzt am Telefon. Frau Monssen, ist der Markt der jugendgefährdenden Erzeugnisse so, dass Ihnen der Alarmismus der vergangenen Tage angebracht erscheint?

    Monssen: Also ich denke, das, was wir in den letzten Jahren vorgelegt bekommen haben, das ist in dem Bereich der Tonträger seit ca. 10 Jahren der Fall, dann würde ich das in vollem Umfang unterstützen. Sie haben es eben schon angesprochen – also, das, was dort verbreitet wird, ist also als ausgesprochen drastisch einzustufen. Es wird dort zum Völkermord aufgerufen, es wird dazu aufgerufen, Neger, Juden oder auch andere Bevölkerungsgruppen zu vernichten, sie ins KZ zu stecken oder ähnliches.

    Gerner: Was haben Sie denn auf den Index gesetzt?

    Monssen: Wir haben insgesamt in den letzten Jahren 365 solcher rechtsradikaler und rechtsextremistischer Schriften und Tonträger indiziert.

    Gerner: Was ist dabei am schlimmsten aus Ihrer Sicht, CDs, Schallplatten und Tonträger, herkömmliche Schriften, oder ist das Internet zu dem Medium geworden, wo das größere Gefahrenpotential lauert?

    Monssen: Ich denke mal, das wird etwa gleichrangig zu betrachten sein. CDs und auch das Internet dürften also ähnliche Gefahrenpotentiale darstellen.

    Gerner: Wissen Sie auch, wie das von den Jugendlichen genutzt wird?

    Monssen: Nein, darüber haben wir keine Erkenntnisse.

    Gerner: Woher kommen überhaupt Ihre Erkenntnisse? Wie prüfen Sie – und können Sie überhaupt verbieten?

    Monssen: Nein, verbieten können wir gar nicht. Wir können lediglich sagen: ‚Das ist für Kinder und Jugendliche gefährdend‘. Dann darf das also nicht mehr im Wege des Versandhandels nach Deutschland eingeführt werden, es darf nicht mehr in der Öffentlichkeit geworben werden und es darf an Kinder und Jugendliche nicht abgegeben werden; das heißt also, es darf auch nicht offen im Regal stehen.

    Gerner: Voraussetzung ist aber, dass der Verlag in Deutschland stattfindet.

    Monssen: Das ist richtig. Die Rechtsfolgen des GjS sind Straftaten. Das heißt also, derjenige, der gegen diese Dinge verstößt, macht sich strafbar. Die Strafverfolgung ist natürlich nur im Inland möglich.

    Gerner: Bei Internetadressen liegen die meisten Anbieter im Ausland. Ist das ein Problem?

    Monssen: Sicherlich. Ich meine, wir können in dem Bereich zwar auch indizieren, weil wir ja nur das Objekt als solches betrachten. Allerdings sind die Rechtsfolgen natürlich gerade in diesem Bereich sehr schwer durchsetzbar.

    Gerner: Die CDU hat jetzt eine Seite im Internet vorgestellt – www.netzgewalt.de. Da sollen sich Bürger melden und auf Internetseiten mit extremistischem Inhalten hinweisen. Wird damit nicht die Hoffnung erweckt, man könne rechtsradikale Internetseiten ausmerzen? Ist das so einfach?

    Monssen: Also, so einfach wird es sicherlich nicht sein. Es ist allerdings sehr sinnvoll, solche Seiten dann zum Beispiel durch geeignete Filtersysteme für Kinder und Jugendliche zu sperren.

    Gerner: An den Schulen – meinen Sie?

    Monssen: An den Schulen – zum Beispiel. Aber es gibt ja auch Filtersysteme, die zu Hause installiert werden können, so dass die Eltern die Möglichkeit haben, da den Zugang zu verwehren.

    Gerner: Wie effizient ist diese Filter-Software, die ja auch die Bundesjustizministerin für die Schulen schon vorgeschlagen hat? Gibt es sie? Ist sie effizient, und gehen nicht die Schüler dann – wenn sie es in der Schule nicht bekommen – zu ihren Freunden nach Hause ins Internet?

    Monssen: Das wird sicherlich auch der Fall sein. Aber ich denke, es ist ja sinnvoll, dass alle Beteiligten – Eltern, Lehrer und Erzieher – da zusammenwirken, um dort dieses Netz von Möglichkeiten des Umgehens in irgendeiner Form zu unterbinden.

    Gerner: Wie ist es mit den Tonträgern? Welche Wirkung üben sie aus auf Jugendliche? Was können Sie da beobachten, und hat sich deren Tenor verschlimmert?

    Monssen: Also, das ist sehr schwer zu beurteilen, ob sich der Tenor verschlimmert hat. Wir dürfen zum Beispiel nur auf Antrag tätig werden, auf Antrag der Jugendämter. Und wir kriegen also in den letzten 10 Jahren durchgängig solche Musik, wobei man also nicht sagen kann, dass sie schlimmer geworden ist. Die Aufrufe zum Völkermord, die Aufrufe, andere Menschen aus dem Land zu vertreiben, die bleiben ziemlich identisch.

    Gerner: Können Sie ein Beispiel geben?

    Monssen: Es gibt zum Beispiel Tonträger, die schon alleine vom Titel her – also ‚Hurra, Hurra, ein Neger brennt‘, ‚Türken raus‘, ‚Schrei nach Seife‘ und ähnliche Dinge – schon widerspiegeln, was denn dort alles verbreitet wird.

    Gerner: Sind die Jugendämter verstärkt in den letzten Wochen und Monaten in dieser Sache an Sie herangetreten, um Sie prüfen zu lassen?

    Monssen: Also, das Prüfvolumen bleibt in dem Bereich auch ziemlich gleich. Ich muss sagen, vor fünf Jahren hatten wir erheblich mehr aus diesem Bereich, da wurde es auch weitgehend noch in Deutschland vertrieben. Wir können jetzt beobachten, dass die Versandfirmen ihre Sitze nicht mehr in Deutschland haben.

    Gerner: Das heißt, man versucht, sich auch da zu entziehen – dem Zugriff des deutschen Gesetzes.

    Monssen: Ja, ich denke mal, man versucht, sich a) zu entziehen. Es kommt aber auch natürlich hinzu, dass man durch diese verstärkte Tätigkeit der Jugendämter und unserer Tätigkeit nicht mehr die Möglichkeit hat, die Dinge so offen über Versandkataloge und ähnliches zu vertreiben.

    Gerner: Bleibt unter dem Strich aber die Ohnmacht der Politik – nicht nur Ihrer Prüfstelle.

    Monssen: Nein, ich würde mal sagen, gerade der Vertrieb dieser Tonträger ist also in den letzten Jahren erheblich eingeschränkt worden.

    Gerner: Wo durch?

    Monssen: Dadurch, dass zum Beispiel solche Tonträger nicht mehr im Wege des Versandhandels versandt werden dürfen. Sie dürfen in diesen Katalogen nicht mehr offen beworben werden. Und wir konnten von einer Vertriebsfirma - zum Beispiel in Brühl - durchaus erfahren, dass sie also früher von Deutschland aus vertrieben hatte, was jetzt nicht mehr der Fall ist.

    Gerner: Was Sie als ‚jugendgefährdend‘ anerkennen und auf Ihre Liste tun: Wandert das zum Prüfen an den Bundesverfassungsschutz, oder wohin?

    Monssen: Also, wenn wir es als lediglich jugendgefährdend eingestuft haben, dann ist das Verfahren dann abgeschlossen. Wenn wir zu der Auffassung kommen, dass es auch strafrechtlich relevant ist, dann geben wir es an die zuständigen Stellen weiter. Das sind also im wesentlichen die Staatsanwaltschaft und die Polizeidienststellen.

    Gerner: Und wird das in der Regel dann verboten?

    Monssen: Ja. Es gibt eine Reihe von Tonträgern, die bundesweit beschlagnahmt sind.

    Gerner: In der aktuellen Diskussion – würden Sie, angesichts dessen, was Sie geschildert haben, mehr Kompetenzen, mehr Mittel für Ihre Prüfstelle fordern?

    Monssen: Nein, also ich meine, wir führen diese Verfahren seit Jahren durch. Da sind wir ausreichend mit Mitteln ausgestattet. Ich würde mir natürlich wünschen, dass wir im Internet etwas effektiver tätig sein können . . .

    Gerner: . . . was heißt das? . .

    Monssen: . . . allerdings: Lösungswege sind mir da im Moment auch nicht präsent, denn wir haben eben die Feststellung machen müssen – was ja nun auch allenthalben durch die Presse geht – dass es weitgehend aus dem Ausland in Deutschland verbreitet wird. Und wie man da also zu Lösungen kommen kann, das weiß ich halt auch schlicht nicht.

    Gerner: Das heißt aber, aus dem Internet droht die Gefahr für die Zukunft in Sachen Rechtsextremismus.

    Monssen: Ich denke, das wird sich verstärkt in dieser Form anbieten. Man kann heute schon die Tonträger, die wir indiziert und als jugendgefährdend eingestuft haben, über das Internet abrufen.

    Gerner: Elke Monssen-Engberding war das, die Leiterin der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften. Vielen Dank für das Interview.

    Link: Interview als RealAudio