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"Welche Heimat meinen Sie?"

Da kennen sie kein Erbarmen – Gert Zieglers Pferde. Mag es draußen auch stockfinster sein: Die 13 Pferde wollen raus aus dem Stall auf die Koppel. Bei Wind und Wetter. Der 36-Jährige zuckt die Schultern. Muss er halt durch. Und an sich auch gar nicht so dramatisch. Schließlich hat sich der gelernte Schreiner einen Traum erfüllt - mit seinem Reiterhof.

Von Michael Frantzen |
    Seit ein paar Jahren lebt Ziegler jetzt schon in Schaal, einem gottverlassenen Dorf mitten im Wald, rund eine Autostunde von Hermannstadt entfernt – und Lichtjahre von Brüssel und der EU. Es war eine Art Rückkehr: Ziegler hat in Hermannstadt seine Kindheit verbracht – bis seine Familie aus politischen Gründen Ende der 70er das Land verlassen musste und nach Deutschland ging.

    "Wir machen den ersten großen Trail-Ride in Rumänien. Der ist zweihundert Kilometer lang. Per Pferd. In acht Tagen. Über eigentlich dem Zentrum von Siebenbürgen. Durch alte Dörfchen, wohnen in alten Pfarrhäusern. Dahinter steckt die Sache, dass es für Ausländer – hauptsächlich Schweden, Finnen, Engländer, Franzosen – interessant ist. Die Pferdegeschwindigkeit, also vom Pferderücken aus diese Ortschaften, dieses Land, zu erleben. Das ist einfach einzigartig. Das wird sich nicht mehr lange so halten, ich denk mal, die nächsten fünf, sechs, sieben Jahre wird das noch gehen und dann werden hier auch Autobahnen gebaut. Eine soll direkt unseren Trail kreuzen, da müssen wir dann auch umdenken."

    Gar nicht so einfach, sich in Ruhe mit Maria Roth-Höppner zu unterhalten. Ständig klingelt das Telefon. Die Anfang 70jährige hebt die Arme: Kann sie auch nichts für, die Autoren, die Buchhändler – irgend jemand will immer etwas von ihr. Seit Mitte der 90er betreibt die gebürtige Hermannstädterin "Hora", einen deutschsprachigen Buchverlag, "der Neues und Historisches über Hermannstadt und Siebenbürgen herausbringt." Großartig Geld macht die gelernte Astro-Physikerin damit zwar nicht, aber: Immer noch besser, als in Deutschland zu sitzen und ihrem Mann als Rentnerin Suppe zu kochen. Sagt Roth-Höppner – und lacht.

    Wenn man so will, ist "Hora" ihr Jungbrunnen. Genau wie Hermannstadt, ihre Geburtsstadt, die sie Ende der 60er Jahre Schweren Herzens verlassen mußte, weil Ceausescu, der größenwahnsinnige Diktator, sie nach sechs Jahren Haft wegen "staatsfeindlicher Umtriebe" zusammen mit ihrer Mutter und ihrem Bruder aus dem Land ekelte. Waren halt unliebsam. Danach zwanzig Jahre Hamburg. Und immer wieder Urlaube in der alten Heimat.

    Was blieb, war das Heimweh.

    "‘91 hab ich dann einfach gesagt: Jetzt kann man wieder! Also schnell wie möglich nach Hause. Ich wollt doch gar nicht weg. Es fragen mich auch heute noch vor allen Rumänen: "Sag ehrlich, war es nicht doch besser in der Bundesrepublik?" Und da muss ich nur fragen: Ja, was verstehst du unter besser? Ja, ich hab halt vielleicht mehr Gehalt gehabt. Mehr als Summe, was aber nicht heißt, dass man da besser leben kann. Man ist ja immer nur so reich wie der Vergleich mit den anderen."

    Schlecht geht es Maria Roth-Höppner heute nicht. Sie bezieht ihre Rente aus Deutschland, von ihrem Job in der Sternwarte in Hamburg; wohnt in einer kleinen Villa samt Garten am Stadtrand von Hermannstadt; hat ihren Verlag – auch wenn der schon mal bessere Zeiten gesehen hat.

    "Am Anfang haben wir sehr viele Bestellungen bekommen von einem sogenannten Siebenbürgen-Institut. Also so Organisationen der Sachsen in Deutschland. Die also bestrebt waren, möglichst alles, was jetzt verloren geht, weil keine Menschen mehr hier sind, zu sammeln und zu publizieren. Und die haben meist vom BMI oder sonst wo her Gelder gekriegt. Und die fließen nicht mehr. Und seither kommt auch von dort nix mehr. Seitdem müssen wir jetzt sehen, dass wir entweder die Autoren selber bezahlen oder wir selber finanzieren. Also, manche Bücher haben wir selber finanziert, manche Halbe Halbe mit Autoren, also ganz unterschiedlich."

    230.000 Sachsendeutsche lebten einmal in Siebenbürgen, die ersten wurden im 12. Jahrhundert vom ungarischen König Geza dem Zweiten ins Land geholt. 1688 kam Siebenbürgen zu Österreich-Ungarn, 1918 dann zu Rumänien. Die Herrscher wechselten, die Sachsendeutschen blieben. Bis der Zweite Weltkrieg einsetzte – und mit ihm der erste Exodus. 50.000 Sachsendeutsche wurden "heim ins Reich gebracht", wie es damals euphemistisch hieß. Das Ceausescu-Regime tat danach sein übriges: Viele Sachsendeutsche wanderten wegen der zunehmenden Willkür in die Bundesrepublik aus.

    So wie Maria Roth-Höppner. Oder Gert Zieglers Familie. Leicht gefallen ist es ihnen nicht, meint der Sohn; einfach so die Familien-Wurzeln zu kappen. Nach Jahrhunderten von Jahren.

    Zurück nach Siebenbürgen, nach dem Sturz Ceausescus – das wollten die alten Zieglers dann aber auch nicht. Noch einmal ganz von vorne anfangen: Zu anstrengend. Anders ihr Sohn: Je öfter Gert Ziegler in den 90ern in Siebenbürgen zu Besuch war, desto öfter dachte er sich: Hier kannst du noch etwas erreichen. Anfang der 2000er schließlich kehrte er für immer zurück – trotz "Chaos und Bürokratie, alter und neuer Korruption."

    "Wir sind wegen eines gewissen Lebensstils hierher gezogen. Es ist Natur, es sind die Tiere. Schaal ist ein Dörfchen, wo früher um die 600, 700 Sachsen gewohnt haben. Heute leben ungefähr noch 300 Rumänen, Zigeuner dort. Zwei Sachsen sind noch übrig; etwas älter. Es ist sehr archaisch. Die Lebensweise dort ist sehr einfach. Die Leute sind Selbstversorger. Nen ganz kleiner Teil geht draußen arbeiten – in der Fabrik. Und man lebt eigentlich von der Hand in den Mund. Man hat seine Tiere, man hat seinen Garten. Es ist noch sehr, sehr altertümlich."

    Das ist es tatsächlich. Viele Häuser sind heruntergekommen, nur die Hauptstraße ist asphaltiert. Am Ortsrand haufenweise Müll. Soll sich aber bald ändern: Das zumindest haben sie Gert Ziegler im Rathaus versprochen. Müllentsorgung – für die Ratsherren von Schaal ist das ein ganz neues Konzept.

    Es gibt im Dorf noch viel zu tun, meint der Mann, der sich einen "unverbesserlichen Idealisten" nennt. Ist ja auch nicht so einfach für die meisten hier im Ort; fertig zu werden mit dem Kontrast zwischen ihrem Alltag und dem, was ihnen per Satellitenschüssel täglich ins karge Heim flimmert.

    "Das muss man sich einfach vorstellen: Dieser Kontrast. Man schaltet die Programme, genau die gleichen, die man in Deutschland auch sehen kann...bekommt man hier. Nur wenn man die Türe draußen aufmacht, tritt man in nen großes Loch. Und ich glaube, dass ist nen großes Ding, was sich hier in den letzten Jahren geändert hat; was die Leute motiviert. Auf der einen Seite kommt der große Rush über Rumänien, was Konsum und EU betrifft. Der Zug, der rauscht vorbei. Und da nen Bein drauf zu bekommen, auf diesen Zug, ist für die meisten unmöglich. Auf solchen Dörfern schon gar nicht."

    Früher – vor dem Zweiten Weltkrieg – konnten nur die wenigsten Sachsendeutschen Rumänisch. War ja auch nicht notwendig: Man blieb unter sich: Schule, Kirche, Geschäfte – alles deutsch. Das ist heute anders. Heute müssen die Siebenbürger Sachsen Rumänisch können, um über die Runden die kommen.

    Maria Roth-Höppner findet das auch gut so. Leben ja schließlich in Rumänien, da sollte man bitte schön auch die einheimische Sprache beherrschen. Sie kennt einige Rückkehrer, die auch nach Jahren nur Deutsch sprechen. Und in ihrer "sachsendeutschen Blase" leben. Das wäre nichts für die Verlegerin – auch wenn sie manchmal schon nostalgisch wird angesichts der über achthundertjährigen deutschen Kultur, die mehr und mehr verschwindet – trotz des Zuzugs.

    "Die Dörfer sind ja wirklich völlig leer. Das sind Dörfer, wo 60 Prozent Sachsen waren und jetzt sind noch vier, fünf, zehn, zwölf. Und wenn die sterben, dann ist nix mehr. Während in der Stadt waren ja immer auch mehr Rumänen. Und auch nicht so wie auf den Dörfern, wo sie ja auch extra gewohnt haben. Da hat man es also nicht so stark gemerkt, dass es so wenige sind. Man merkt es, wenn man auf den Markt geht und ins Geschäft. Das waren die deutschen Geschäfte, mit deutschen Angestellten. Auf dem Markt die sächsischen Bäuerinnen. Die sind nicht mehr."

    Ein, zwei Mal die Woche fährt Gert Ziegler nach Hermannstadt – zum Einkaufen oder um Gäste abzuholen. Er ist jedes Mal aufs Neue überrascht, wie sehr sich die Stadt in den letzten Jahren verändert hat: Der mittelalterliche Marktplatz; die Patrizierhäuser; die Stadtmauer. Alles liebevoll restauriert; sehr adrett; irgendwie auch deutsch. Doch das, meint Gert Ziegler, sei nur noch eine Hülle. Denn schon längst sei aus Hermannstadt Sibiu geworden.

    "Ich denke: Willkommen in der EU! Und: Es war mal mit Siebenbürgen. Und den Sachsen. Und es ist irgendwo Geschichte, sollte man auch so sehen."