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Welche Kompetenzen für Europa?

Heute erst recht ist die Arbeit an und für Europa kein Job, um den man sich bewirbt neben anderen, sondern tatsächlich auch und vor allem Berufung.

Von Markus Rimmele |
    Vor allem Berufung: Es klingt so einfach, was Dietrich von Kyaw da sagt. Eine gute Portion Begeisterung für Europa, und schon ist die Karriere in Brüssel geritzt. Doch der ehemalige ständige Vertreter Deutschlands bei der EU glaubt wohl selbst nicht so ganz, was er da behauptet. In der folgenden Diskussion nämlich entpuppt sich die Europa-Berufung als eher zweitrangig, wenn es um die guten Jobs in der Europäischen Union geht. In politischen Sonntagsreden wird das gern geleugnet. Auch vom neuen EU-Bildungskommissar Jan Figel aus der Slowakei. Seltsam vertraute Worte:

    Europa ist mehr als nur eine berufliche Herausforderung oder ein wichtiger Schritt in ihrer Karriere. Europa ist auch eine Berufung. In Europa geht es um die Verwirklichung von Zielen. Zu diesen Zielen gehören wirtschaftlicher Fortschritt, sozialer Zusammenhalt…

    So reden alle um das herum, was doch alle wissen. Das Profil des angehenden EU-Beamten ist in erster Linie ein Profil der harten Fakten: Einser-Absolvent, europäisch ausgerichteter Studiengang, Auslandsaufenthalte, mehrere Fremdsprachen, so viele internationale Praktika wie möglich, Arbeitserfahrung: und das alles in einem Alter deutlich unter Dreißig. Anders ausgedrückt: Wer nicht sehr früh die Karriere-Weichen nach Europa stellt, hat schlechte Karten. Da nützt dann auch keine besonders tief empfundene Europa-Berufung mehr.

    Und der Konkurrenzdruck wächst noch weiter. Die EU-Osterweiterung hat auch den europäischen Arbeitsmarkt umgekrempelt. In den Beitrittsländern erfüllen immer mehr junge Leute das europäische Job-Profil. Die Mitbewerber aus dem Osten sind eine echte Herausforderung, sagt Friederike Sabiel, die vor kurzem den Postgraduierten-Studiengang Europawissenschaften in Berlin abgeschlossen hat:

    Ich habe selbst eben in diesem Studiengang und auch sonst sehr viele osteuropäische Studenten kennen gelernt, die sehr hoch qualifiziert waren, die hervorragend Deutsch gesprochen haben und Englisch sowieso. Und die Leute haben natürlich in den letzten Jahren in der Transformationszeit gelernt, sich ganz anders zum Teil durchsetzen zu müssen, sehr flexibel auf verschiedene Situationen zu reagieren und damit natürlich auch Qualifikationen erworben. Da kann so zu sagen unsereiner, der doch relativ lange studiert meistens und dann oft auch relativ alt ist bei Studienabschluss, sich sicherlich zum Teil eine Scheibe von abschneiden.

    In den Unternehmen sind die jungen topp ausgebildeten Mittelosteuropäer längst angekommen. Nun treten sie auch als Konkurrenten in den EU-Institutionen auf. Doch die Westeuropäer lassen sie nicht so richtig zum Zuge kommen, kritisiert Andris Gobins. Er ist der Präsident der "Europäischen Bewegung Lettland" und selbst ein typischer Vertreter der gut ausgebildeten jungen Generation im Osten:

    In der Europäischen Kommission, wir steigen bei der untersten Gehaltsebene ein. Zur Dekoration werden so ein paar Spitzenkräfte irgendwo dazwischen gestellt, aber wir wissen, dass die mittleren Ebenen eigentlich die entscheidenden sind. Da hat es wirklich kompetente Menschen in Lettland. Aber es gibt zu hohe Einstiegshürden. Man verlangt mindestens zehn, fünfzehn Jahre Erfahrung in Führungspositionen. Stellen Sie sich vor, die Brüsseler, die wollen doch keine Altkommunisten dort. Aber das sind die Realitäten, die sie schaffen.

    Ohnehin können die europäischen Institutionen nur einen Bruchteil der Bewerber aufnehmen, das gilt für den Osten wie für den Westen. Was nicht weiter schlimm ist, denn der Europa-Arbeitsmarkt bietet ein breites Spektrum an Möglichkeiten. Wer keinen Platz in der klassischen Beamtenlaufbahn findet, der kann es immer noch bei den unzähligen Nichtregierungsorganisationen, Lobbygruppen oder auch in der Wirtschaft versuchen. Für all diese Tätigkeiten ist das beschriebene Europa-Profil erforderlich. Wer sich dann noch zusätzlich für Europa berufen fühlt, umso besser!