Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


Welfenschätze - gesammelt, verkauft, bewahrt

Als Prinz Heinrich von Hannover in einer Fernseh-Talkshow Ende 2005 seinem Bruder Ernst August das Verschleudern kostbarer Welfenschätze vorwarf, nahmen auch die bunteren Gazetten dieses Landes Notiz von einem Problem, das unabhängig vom Welfen-Krieg den Konflikt adliger Erben mit mancher Landesregierung ausmacht: 20.000 Kunstschätze hat Ernst August Junior damals versteigern lassen, um den Erlös in eine Stiftung zu überführen, mit der die "Güter" der Familie erhalten werden sollten. Was von diesem Welfenschatz das Land Niedersachsen für sich zurückhalten konnte, ist jetzt in einer Ausstellung des Braunschweiger Herzog Anton Ulrich Museums in der Burg Dankwarderode zu sehen.

Von Wolf Schön | 28.06.2007
    Noblesse oblige, Adel verpflichtet! Doch für die Welfen, Deutschlands ältestes Adelsgeschlecht, gilt der von Balzac in Umlauf gebrachte Mahnruf offenbar nicht. Wenn die Nachfahren Heinrichs des Löwen von sich reden machen, dann mit dem Verschleudern unersetztlicher Kunstgegenstände, die man getrost zum kulturellen Erbe der Nation rechnen kann. Zwei besonders rücksichtslose Verkäufe markieren die unrühmlichen Höhepunkte der welfischen Skandalgeschichte: die Versilberung des legendären Welfenschatzes, dessen beste Stücke 1930 in die USA verscherbelt wurden, und die Versteigerung des einzigartigen Evangeliars Heinrichs des Löwen, dessen Rückkauf 1983 deutsche Spender und Steuerzahler die damals singuläre Horrorsumme von 32,5 Millionen Mark gekostet hat.

    Was darüber hinaus von den Abverkäufen der letzten Jahrzehnte für die Öffentlichkeit gerettet werden konnte, zeigt in der Burg Dankwarderode das Braunschweiger Herzog Anton Ulrich Museum, in Betrieb seit dem 18. Jahrhundert, als das norddeutsche Herrscherhaus seine Verpflichtungen gegenüber der Allgemeinheit noch ernst nahm. Auf ganze vierzig Objekte bringt es die bescheidene Schau, die sich zur Hälfte aus Münzen und Medaillen im heutigen Besitz der Deutschen Bank zusammensetzt. Auf dem Andreastaler erinnert Georg II. daran, dass die Niedersachsen fünfmal den König von England stellten und von London aus die halbe Welt regierten, was den Prinzen Heinrich von Hannover veranlasst, im Kataloggrußwort über das kulturelle Gedächtnis seiner Familie nachzusinnen und dessen unaufhaltsamen Verlust zu beklagen.

    Der letzte Coup galt vor zwei Jahren dem Familienbesitz auf dem Stammsitz Schloss Marienburg. Drahtzieher war der allmächtige Clanchef Ernst August, verheiratet mit Monacos Prinzessin Caroline und von der Boulevardpresse wegen seiner Eskapaden als Prügelprinz verhöhnt. An zehn Tagen kamen 20 000 Objekte unter den Hammer und spülten 44 Millionen Euro in die unersättliche Kasse der Welfen. Angeblich sollte mit dem Aktionserlös das sanierungsbedürftige Schloss zu einem "Neuschwanstein des Nordens" ausgebaut werden. Bisher wurde die Elektroinstallation erneuert und ein Besuchercafé eingerichtet.

    Die Brosamen, die für das Braunschweiger Museum vom Tisch des Hochadels fielen, sind mit zwei Händen aufgezählt: Vier barocke Herrscherporträts, ein Paar Silberleuchter, ein Weinkühler, eine Partie Gläser und eine Serie Tischbein-Zeichnungen. Spitzenstücke wurden schon vor der Versteigerung für zahlungskräftigere Kunden beiseite geschafft: ein Van-Dyck-Gemälde, der sogenannte Calenberger Altar und der Prunkharnisch Herzog Heinrichs des Jüngeren.

    Vom legendären Welfenschatz, der kostbaren Reliquiensammlung aus dem Mittelalter, zeigt das Herzog Anton Ulrich Museum eine Perlmutt-Monstranz und zwei hölzerne Kästchen, die im Kunsthandel erworben wurden. Das vergoldete Reliquienkreuz stammt aus dem Berliner Kunstgewerbemuseum, in dem 1935 der unverkaufte Rest der bis nach Amerika verschifften Verkaufsausstellung untergebracht wurde. Ein weiteres trauriges Kapitel der welfischen Kunstpolitik, stellvertretend dokumentiert durch einen fein geschnittenen Johanneskopf, war der geplante Totalausverkauf der Kunstgalerie von Hannover, der 1924 in letzter Minute verhindert werden konnte. Noch 1980 ging im Bietergefecht von Sotheby's das weltweit umfangsreichste Hildesheimer Tafelsilber unter, von dem immerhin Kernbestände durch einen konzertierten Finanzierungskraftakt für Deutschland bewahrt werden konnten.

    Die Ausstellung beleuchtet erstaunlich unbeschönigt das tief verwurzelte Desinteresse der Welfen-Dynastie an der deutschen Geschichte, ohne nach den Gründen zu forschen. Vielleicht steckt hinter der ungezügelten Lust am Ausverkauf die späte Rache Heinrichs des Löwen, der im 12. Jahrhundert von Sachsen bis Bayern herrschte und den Machtkampf mit Kaiser Barbarossa dennoch so schmachvoll verlor.