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Wellershof: NSDAP hat Anmeldungen erfunden

Dieter Wellershoff ist nach Recherchen der "ZEIT" Mitglied der NSDAP gewesen. Das steht morgen im ZEIT-Magazin, in dem der Schriftsteller den Vorwurf auch bestreitet. Wellershoff hätte man nicht erwartet, denn selten hat sich ein Schriftsteller so intensiv und authentisch mit der eigenen Vergangenheit als Wehrmachtssoldat beschäftigt wie er.

Dieter Wellershof im Gespräch mit Karin Fischer | 09.06.2009
    Karin Fischer: Dieter Wellershoff ist nach Recherchen der "Zeit" Mitglied der NSDAP gewesen. Das steht morgen im "Zeit-Magazin", in dem der Schriftsteller den Vorwurf auch direkt bestreitet. In der Vergangenheit tauchten immer wieder Mitgliedskarten prominenter Intellektueller auf, darunter die von Martin Walser, Dieter Hildebrandt, Walter Jens, Siegfried Lenz oder Hans Werner Henze. Den Namen Dieter Wellershoff hätte man in dieser Reihe nicht erwartet, denn selten hat sich ein Schriftsteller so intensiv und authentisch mit der eigenen Vergangenheit als Wehrmachtsoldat beschäftigt wie er. Deshalb die Frage an Dieter Wellershoff: Wie erklären Sie sich diese Nachricht?

    Dieter Wellershoff: Ich kann es nur verstehen im Gesamtpanorama der letzten Kriegsjahre, als die ganze Partei und das ganze Führungssystem allmählich in die Irrealität versank. Es war ja so, dass die Materie, die militärische Macht, eigentlich zerfallen war und dass man sich da nur noch auf etwas berufen konnte, was imaginär war und was eigentlich erfunden wurde, und das war Einigkeit, starker Wille zum Sieg, Gehorsam zum Führer. Das ist das, was Goebbels in all seinen Reden damals gepredigt hat. Und das ist, glaube ich, natürlich von der Partei auch als ein Auftrag empfunden worden. Das bedeutet, dass sie wahrscheinlich kaum noch Anmeldungen für die Partei gehabt haben und dann welche erfunden haben, um auch sozusagen der obersten Führung zu gefallen. Das ist ja auch erwiesen inzwischen.

    Fischer: Nun sind ja immer wieder Diskussionen laut geworden darüber, ob zum Beispiel die Jahrgänge 1925 bis 1927 automatisch in die NSDAP aufgenommen worden sind. Das ist von Historikern eindeutig als ein Mythos entlarvt worden. Solche automatischen Aufnahmen hat es nicht gegeben, es gibt kein einziges Dokument, das das belegt. Was meinen Sie mit sozusagen überführt?

    Wellershoff: Da muss ich noch was dazu sagen. Das ist ein Standpunkt, der sich auf eine Aussage beruft, die der oberste Mitgliedsbearbeiter bei der NSDAP, ein Dr. Link, in der Internierung vor der alliierten Kontrollkommission gemacht hat: Es hat keine Aufnahmen ohne persönliche Unterschrift gegeben. Das ist aber längst widerlegt. Historiker wie Ulrich Wehler oder Hans Mommsen und andere haben das widerlegt. Das ist doch eine Schutzbehauptung von dem Mann gewesen.

    Fischer: Es gibt zeitgenössische Historiker, zum Beispiel Armin Nolzen, der bei dem jüngsten Fall, der im "Focus" abgehandelt wurde, genau dazu Stellung genommen hat und gesagt, es gibt keinerlei Dokumente, die diese Annahme rechtfertigen. Es sind ja auch Aufnahmeanträge zum großen Teil kriegsbedingt vernichtet worden, also von zehn Millionen NSDAP-Mitgliedern existieren nur noch 700.000 bis 800.000 Aufnahmeanträge. Diese Dokumente von damals würden uns also wahrscheinlich sowieso nicht weiterhelfen.

    Wellershoff: Also ich glaube, dass die Aussage stimmt, dass man sich auf nichts verlassen kann, dass damals in dieser Situation auch sehr viele Fakes hergestellt worden sind. Genauso wie man damals den Hitler-Gruß bei der Wehrmacht eingeführt hat nach dem Attentat, so hat man auch versucht, eine Einigkeit und Geschlossenheit der Jugend nachzuweisen. Da sind Erfindungen gemacht worden, das kann gar nicht anders sein. In meiner Karteikarte – ich habe hier nur eine Karteikarte, zu der es keine Unterschrift gibt – steht: Aufnahme 20. April 43 und Antrag 44. Also genau umgekehrt.

    Fischer: Sie haben, Dieter Wellershoff, als die SS-Mitgliedschaft von Günter Grass öffentlich wurde, sehr stark moralisch argumentiert, auch für ein genaues Erinnern. Nun sind Erinnerungen, wie wir an diesen ganzen Fällen natürlich sehen, sehr, sehr subjektiv und können auch überlagert werden.

    Wellershoff: Ja, ich meine, das weiß ja jeder, dass Erinnerung etwas Subjektives ist. Ich habe in der ganzen Zeit überhaupt niemals Anlass gehabt, in die Partei aufgenommen werden zu wollen. Ich war mit 17 Jahren beim Militär, ich war auch gar nicht auffindbar, man hätte mich gar nicht finden können. Da war man in Berlin, in Holland oder an der Ostfront oder im Lazarett in Oberschlesien oder in Bad Reichenhall. Also ich konnte gar nicht irgendwie, ich wollte es auch nicht, gefunden werden und Parteiaufnahme beantragen. Was für ein Motiv hätte es dafür geben sollen in diesem langsam zugrunde gehenden Land, wo doch jedes Prestige allmählich zusammenbrach, was die Partei vielleicht 33, 34, 35 gehabt haben könnte.

    Fischer: Wie erklären Sie sich, Dieter Wellershoff, dieses gesteigerte Interesse in den letzten Jahren an genau solchen, ich sag's jetzt mal in großen Anführungszeichen, "Fällen"? Hat es was damit zu tun, dass wir mit unserer Vergangenheit immer noch nicht fertig sind?

    Wellershoff: Das ist vor allen Dingen auch eine Torschlusspanik des Journalismus, der sagt, bald sind die letzten Zeitzeugen der damaligen Zeit tot – ich bin auch 83 Jahre alt – und da müssen wir noch mal durchgucken.

    Fischer: Der Schriftsteller Dieter Wellershoff, vielen Dank! Über Schriftsteller als Karteileichen einer immer noch nicht vergangenen Vergangenheit.