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Welt aus Klang

Dieses Jahr bieten die Donaueschinger Musiktage 18 Uraufführungen von Künstlern aus elf Nationen. Gestern Abend war einer der Höhepunkte, ein von Christoph Marthaler inszeniertes Hörtheaterstück. Sein Titel: "Fama" (Gerücht), komponiert von dem in Wien lebenden Schweizer Beat Furrer.

Von Frieder Reininghaus |
    Dionys, der Tyrann - eben jener, den Friedrich Schiller in der Ballade von der "Bürgschaft" besingt - habe sich bei seinen Ermittlungen gegen potentielle Kontrahenten der akustischen Besonderheit bedient, die eine der natürlichen Höhlen von Syrakus aufweist.
    Nach Auskunft der heutigen Fremdenführer ließ der Diktator Verdächtige am niedrigen dunklen Ende des trichterförmig geschwungenen Hohlraums in Gewahrsam nehmen, ordentlich mit Wein bewirten und von verdeckt eingesetzten Ermittlern in Gespräche verwickeln. Die pflegte er zu belauschen - selbst Geflüstertes ist noch aus einer Distanz von mehr als fünfzig Schritt zu verstehen. Der Schall pflanzt manchen Namen fort und zeitigte - in Form des Gerüchts - einst häufig immer wieder schlimme Folgen (dergleichen kann, den Göttern sei Dank, in einem modernen Rechts- und Medienstaat niemals vorkommen).

    Fama, das lateinische Gerücht, stellte sich die Antike durchaus personifiziert vor. Die Dame habe, so Ovid, in einem ehernen Gehäuse am Mittelpunkt der Welt residiert, von wo aus - just wie in Syrakus - sich noch die entferntesten Gespräche mithören ließen. Ja, Fama habe ihre Ohren dank der mythologischen Beschaffenheit ihrer Behausung, immer und überall in Anschlag bringen können. Welch ein wundersamer Vorwurf für eine Komposition, die sich mit der unscharfen Ausbreitung scharrender musikalischer Impulse befasst - mit einer Art von Fortspinnung, die wie zufällig anmutet und selbst durch verschlossene Wände, sogar von der ihrer Ursprungsquelle gegenüberliegenden Seite vordringt!
    Beat Furrer aus Schaffhausen, Gründer des Klangforums Wien, Kompositionsprofessor in Graz sowie Nebenerwerbslandwirt auf den Feldern mythengenährter Neuer Musik, hat zu der von Ovid mitgeteilten Mär der Fama ein ausladendes Tongemälde entworfen. Das erinnert womöglich an ein barockes Altarbild, das episodisch Schrecken, Erleuchtung und Erhebung eines Heiligenlebens verknüpft - bei Furrer jedenfalls scheint sich die Fama aus ihren dunklen antiken Angründen zu erheben zu lichten Klangschönheiten. Dass die klangfarbenfrohe Partitur auch mit einigen Text-Sequenzen aus Arthur Schnitzlers "Fräulein Else" angereichert wurde, mag sich dem Wiener Klangforumshintergrund der Produktion verdanken, erscheint aber dramaturgisch gänzlich unmotiviert.
    Christoph Marthaler konnte mit den Fluchtgedanken einer jungen Frau, die ein hässliches Entchen des Stadttheaters aufsagte, nichts Rechtes anfangen. Auch wirkt Marthalers Regie ohne Anna Viebrocks Raumgestaltung irgendwie, als seien noch nicht einmal 60 Prozent Marthaler drin. Den von blauen Lamellen umschlossenen Raum, in den die Hörer gepfercht wurden als wäre Schafauktionstag in Donaueschingen, bediente er zurückhaltend: Die Ausbreitungsformen, Verschiebungen und Verlagerungen des musikalischen Gerüchts haben Vorfahrt und nur gelegentlich erinnert eine schreckhaft auf- oder umgeschlagenes Wandelement daran, dass der Hörer mit einem inszenierten Konzert konfrontiert ist. Die Raumgestaltung der LIMIT-Architekten erinnerte an evangelische Gemeindesäle der 60er Jahre und war gewiß teuer.

    Indem Beat Furrer, der auch selbst dirigierte, auf frühere, gleichfalls auf Inszenierung gerichtete Kompositionen wie seinen auch schon von Ovid inspirierten "Narcissus" oder sein gleichfalls dunkel raunendes "Begehren" zurückgriff, mag der 51jährige Klangsensibilist so etwas wie ein opus summum intendiert haben. Das Verhaltene und Verblasene der zwei Bassklarinetten und der von Eva Furrer inszenierten Kontrabassflöte gehört zu den betörend schönsten Momenten der zu Beginn dieser Saison neu präsentierten Werken. "Das ist die Gegenaufklärung", murmelte ein im Kaiserstuhl ansässiger Kompositionsprofessor in der Reihe hinter mir. Selbst wenn dies Gerücht aus Neid ins Dunkel gewispert worden wäre: es ist was Wahres dran. Wie leider an so vielen Gerüchten.