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Welt-Braille-Tag
Barrierefreiheit im Fernsehen hat Entwicklungspotential

In vielen Fernsehsendern gibt es eigens Redaktionen, die für die Untertitel in Live-Sendungen sorgen. Mit den Angeboten für Menschen mit Hörbehinderungen wollen vor allem die öffentlich-rechtlichen Sender barrierefreie Zugänge schaffen. Doch das gelingt nur teilweise.

Von Daniel Bouhs | 04.01.2018
    Die Bloggerin Julia Probst
    Öffentlich-Rechtliche können sich bei der Untertitelung verbessern, findet Inklusionsaktivistin Julia Probst. (DLF/Sturmberg)
    Präzise und völlig nüchtern - so füttern die Mitarbeiter der ARD-Untertitel-Redaktion eine Software zur Spracherkennung. Vor ihnen steht ein Mikrofon. Auf dem Ohr hören sie über Kopfhörer das Live-Programm ab. Emotionale Kommentare und Interviews, bei denen sich Gesprächspartner ins Wort fallen - die Spracherkennung würde hier scheitern. Deshalb: eine geschulte Stimme dazwischen. Im Schichtbetrieb. Mit dabei ist auch Christoph Rewicki:
    "Wir sind froh - Komma - dass wir so früh gestartet sind. Das gibt den Jungs’ Selbstvertrauen."
    Die Software schreibt schneller als der Redakteur tippen könnte. Rewicki hat sie vorher mit Fachvokabular trainiert: mit den Namen internationaler Sportler etwa und dem Fachvokabular ihrer Szene. Dennoch macht die Software zwischendurch Fehler - bei etwa jedem zehnten Satz. Der Redakteur muss das sofort korrigieren - binnen weniger Sekunden. Auf einem Kopfhörer läuft gleichzeitig das Programm weiter.
    "Die größte Herausforderung ist, viele Dinge gleichzeitig zu tun. Ich muss ja hören, was gesprochen wird. Ich muss das in meinem Kopf verarbeiten. Ich muss das wiedergeben. Ich muss dann schauen: Macht die Spracherkennung das richtig? Und ich muss es rausschicken. Und das alles in einem Zyklus, der immer fortlaufend ist. Das hält man auch nicht allzu lange durch."
    Gebärdensprache zu selten im Einsatz
    Untertitelung ist ein boomendes Geschäft: Mit der Umstellung von der Rundfunkgebühr auf den Rundfunkbeitrag müssen mehr Menschen mit Behinderungen für ARD, ZDF und Deutschlandradio zahlen. Auch deshalb haben die öffentlich-rechtlichen Sender ihre sogenannten barrierefreien Angebote ausgebaut. Im Ersten und Zweiten wird - von Werbung abgesehen - inzwischen praktisch alles untertitelt. Die Dritten ziehen nach. Und auch Spartensender wie Phoenix erschließen immer mehr Programmflächen für Hörgeschädigte.
    Die Betroffenen freut das natürlich. Trotzdem sind nicht alle zufrieden. Julia Probst, die sich selbst als "Inklusionsaktivistin" bezeichnet, ist immer wieder auch mit Senderverantwortlichen in Kontakt. Sie stört sich etwa daran, dass Gebärdensprache zu selten im klassischen Fernsehen zum Einsatz kommt. Und dass ARD und ZDF bei der Untertitelung das Gesagte zusammenfassen - kritisiert sie in einem Gespräch, bei dem eine Gebärdensprachendolmetscherin übersetzt hat:
    "Ich kann ja Lippen lesen - wenn sie denn im Bild sind. Dann merke ich gerade bei Livesendungen: Die Untertitel sind oft sehr stark verkürzt. Dabei könnte man Sendungen wie Talkshows doch einfach leicht verzögert ausstrahlen - vielleicht um 30 Sekunden. Dann könnten die Untertitelredakteure sie auch eins zu eins untertiteln. Man würde den Stress rausnehmen, unter dem sie stehen. Das wäre für alle ein Vorteil."
    Politiker zu untertiteln ist eine Herausforderung
    Bei den Sendern aber heißt es: Live sei nun mal live - und eben nicht: verzögert. Da müsse zusammengefasst werden, nicht nur der Lesbarkeit wegen, sondern auch, um hinterherzukommen. Untertitelredakteur Rewicki:
    "Für uns ist wichtig, den roten Faden wiederzugeben, so dass man den Inhalt mitbekommt."
    Aber ja, sagt der Untertitel-Redakteur: Das sei manchmal richtig schwierig, auch bei Zusammenfassungen. Vor allem in Talk-Shows:
    "Gerade bei Politikern ist es nicht immer einfach, weil sie viele Schachtelsätze bilden, wo die Kernaussage dann erst am Schluss kommt. Da müssen wir immer schauen, dass wir den Inhalt wirklich sehr genau erfassen, weil das auch Aussagen sind, die eine hohe Wichtigkeit haben."
    Fehler passieren, sagt der Redakteur – und empfiehlt die Mediathek: Hier würden Untertitel noch mal korrigiert.
    Während die Öffentlich-Rechtlichen bei der Untertitelung inzwischen einen immensen Aufwand leisten, hinken die Privatsender noch weit hinterher. Aber: Auch hier tut sich etwas. Die Mediengruppe RTL - zu der etwa auch VOX gehört - will nun im Durchschnitt immerhin pro Tag zehn Stunden untertiteln - von Soaps wie "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" bis Shows wie "Ich bin ein Star – holt mich hier raus".
    Probst: "Öffentlich-rechtliche können sich bei Privaten etwas abschauen" (*)
    Julia Probst gefällt das. Bei Fußballspielen hat sie die Untertitel der Privaten bereits zu schätzen gelernt: "Die untertiteln wirklich, was gesagt wird, und werfen dabei etwa mit Fußballbegriffen nur so um sich. Bei ARD und ZDF hat man das so gut wie nie."
    Nach Probsts Geschmack könnten sich Öffentlich-Rechtliche hier etwas bei den Privaten abschauen. Was die Abdeckung des Programms mit Untertiteln angeht - da macht Christoph Rewicki und seinen Untertitel-Kollegen aber niemand etwas vor.
    "Wie ist es für - groß - Sie - Komma - wenn der erste Schnee kommt - Fragezeichen. Fühlen Sie sich dann erst wieder wohl - Fragezeichen. "

    (*) Die ursprüngliche Zwischenüberschrift " Öffentlich-rechtliche können von Privaten lernen" haben wir in der Ursprungsversion dieses Beitrags an der falschen Stelle platziert und die Quelle der Aussage nicht genannt.