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Welt voller Sauerstoff

Biologie. Vor 380 Millionen Jahren gelang der Natur eine folgenreiche Erfindung: Bäume. Vor etwa 300 Millionen Jahren sorgten sie dafür, dass der Sauerstoffgehalt in der Luft auf rund 30 Prozent kletterte, heute sind es nur 21 Prozent. Auf die Tierwelt hatte das gigantische Auswirkungen.

Von Dagmar Röhrlich |
    Libellen brachten es auf eine Spannweite von 70 Zentimetern, und ein Kakerlaken-Ahne erreichte eine Größe von einem halben Meter. Vor rund 300 Millionen Jahren waren Insekten und ihre Verwandten sehr viel größer als heute. Die Ursache soll in der Luft gelegen haben: Damals waren Bäume eine recht neue Erfindung der Evolution, und dass sie mit der Photosynthese den Kohlenstoff aus der Luft in Biomasse - sprich: Holz - verwandelten, hatte Folgen:

    "Als das Holz begraben und Kohle daraus wurde, entzog das der Luft den Kohlenstoff, weil die Mikroben noch nicht den Trick beherrschten, Holz wieder zu zersetzen. Gleichzeitig produzierten die großen Bäume gewaltige Mengen an Sauerstoff, der sich in der Luft ansammelte. Unsere Berechnungen haben ergeben, dass der Sauerstoffgehalt in der Atmosphäre damals bei etwa 30 Prozent gelegen haben muss."

    Und nicht bei 21 Prozent wie derzeit, erklärt Robert Berner von der Yale University. Die Theorie vom hohen Sauerstoffgehalt macht Furore. In Experimenten verdoppelten moderne Insekten ihre Größe, wenn sie mit 30 Prozent Sauerstoff aufwachsen. Das könnte erklären helfen, warum ein Tausendfüßer namens Arthropleura zweieinhalb Meter groß wurde. Könnten aber die Wirbeltiere, die gerade gut das Festland erobert hatten, unter solchen Bedingungen überleben? Um das zu prüfen, experimentiert John VandenBrooks von der Yale University mit den Gelegen des Mississippi-Alligators:

    "Alligator-Eier sehen aus wie Hühnereier, nur dass sie ganz symmetrisch sind. Wir nehmen für ein Experiment nur Eier aus einem Gelege, damit die Unterschiede möglichst gering sind."

    Dutzende von Eiern werden über Tanks verteilt und dann bei Sauerstoffgehalten zwischen 16 Prozent bis 35 Prozent ausgebrütet.

    "Jede Woche nehme ich einige Eier heraus und analysiere die Knochenstruktur der Embryonen. Unsere Resultate vergleichen wir dann mit fossilen Knochen. Es geht um Charakteristika wie den Phosphatgehalt, die Knochendichte oder um Wachstumsraten."

    Das Ergebnis: Die Knochenstruktur gleicht der der Fossilien frappierend - jedenfalls bei Sauerstoffwerten von bis zu 27 Prozent. Bis in diesen Bereich entwickeln sich die Embryonen besser als unter modernen Bedingungen.

    "Anscheinend haben die Knochen eine höhere Dichte, und es wurde mehr Phosphat eingelagert. Die Embryonen waren schneller reif zum Schlüpfen und wogen mehr. Die Erklärung ist wohl die, dass mit einem höheren Sauerstoffgehalt in der Luft auch der Stoffwechsel schneller wird. Dann wachsen die Embryonen im Ei schneller."

    Bei Sauerstoffgehalten von mehr als 27 Prozent verliert sich der positive Effekt. Ab etwa 30 Prozent tauchen sogar negative Erscheinungen auf:

    "Wenn der Sauerstoffgehalt auf 30 bis 35 Prozent ansteigt, sehen wir in den Lungen und in den Muskeln immer mehr Rötungen. Die Gewebe verbrennen regelrecht. Gleichzeitig steigt mit dem Sauerstoffgehalt auch der Anteil an Ozon und an freien Sauerstoffradikalen in der Luft, die die Zellen attackieren. Der Körper muss immer mehr Antioxidantien verbrauchen, um damit fertig zu werden."

    Also wachsen die kleinen Alligatoren immer schlechter. Das ist das Ergebnis für moderne Reptilien. Weil aber vor knapp 300 Millionen Jahren die Amphibien und dann auch die ersten Reptilien viel Zeit hatten, sich an den höheren Sauerstoffgehalt in der Luft anzupassen, könnten 30 Prozent damals wohl möglich gewesen sein. Als nächstes möchte John VandenBrooks herausbekommen, wie es den Fischen ergeht, die in einer Welt voller Sauerstoff aufwachsen. Auch sie, davon ist er überzeugt, müssten das schaffen.