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Weltall, Sex und Formel 1

Michael Douglas als schwuler Entertainer "Liberace", Daniel Brühl als Nikki Lauda und Sandra Bullock allein im Weltall - drei besonders empfehlenswerte Filme starten in den Kinos. Herausragend: Steven Soderberghs "Liberace" - eine Metapher auf die Abgründe des Show- und Filmgeschäfts.

Von Hartwig Tegeler | 02.10.2013
    "Und was hat er unter der Haube? 490? - Nein, nein, 450. - Das ist zu wenig. Wir brauchen 500."

    Um noch schneller im Formel-1-Wagen im Kreis zu fahren. - Rennsport. Big Business? Und: Lebensgefährliche Spiele großer Jungen? Archaisches Kräftemessen? Oder wie Formel-1-Wagen-Fahrer James Hunt im Film "Rush" über diese schnellen Kisten sagt: Ist doch bloß ein Sarg, […]

    "[…] durch den leistungsfähiger Kraftstoff fließt. Und der 270 Kilometer pro Stunde schnell ist. Wenn man es genau nimmt, ist es eigentlich ne Bombe auf Rädern."

    Nürburgring 1976. Regisseur Ron Howard zeigt in "Rush" den legendären Kampf zwischen Niki Lauda - gespielt von Daniel Brühl - und James Hunt - "Thor"-Darsteller Chris Hemsworth -, kurz, nachdem Niki Lauda seinen verheerenden Unfall hatte, den er mit schwersten Verbrennungen überlebte. Schnell saß er dann wieder im Cockpit seines Wagens. Ron Howard zeigt seine Rennwagenfahrer als Wahnsinnige und Träumer, als Menschen, die bereit sind, für ihre Besessenheit zu sterben. Das wird in "Rush" weder denunziert noch glorifiziert, sondern solide wie packend erzählt. Im Mittelpunkt komplexe und spannende Charaktere - und das ist nun wahrlich eine Menge mehr, als das brüllende Blockbuster-Kino sonst bietet.

    "Rush" von Ron Howard - empfehlenswert.

    "Explorer, hier ist Houston. - Houston, ich höre. - Mission abbrechen."

    Routinemission im All. Der altgediente Astronaut Kowalski, George Clooney, und das Greenhorn, die Ingenieurin Ryan Stone, Sandra Bullock, spielt sie eindrucksvoll - im Orbit bei Wartungsarbeiten außerhalb des Shuttles. Plötzlich fliegen Trümmerteile durchs All. Die Katastrophe.

    "Houston, ich habe Sichtkontakt zu Dr. Stone verloren."

    Kontakt zur Erde reißt ab, Stone und Kowalski nur durch ein dünnes Kabel verbunden, schwerelos, hilflos im Raum. Das ist die Geschichte von Alfonso Cuaróns 3D-Film "Gravity". Aus dem Zwei-Personen- allerdings wird bald ein Ein-Personenstück: Eine Frau im All, …

    "Houston, hören Sie mich?"

    … die versucht, auf die Erde zurückzukommen. Nur das. Keine Aliens. Keine monumentalen Schlachten zwischen Raumkreuzern. Nur ein Mensch, verloren im Raum.
    Kino, das ist Bewegung, Bewegung im Raum, hier im grenzenlosen, unendlichen All. Um das zu erzählen, braucht man kein 3D, das haben "Odyssee im Weltraum" und die anderen Klassiker des Science-Fiction-Genres bewiesen. Aber Alfonso Cuarón zeigt, dass 3D-Kino eine berauschende Erfahrung bieten kann, wenn die Dreidimensionalität wie bei "Avatar" oder jetzt bei "Gravity" beispielsweise zum integralen Bestandteil der Geschichte wird. Wir spüren in der ersten Viertelstunde von "Gravity", wenn wir noch quasi nicht gewöhnt sind an diese 3D-Bilder des Alls, Grenzenlosigkeit, die keinen Halt, keine Begrenzung findet. Eine Urangst wird bei uns freigesetzt. Was soll der Mensch eigentlich da draußen, wo es keinen Boden unter den Füßen gibt. So entsteht über sinnliche Empfindung die Identifikation mit der Hauptfigur Ryan, die verloren geht im All. Hier wird Kino einzigartig zur Körpererfahrung. Was für ein Science-Fiction-Film!

    "Gravity" von Alfonso Cuarón - magisch, meisterlich.

    "Achtung, Jungs! Jetzt seid ihr dran!"

    Liberace haut auf die Tasten. Das Publikum geht mit.

    "Hey"

    Liberace, der Show-Superstar, der in den 1970er-Jahren ein hedonistisches Leben in Luxus und Pomp führte. Seine Villa zierten allein 30 Pianos. Ein begnadeter Entertainer, der den Sex mit jungen Männern liebte. "Liberace", Steven Soderberghs Film, heißt im Original "Behind The Candelabra". Hinter dem Kronleuchter. Also der Bereich, in den das Licht des Glamours nicht mehr fällt. In diese Schattenbereiche, auch der Beziehung zwischen Liberace und seinem viel jüngeren Liebhaber Scott, schaut Steven Soderbergh in seinem Film. Es wirkt wie eine Satire, wohl eher Realsatire, wenn Soderbergh die unendlichen Anstrengungen von Liberace und seinem Geliebten Scott zeigt, Homosexualität zu verbergen und eine Illusion von ewiger Jugend sowie eines quasi nachgelifteten Lebens zu präsentieren - Mittels Skalpell, einer Pillen-Armada und viel, viel Geld.

    "Und dann, Jake, möchte ich mit Ihnen noch gern besprechen, was wir bei Scott machen lassen. - Alles ist machbar."

    Michael Douglas und Matt Damon als schwules Paar geben in Steven Soderberghs "Liberace" eine grandiose Performance mit geföntem Haar überm Pelzmantel. Doch Soderbergh vermeidet jedes Tuntenklischee, wenn er diese absurde wie in ihrem Kern brutale Glitzer- und Glamourwelt zeichnet. Er nimmt vielmehr die Lebens- und Sexgier dieses alten Entertainers und den Wunsch seines jungen Liebhabers, vom Luxuskuchen abzubeißen, ernst. Und so wird "Liberace" zu einer bösen und überzeugenden Metapher auf die Abgründe des Show- und Filmgeschäfts.

    "Liberace" von Steven Soderbergh - herausragend.