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Weltallrekordverdächtige Kruste

Physik. - Neutronensterne sind maximal 20 Kilometer groß, dabei aber noch schwerer als unsere Sonne. Ein US-Physiker hat so einen Neutronenstern nun nachgebildet – wenn auch nur im Computer. Dort besteht die Kruste der Sternenleiche aus dem mit Abstand härtesten Material der Welt.

Von Frank Grotelüschen |
    "Take a sun and collapse it to 20 km across!”"

    Man nehme eine Sonne und lasse sie in sich zusammenstürzen – und zwar bis auf eine Größe von 20 Kilometern. So lautet das rabiate Rezept, nach dem sich Physiker wie Charles Horowitz die Entstehung eines Neutronensterns vorstellen. Horowitz, Professor an der Indiana University in den USA, stellte sich vor einiger Zeit eine ziemlich merkwürdige Frage.

    ""Uns interessierte, welche Eigenschaften die Kruste eines Neutronensterns hat, also die äußere, etwa einen Kilometer dicke Schicht. Insbesondere fragten wir uns, ob diese Kruste so stark ist, dass es auf dieser kleinen Welt womöglich Berge geben könnte."

    Berge auf einem Neutronenstern? Das klingt absurd. Schließlich geht es um ein unvorstellbar kompaktes Himmelsgebilde. Sein Gravitationsfeld ist sagenhafte 200 Milliarden mal stärker als das der Erde. Und ein Teelöffel Neutronenstern würde mehr als 10 Millionen Tonnen wiegen. Um dennoch die Neutronensternkruste unter die Lupe nehmen zu können, simulierte sie Horowitz mit einem Supercomputer.

    "Wir haben im Rechner simuliert, wie die Kruste bricht. Und zwar haben wir ein winziges Stück der Kruste so stark belastetet, dass es auseinander brach. Das Ergebnis: Die Kruste eines Neutronensterns ist extrem fest. Sie ist viel stärker als alle bekannten Materialien – zehn Milliarden Mal fester als Stahl."

    Stahl besteht letztlich aus Atomen. Jedes dieser Atome ist chemisch nur an seine unmittelbaren Nachbarn gebunden. Die Kruste eines Neutronensterns dagegen besteht unter anderem aus Eisenionen und Elektronen – Teilchen, die zum Teil stark elektrisch geladen sind. Und aufgrund des extremen Gravitationsdrucks haften sie nicht nur mit ihren nächsten Nachbarn zusammen, sondern auch mit den übernächsten, den über-übernächsten und so weiter. Dadurch bildet sich ein vielfach gebundenes System, das bombenfest zusammenhält. Eine originelle Theorie. Aber lässt sie sich auch beweisen? Horowitz:

    "Ja. Wir glauben, dass es auf einem Neutronenstern zu Sternbeben kommen kann, so wie es bei uns Erdbeben gibt. Bei so einem Sternbeben würde die Kruste aufbrechen. Doch wenn diese Kruste so fest ist wie wir glauben, dann müsste ein Beben, das diese Kruste aufzubrechen vermag, extrem viel Energie enthalten. So ein energiereiches Sternbeben müsste dann starke Gammastrahlen-Blitze erzeugen. Und einige solcher Blitze haben wir schon mit Spezialteleskopen beobachtet."

    Zumindest Indizien, dass an der Theorie etwas dran ist, gibt es also. Und wenn die Kruste tatsächlich so fest ist, wie Horowitz glaubt, könnte es auf einem Neutronenstern trotz der enormen Schwerkraft sogar Berge geben.

    "Diese Erhebungen dürften allerdings maximal einen Zentimeter hoch sein. Doch bei so einer enormen Gravitation wäre ein Zentimeter schon ziemlich hoch. Ich glaube kaum, dass man in der Lage wäre, da hinaufzukraxeln."

    Und auch diese Theorie ließe sich überprüfen, meint Horowitz. Denn die uns bekannten Neutronensterne haben die Eigenheit, sich einige hundert Mal pro Sekunde um ihre eigene Achse zu drehen. Ein Berg sollte sich dabei als massive Unwucht äußern – und den Neutronenstern überspitzt formuliert taumeln lassen wie einen Brummkreisel. Dieses Taumeln müsste dann laut Albert Einstein die Raumzeit regelrecht verbiegen, und dadurch würden sogenannte Gravitationswellen ausgesandt. Horowitz:

    "Es gibt in den USA und in Europa einige Großdetektoren für Gravitationswellen. Diese Detektoren sind im Prinzip empfindlich genug, um die größten Berge nachzuweisen, die es theoretisch auf Neutronensternen geben kann. Und da man die Empfindlichkeit dieser Detektoren noch steigern will, werden die Chancen für eine Entdeckung steigen."

    Interessante Nachrichten also auch für jene Forscher, die mit ihren Detektoren verzweifelt nach den Gravitationswellen suchen. Die nämlich sind bislang noch gar nicht direkt nachgewiesen. Und vielleicht wird nun das erste Signal von einer Beule auf einem Neutronenstern kommen.