Schossig: Christiane Vielhaber, Sie haben sich das angesehen im Macke-Haus in Bonn. Man sagt, es seien Ludwig Meidner damals formal inhaltlich, höchst eigenständige, nachhaltige, beeindruckende Werke gelungen, Beiträge zur expressionistischen Kunst in Deutschland. Was meinen die Kunsthistoriker eigentlich damit?
Vielhaber: Gemeint ist damit, dass er weder zu den Expressionisten gehört, die heute teuer und berühmt sind – was er nie geworden ist – nämlich die Künstler von "Der Brücke" und "Vom blauen Reiter". Gemeint ist damit, dass er geschielt hat und mit dem ganzen Herzen, mit dem ganzen pathetischen Herzen, das ihm zu eigen war, geschielt hat auf die Großstadtfaszination der Futuristen. Er hat 1912 in Berlin die erste deutsche Ausstellung der Futuristen in der Galerie "Der Sturm" gesehen und es muss ihn sehr, sehr beeindruckt haben. Er hat 1914 in einem Pamphlet sozusagen, wo er über die Anleitung zum Malen von Großstadtbildern schreibt, in einem Pamphlet gerade die Brückenmaler angegriffen mit ihrem Atavismus, und er hat gesagt, wir sind keine Neger oder keine Christen des frühen Mittelalters, wir sollen uns nicht in die Natur zurückziehen und so tun als gäbe es diese Großstadt nicht, als gäbe es dieses Vibrato nicht, dieses Vibrieren, diese Beschleunigung mit allen negativen Folgen. Anfangen tut er aber doch harmlos, was jetzt die Ausstellung im Macke-Haus auch deutlich macht. Er fängt 1910, 1911 an mit harmlosen Vorstadtlandschaften, wo man noch nicht sieht, dass da irgendwo etwas Expressionistisches ist. Es sind Spree-Landschaften, Hafenlandschaften. Es könnte irgendwo und alles mögliche sein. Dass da schon im Vorfeld etwas passieren wird, ahnt man hier noch nicht. Damals war er schon vorher in Paris gewesen, 1907, 1908, hatte zum Beispiel Amedeo Modigliani kennen gelernt, hatte praktisch im Nebenhaus von Picasso gelebt und gearbeitet, als Picasso seine berühmten "Les Demoiselles d'Avignon" gemalt hatte. All das spielt aber für ihn keine Rolle, und er findet dann seinen Weg durch diese Kunstgeschichte wirklich in diesem "Großstadt Berlin". Es sind Arbeiten dabei von 1913, 1914 von der Potsdamer Straße. Sie denken die Häuser seien betrunken, die Häuser würden taumeln, einstürzende Neubauten und das, was auf der Straße los ist, ist unglaublich.
Schossig: Aber es spielt zunehmend Kriegserlebnis, Pazifismus, Religiosität in sein Werk hinein. Welche Rolle spielen die in seinem Bilderkosmos?
Vielhaber: Da muss man sagen, dass er wirklich ein Visionär war, dass er seine apokalyptischen Landschaften, die er selber so genannt hat, gemalt hat, beziehungsweise gezeichnet hat oder als Graphik veröffentlicht, vervielfältigt hat bevor der Erste Weltkrieg ausbrach. Dann kommt eine sehr homoerotische Beziehung zu dem Dichter – er war ja selber auch Dichter – Ernst Wilhelm Lotz hinzu. Mit ihm geht er noch 1914 nach Dresden, und sie wollen gemeinsam etwas aufbauen. Der Lotz geht freiwillig in den Krieg und stirbt in den ersten Kriegstagen. Das hat Meidner wohl nie wirklich verwunden. Meidner wird danach auch eingezogen, 1916, aber nicht an die Front; er ist niemals an der Front gewesen. Er hat die Hölle, sozusagen, nie miterlebt. Er war dann Dolmetscher, weil er durch seine Paris-Aufenthalte gut Französisch konnte und musste praktisch die Briefe der französischen Kriegsgefangenen zensieren. Das war dieses Moment des Krieges, diese Vorahnung. Gleichzeitig ist es auch so, dass er nie ein politischer Künstler war. Es gibt in dieser Ausstellung ein kleines Blatt, das wenig bekannt ist, da bezieht er sich auf einen berühmten Paragraphen 11. Der bezog sich damals auf die Stammtischtischgespräche, wo es hieß, dass alles das, was ein Politiker vor der Versammlung sagt nicht verwendet werden kann für seine Verurteilung später, da könnte man sagen, was man will. Das ist das einzige politische Blättchen, was hier zu sehen ist.
Vielhaber: Gemeint ist damit, dass er weder zu den Expressionisten gehört, die heute teuer und berühmt sind – was er nie geworden ist – nämlich die Künstler von "Der Brücke" und "Vom blauen Reiter". Gemeint ist damit, dass er geschielt hat und mit dem ganzen Herzen, mit dem ganzen pathetischen Herzen, das ihm zu eigen war, geschielt hat auf die Großstadtfaszination der Futuristen. Er hat 1912 in Berlin die erste deutsche Ausstellung der Futuristen in der Galerie "Der Sturm" gesehen und es muss ihn sehr, sehr beeindruckt haben. Er hat 1914 in einem Pamphlet sozusagen, wo er über die Anleitung zum Malen von Großstadtbildern schreibt, in einem Pamphlet gerade die Brückenmaler angegriffen mit ihrem Atavismus, und er hat gesagt, wir sind keine Neger oder keine Christen des frühen Mittelalters, wir sollen uns nicht in die Natur zurückziehen und so tun als gäbe es diese Großstadt nicht, als gäbe es dieses Vibrato nicht, dieses Vibrieren, diese Beschleunigung mit allen negativen Folgen. Anfangen tut er aber doch harmlos, was jetzt die Ausstellung im Macke-Haus auch deutlich macht. Er fängt 1910, 1911 an mit harmlosen Vorstadtlandschaften, wo man noch nicht sieht, dass da irgendwo etwas Expressionistisches ist. Es sind Spree-Landschaften, Hafenlandschaften. Es könnte irgendwo und alles mögliche sein. Dass da schon im Vorfeld etwas passieren wird, ahnt man hier noch nicht. Damals war er schon vorher in Paris gewesen, 1907, 1908, hatte zum Beispiel Amedeo Modigliani kennen gelernt, hatte praktisch im Nebenhaus von Picasso gelebt und gearbeitet, als Picasso seine berühmten "Les Demoiselles d'Avignon" gemalt hatte. All das spielt aber für ihn keine Rolle, und er findet dann seinen Weg durch diese Kunstgeschichte wirklich in diesem "Großstadt Berlin". Es sind Arbeiten dabei von 1913, 1914 von der Potsdamer Straße. Sie denken die Häuser seien betrunken, die Häuser würden taumeln, einstürzende Neubauten und das, was auf der Straße los ist, ist unglaublich.
Schossig: Aber es spielt zunehmend Kriegserlebnis, Pazifismus, Religiosität in sein Werk hinein. Welche Rolle spielen die in seinem Bilderkosmos?
Vielhaber: Da muss man sagen, dass er wirklich ein Visionär war, dass er seine apokalyptischen Landschaften, die er selber so genannt hat, gemalt hat, beziehungsweise gezeichnet hat oder als Graphik veröffentlicht, vervielfältigt hat bevor der Erste Weltkrieg ausbrach. Dann kommt eine sehr homoerotische Beziehung zu dem Dichter – er war ja selber auch Dichter – Ernst Wilhelm Lotz hinzu. Mit ihm geht er noch 1914 nach Dresden, und sie wollen gemeinsam etwas aufbauen. Der Lotz geht freiwillig in den Krieg und stirbt in den ersten Kriegstagen. Das hat Meidner wohl nie wirklich verwunden. Meidner wird danach auch eingezogen, 1916, aber nicht an die Front; er ist niemals an der Front gewesen. Er hat die Hölle, sozusagen, nie miterlebt. Er war dann Dolmetscher, weil er durch seine Paris-Aufenthalte gut Französisch konnte und musste praktisch die Briefe der französischen Kriegsgefangenen zensieren. Das war dieses Moment des Krieges, diese Vorahnung. Gleichzeitig ist es auch so, dass er nie ein politischer Künstler war. Es gibt in dieser Ausstellung ein kleines Blatt, das wenig bekannt ist, da bezieht er sich auf einen berühmten Paragraphen 11. Der bezog sich damals auf die Stammtischtischgespräche, wo es hieß, dass alles das, was ein Politiker vor der Versammlung sagt nicht verwendet werden kann für seine Verurteilung später, da könnte man sagen, was man will. Das ist das einzige politische Blättchen, was hier zu sehen ist.