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Welterbestätten
Inflation verhindern

Die UNESCO hat neue Welterbestätten in ihre Liste aufgenommen. Man müsse sich überlegen, ob man nicht irgendwann zu einem Ende der Liste kommen müsse, weil natürlich mit jeder weiteren Stätte, die eingeschrieben werde, eine Inflationierung des Titels einhergehe, sagte der Ethnologe Stephan Dömpke von der Organisation World Heritage Watch im DLF.

Stephan Dömpke im Gespräch mit Michael Köhler | 08.07.2015
    Hamburgs Speicherstadt bei Nacht.
    Hamburgs Speicherstadt ist nun die 40. Welterbestätte in Deutschland (dpa/picture-alliance/Axel Heimken)
    Michael Köhler: Die lange Sitzung des UNESCO-Welterbe-Komitees in Bonn ist gerade zu Ende gegangen. Die Hamburger Speicherstadt ist letztes Wochenende mit Kontorhaus als 40. Welterbestätte in Deutschland aufgenommen worden. Welterbestätten in Singapur, Korea, auf Sizilien und in Jordanien sind hinzugekommen, auch Iran ist nominiert.
    Zu Beginn der Konferenz wurde die Zerstörung und Plünderung von Kulturstätten in Syrien und im Irak angeprangert. Kritik an der Arbeit des UNESCO-Welterbe-Komitees beziehungsweise der deutschen Präsidentschaft, die übt der Denkmalschutzverein World Heritage Watch. Er versteht sich als Welterbe-Befürworter, aber auch als Korrektiv der Regierungsarbeit. Vorsitzender ist der Ethnologe Stephan Dömpke und ihn habe ich gefragt: Was kritisieren Sie denn nun im Einzelnen?
    Stephan Dömpke: Wir haben drei Punkte. Das Erste ist die Finanzierung beziehungsweise die strukturelle Unterfinanzierung, die praktisch gar nicht weiter thematisiert worden ist. Da ist es bei einem Appell an die Mitgliedsstaaten geblieben, doch freiwillig die Beiträge an die UNESCO zu erhöhen, und damit kommt man natürlich nicht weiter, wenn einem fast ein Viertel des Budgets weggerutscht ist.
    Da hätte Deutschland ein Zeichen setzen müssen und sagen, wir verdoppeln unseren Beitrag und wir fordern auch alle anderen Staaten auf, dasselbe zu tun. So viel Mut hätte man haben müssen.
    Köhler: Sie fordern unter anderem, nicht weiter neue Welterbestätten zu nominieren, und plädieren für eine Auszeit von fünf Jahren.
    Ich ärgere Sie mal und sage, das heißt, Sie sind gegen die neuerliche Bewerbung und Überarbeitung beispielsweise des Antrags, den Naumburger Dom und seine Uta in die Liste aufzunehmen?
    Dömpke: Nein, ich liebe Uta. Es ist auch nicht so, dass wir im Prinzip gegen neue Nominierungen wären.
    Das eine Thema, das ist die globale Strategie. Die sagt, dass jetzt die Länder, die bisher wenig Welterbestätten haben, also vor allem die ärmeren Länder des Südens, dass die jetzt mal aufholen sollten. Und dieses unglaubliche Übergewicht, was wir in Europa und in Nordamerika, zum Teil im Mittleren Osten haben, dass das jetzt mal etwas ausbalanciert wird. Darauf bezieht sich unsere Position, dass Länder wie Deutschland, auch Spanien, Frankreich, Italien, China sich jetzt mal zurückhalten sollten, mal ihr Geld dafür ausgeben sollten, den anderen Ländern zu helfen, neue Nominierungen zu machen, damit wir zu einem globalen Gleichgewicht kommen.
    "Man muss irgendwo mal ein Ende finden"
    Köhler: Deutschland habe seinen Einfluss zu wenig genutzt, um drängende Probleme des Welterbes anzugehen, sagen Sie. Welche sind das aus Ihrer Sicht?
    Dömpke: Man muss sich überlegen, ob man nicht irgendwann zu einem Ende der Liste kommen will, kommen muss, weil natürlich mit jeder weiteren Stätte, die eingeschrieben wird, eine Inflationierung einhergeht. Unser Vorschlag dafür ist, dass jeder Staat noch einmal eine Vorschlagsliste vorlegt und dass danach, wenn entschieden worden ist, ob sie Welterbe werden oder nicht, dann mal für 50 Jahre Schluss ist.
    Sonst kommt man am Ende dazu, dass der Bürgersteig von Castrop-Rauxel auch noch zum Welterbe vorgeschlagen wird, und das kann einfach nicht sein. Wir haben jetzt schon mehr und mehr fragwürdige Nominierungen. Das heißt, schleichend kommen wir auf eine Ebene, wo man sagen muss, eigentlich ist das nicht mehr Welterbe. Wir haben einen Vorschlag jetzt auf den Tisch gelegt. Wir werden versuchen, den dann auch in die offiziellen Gremien einzubringen, und dann muss man, finde ich, diskutieren, wie das gehen kann. Aber Fakt ist und alle sagen das auch unter vorgehaltener Hand, man muss irgendwo mal ein Ende finden.
    Weltkultureerbestätten ohne Zivilgesellschaft nicht möglich
    Köhler: Die Kritikpunkte sind deutlich geworden: mangelnde Finanzierung, globale Strategie, Übergewicht Europas, pause einzusetzen. Mich interessieren noch zwei Dinge. Das Erste ist: Die Beteiligung der Zivilbevölkerung ist Ihnen, glaube ich, wichtig, damit das auch eine Bewegung von unten ist und wird und auch in der Breite angenommen wird?
    Dömpke: Ja. Wir sind ja nun selbst Zivilbewegung oder Zivilbevölkerung und haben aus der Erkenntnis heraus, dass ohne die Zivilbevölkerung, auch ohne das Engagement, auch das finanzielle Engagement der Zivilgesellschaft das Welterbe auf Dauer nicht zu erhalten ist. Das hat die UNESCO übrigens auch selbst genauso formuliert.
    Diese Forderung steht auch bei der UNESCO und wieder die Kritik, jetzt müssen Taten folgen. Jetzt muss das Welterbe-Komitee auch die Zivilgesellschaft zu einem Dialog einladen und mit uns darüber reden, wie wir mitwirken können, welche Rechte wir im Rahmen der Konvention erhalten sollen, zum Beispiel Einsicht in die Dokumente, dass wenn NGOs Berichte schicken die auch gelesen werden müssen und nicht die Möglichkeit besteht, die einfach in den Papierkorb zu werfen.
    Die NGOs zahlen weltweit jedes Jahr Hunderte von Millionen für den Erhalt des Welterbes. Das ist in eklatanter Diskrepanz zu den Mitwirkungsmöglichkeiten, die die NGOs haben.
    Jetzt in Bonn waren wir praktisch isoliert von den Regierungsdelegationen. Wir sind in den Plenarsaal nicht reingekommen. Das Auswärtige Amt hat unsere internationale Konferenz auch nicht gefördert. Wir haben viele schöne Worte gehört. Aber ich erwarte jetzt eigentlich, dass auf der Tagesordnung der nächsten Komitee-Sitzung sich ein Punkt findet, Dialog mit der Zivilgesellschaft.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.