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Welthungerhilfe drängt auf Trennung von Militär und Hilfe

Der Generalsekretär der Deutschen Welthungerhilfe, Hans-Joachim Preuß, hat eine klare Trennung zwischen Militäreinsätzen und humanitärer Hilfe gefordert. Die Grenze drohe in Afghanistan zu verwischen. Die Soldaten würden sich "zum Teil als Wiederaufbauhelfer darstellen". Sie bauten Brücken und Straßen und Brunnen mit dem Ziel - wie es das Militär selber ausdrückt -, Herzen und Köpfe der Menschen zu gewinnen.

Moderation: Friedbert Meurer | 07.11.2007
    Friedbert Meurer: Bislang galt Nordafghanistan als relativ ruhig. Auch einzelne Anschläge, Raketentreffer auf deutsche Feldlager haben daran nichts geändert. Im Süden und in Kabul ist es gefährlicher. Vielleicht galt das nur bis gestern. In Baghlan, im Regionalkommando Nord, das von den Deutschen geleitet wird, besuchten gestern afghanische Abgeordnete eine Zuckerrübenfabrik. Diese Fabrik ist mit deutschen Entwicklungsgeldern aufgebaut worden. Dann explodierte eine Bombe, 13 von 18 Abgeordneten sind getötet worden. Insgesamt sind 30 Opfer zu beklagen, darunter auch Kinder. In Afghanistan herrscht heute Staatstrauer. Am Telefon begrüße ich Hans-Joachim Preuß, er ist der Generalsekretär der Deutschen Welthungerhilfe. Guten Morgen, Herr Preuß.

    Hans-Joachim Preuß: Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Der Anschlag gestern auf eine Zuckerrübenfabrik, die ja den Bauern eine Alternative bieten soll für den Opiumanbau, wie sehr trifft Sie als Vertreter einer Entwicklungsorganisation diese Nachricht?

    Preuß: Das macht uns natürlich große Sorgen. Wir hatten ja selber Verluste zu beklagen unter Mitarbeitern. Wir haben unsere Arbeit sehr einschränken müssen aufgrund der Sicherheitslage. Und das führt natürlich im Augenblick dazu, dass wir auch weiter überlegen können, in wie weit wir auch im Norden noch unsere Arbeit sicher machen können.

    Meurer: Sie hatten in der Tat damals überlegt nach dem Tod eines deutschen Ingenieurs in der ersten Jahreshälfte, dann ist auch ein afghanischer Helfer gestorben von der Welthungerhilfe, Sie hatten ja überlegt, ob Sie die Arbeit einstellen sollen. Warum machen Sie weiter?

    Preuß: Auf der einen Seite gibt es für uns einen ganz, ganz klaren humanitären Grund. Afghanistan ist das fünft ärmste Land der Welt. Wir haben seit über zwölf Jahren Erfahrungen in dem Land sammeln können. Wir haben etablierte Strukturen, wir arbeiten sehr eng mit der Bevölkerung zusammen, die uns intensiv gebeten hat, dort auch weiterzumachen. Wir haben zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen entwickelt und vor allem unser Konzept geändert, was eine wesentlich engere Zusammenarbeit mit den betroffenen Bevölkerungen einerseits, aber auch mit den traditionellen Führern, Mullahs und so weiter, vorsieht, weil wir glauben, anders als Militär, anders als staatliche Einrichtungen wird uns die Bevölkerung gegen solche Übergriffe besser schützen.

    Meurer: Sie haben ja gefordert, Militär und Entwicklungshilfe solle man mehr auseinander halten. Warum?

    Preuß: Der Grund ist, dass die Trennungslinien zwischen Militär und humanitären Helfern zunehmend verwischen. Das hat einmal damit zu tun, dass die Soldaten sich zum Teil als Wiederaufbauhelfer darstellen. Sie bauen Brücken, Straßen, sie bauen Brunnen beispielsweise. Wobei das allerdings nicht mit dem Ziel passiert, die betroffene Bevölkerung einzubinden und mit ihnen gemeinsam zu einem Abschluss zu kommen und dann eben auch diese Bauwerke nachhaltig zu gestalten, sondern da geht es halt darum, wie es das Militär selber ausdrückt, Herzen und Köpfe der Menschen zu gewinnen. Das ist aber nur zum Schutz des Militärs selber. Und ich glaube ...

    Meurer: Aber das Ergebnis ist doch das gleiche. Man will das Vertrauen der Bevölkerung erreichen.

    Preuß: Das möchte ich etwas in Zweifel stellen, weil ein Brunnen, den sie hinstellen, wo die Leute kein Komitee vorher gebildet haben, wo nicht vorher klar ist, wo dieser Brunnen hingestellt wird, wird der auf allgemein zugänglichem Gelände hingestellt oder dort, wo sich das nach dem Abzug der Soldaten einzelne Grundbesitzer wieder unter den Nagel reißen können - das sind Überlegungen, die stellen wir als Profis in der Entwicklungspolitik an. Diese Überlegungen stellen Militärs nicht unbedingt an, weil es ja wie gesagt, die Zielsetzung ist nicht die nachhaltige Wasserversorgung, sondern die Zielsetzung ist eben der eigene Schutz. Und vom Ergebnis her ist es allerdings für uns so, dass man die Ausländer nicht mehr so gut auseinander halten kann. Wir glauben, dass wir damit auch in Gefahr geraten, von oppositionellen Kräften mit unter Beschuss genommen zu werden.

    Meurer: War der Anschlag gestern auf diese Zuckerrübenfabrik, die mit deutschen Geldern bezahlt wurde, war diese Fabrik nur zufällig Schauplatz, oder würden Sie einen Zusammenhang herstellen zur Verwischung der beiden Bereiche Militär und Entwicklung?

    Preuß: Das würde ich jetzt nicht als Hypothese wagen, vor allem weil der Fall noch nicht untersucht worden ist. Es sind Parlamentsabgeordnete betroffen gewesen von diesem Anschlag. Wir haben ja keinerlei Information darüber, ob dieses jetzt ein politisch motivierter Anschlag gegen diese Abgeordneten gewesen ist, ob hier ein deutsches Vorhaben getroffen werden sollte, oder ob es hier irgendetwas mit Militär oder Entwicklungshilfe zu tun hat. Soweit würde ich im Augenblick nicht gehen. Nur was wir sagen, wir müssen zu einer Trennung kommen zwischen Militär und Entwicklungshilfe, zu einer sehr, sehr deutlichen Trennung zwischen beiden Bereichen. Und die Aufgabe, die es ebenfalls zu fördern gilt, wäre ebenfalls der Aufbau und die Unterstützung der afghanischen Polizei. Es soll ja nicht das Militär für die Sicherheit auf den Straßen sorgen, sondern es müsste die Polizei tun. Und auch hier, das hat man in den vergangenen Wochen und Monaten ja immer wieder gehört, beklagen ja selbst die internationalen Geber, dass man in den vergangenen Jahren viel zu wenig getan hat.

    Meurer: Noch eine kurze Frage: Brauchen wir mehr ISAF-Soldaten oder weniger?

    Preuß: Ich glaube, dass die ISAF-Soldaten, wenn sie sich auf ihren Job konzentrieren und nicht, sage ich mal, über den Zaun hinweg grasen, sprich, bei der Entwicklungspolitik oder bei der Polizei, und sich darauf konzentrieren würden, das afghanische Militär gut auszubilden, dann kommen wir mit dem bisherigen Kontingent aus.

    Meurer: Hans-Joachim Preuß, der Generalsekretär der Deutschen Welthungerhilfe heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Preuß, besten Dank und auf Wiederhören.