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Weltkirchenkonferenz 1968
Revolution in Namen Jesu

Vom Vietnamkrieg bis zu den Rassenunruhen: Die globalen Konflikte bewegten 1968 auch die Kirchen. Im Juli trafen sich in Schweden Vertreter von über 200 Kirchen aus der ganzen Welt. Während sie über Entwicklungshilfe oder das Wettrüsten debattierten, protestierte draußen die christliche Jugend.

Von Christian Röther | 06.07.2018
    Es sage viel aus über die Christenheit, dass das Wort "Black Power" allen Angst macht, weil es die Worte 'schwarz' und 'Macht' verbindet, sagt der Schriftsteller James Baldwin. Eigentlich hätte Martin Luther King sprechen sollen. Doch der US-amerikanische Prediger war drei Monate zuvor erschossen worden. So springt sein Landsmann Baldwin ein bei der 4. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen im Juli 1968.
    Aber keiner in der Christenheit scheine Angst zu haben vor der Weißen Macht, so Baldwin. Der schwarze Schriftsteller kritisiert die Kirche der Weißen - in einer Zeit, in der die Kirche ihr globales Gesicht entdeckt. Über 700 stimmberechtigte Delegierte aus der ganzen Welt sind ins schwedische Uppsala gekommen. Sie vertreten mehr als 200 Kirchen.
    "Die umfassendste kirchliche Tagung seit 900 Jahren"
    Fast alle nicht-katholischen Kirchen sind in Uppsala dabei, also vor allem Protestanten, Anglikaner und Orthodoxe. Auch die Katholiken schicken Beobachter. Der Generalsekretär des Weltkirchenrates, Eugene Carson Blake aus den USA, bezeichnet die Versammlung deshalb als "die repräsentativste und umfassendste kirchliche Tagung seit 900 Jahren."
    Die Repräsentativität hat allerdings ihre Grenzen: Nicht mal jede zehnte Delegierte in Uppsala ist eine Frau. Und nur vier Prozent der Delegierten sind jünger als 35. Trotzdem hat die Tagung es politisch in sich. Weißer Rassismus und Black Power sind nur zwei Aspekte davon – wie "Die Zeit" damals berichtet:
    "Der Worte wurden viele gewechselt auf dieser 4. Vollversammlung des Weltkirchenrates in Uppsala. Verurteilt wurde der Bombenkrieg in Vietnam, verdammt die Waffenlieferungen in Spannungsgebiete; gebrandmarkt wurden Ungerechtigkeit, Rassismus, Not und Elend." (Die Zeit 30/1968)
    "Die Hungernden und die Ausgebeuteten rufen nach Gerechtigkeit"
    In der gemeinsamen Abschlussbotschaft von Uppsala 1968 klingt das so:
    "Wir hörten den Schrei derer, die sich nach Frieden sehnen. Die Hungernden und die Ausgebeuteten rufen nach Gerechtigkeit. Die Verachteten und Benachteiligten verlangen ihre Menschenwürde. ... Im Vertrauen auf Gottes erneuernde Kraft rufen wir euch auf: Beteiligt euch an dieser Vorwegnahme des Reiches Gottes, und lasst heute schon etwas von der Neuschöpfung sichtbar werden, die Christus an seinem Tag vollenden wird."
    Die evangelische Theologin und Historikerin Katharina Kunter
    Die evangelische Theologin und Historikerin Katharina Kunter (Reinhard Simon )
    "Eine Botschaft von Uppsala 1968 war zu sagen: Das, was Christen hier auf der Welt können, ist, das Reich Gottes vorwegzunehmen", sagt die Historikerin Katharina Kunter:
    "Und das bedeutete in der größeren theologischen Dimension auch, dass man wegkommt von dem metaphysischen Bild von Christus, der weit oben als vielleicht Retter des Königreiches steht - dass Jesus Christus sehr viel stärker menschlich, anthropologisch gedeutet wurde und dass ein Großteil der ökumenischen Bewegung davon überzeugt war, dass man das Reich Gottes jetzt hier auf dieser Welt revolutionär verändern kann."
    Vietnam und Shoah
    Revolution im Namen Jesu - manchem Kirchenvertreter in Uppsala geht das dann doch ein bisschen zu weit, wie "Der Spiegel" damals feststellt:
    "Wer allerdings den Aufstand gegen die Obrigkeit nicht gutheißen wollte, verwässerte den Begriff und verstand unter Revolution lieber nur den Fortschritt der Technik oder die 'Sehnsucht nach Neuem'." (Der Spiegel 30/1968)
    Doch auch konservative Delegierte können sich der politischen Agenda nicht entziehen. Sie debattieren über globale Gerechtigkeit, das Wettrüsten oder den Vietnamkrieg. Der Schriftsteller James Baldwin zieht in seiner Rede einen drastischen Vergleich, um die Kirchen für das Leid in Vietnam zu sensibilisieren:
    "Die Deutschen haben gesagt: 'Ich konnte nichts machen. Ich wusste nicht, was mit den Leuten passiert, die nachts abgeholt wurden.' Dafür sind wir mit den Deutschen hart ins Gericht gegangen. Aber auch Deutschland ist ein christliches Land. Sie sind Menschen und wir sind Menschen. Und was die Deutschen im Zweiten Weltkrieg getan haben – es gibt keine Garantie, dass wir das nicht auch tun können. Tatsächlich machen wir es gerade."
    "Sie zählten die Mercedes-Wagen der deutschen Kirchenfürsten"
    Auf der Weltkirchenkonferenz 1968 geht es also ausgesprochen politisch zu und progressiv - am meisten allerdings unter denjenigen, die gar nicht offiziell an der Konferenz teilnehmen dürfen. Denn auf den Weg nach Uppsala gemacht haben sich nicht nur die offiziellen Kirchenvertreter, sondern auch viele junge Christinnen und Christen. Sie protestieren draußen, während drinnen getagt wird, sagt die Historikerin Katharina Kunter:
    Demonstraten mit Fahnen der Black Panther Party vor der historischen Paulskirche.
    Studenten-Vietnam-Demo in Frankfurt 1968 vor der Paulskirche (dpa)
    "Es gibt auch schöne Filmaufnahmen von Uppsala, wo man auch noch mal ganz deutlich sehen kann: Die Kirchendelegierten, die anreisen, das sind überwiegend ältere Männer, während dann die Jugendlichen - oder die jungen Studenten, die sich dann in Uppsala sammeln, eine ganz andere Generation mit ganz anderen Themen sind und auch ganz anderes Aktionsformen haben."
    "Junge Protestanten aber wollten die Kirchen-Väter zu Taten treiben. Sie zeigten Plakate mit Losungen wie 'Christus ist immer noch zu revolutionär für die Kirche'. Sie zählten die Mercedes-Wagen der deutschen Kirchenfürsten." (Der Spiegel 30/1968)
    "Lauter Pfarrer und lauter alte Männer"
    Sechs Kirchenvertreter aus Deutschland sind in Uppsala stimmberechtigt. Sie haben es später nicht leicht, die ökumenischen Ergebnisse aus Schweden in der Evangelischen Kirche in Deutschland zu vertreten, denn die EKD konnte mit den Themen und Positionen des Ökumenischen Rates der Kirchen oft nicht viel anfangen, erklärt Katharina Kunter:
    "Die EKD hatte ein durchaus gespaltenes Verhältnis und das zeigte sich dann auch in Uppsala 1968 und den Diskussionen, die hinterher kamen. In Uppsala wurde ja das Antirassismus-Programm eingeleitet und das Antirassismus-Programm ist ja dann in den verschiedenen Landeskirchen extrem kontrovers diskutiert worden."
    "Siehe, ich mache alles neu", so lautet das Motto der Weltkirchenkonferenz 1968. Politisch wird vieles neu gemacht - oder zumindest neu gedacht. Als dann aber das Präsidium des Weltkirchenrats neu gewählt wird, klappt es mit der Erneuerung nicht ganz so gut. "Der Spiegel" rechnet seiner Leserschaft vor, dass sich das Durchschnittsalter des Präsidiums nur minimal verjüngt hat: von 66 auf 65 Jahre. Eine Frau sucht man in dem sechsköpfigen Gremium nach wie vor vergebens, denn der deutsche Bischof Hans Lilje setzt sich in einer Kampfabstimmung gegen die Schwedin Birgit Rodhe durch. Und so bilanziert damals die "Frankfurter Allgemeine Zeitung":
    "Die Zusammensetzung des Präsidiums des Ökumenischen Rats aus lauter Pfarrern und lauter alten Männern ist ein Beweis, wie schwer es dem Ökumenischen Rat fällt, das selbst gestellte Motto zu erfüllen: 'Siehe, ich mache alles neu.'" (FAZ 154/1968)