Dass die großen, edlen Klangkörper aus aller Welt im Spätsommer nach Luzern kommen, ist seit Langem bekannt. Doch nach wie vor ist man fasziniert, wer sich da innerhalb von kurzer Zeit die Klinke respektive den Taktstock in die Hand gibt. Andris Nelsons, Daniel Barenboim, Bernard Haitink, Simon Rattle, Riccardo Chailly – sie alle stehen für große Qualität und anspruchsvolle Programmgestaltung. Ein Höhepunkt der aktuellen Saison war zweifellos der Auftritt des Königlichen Concertgebouw Orchesters Amsterdam unter seinem demnächst scheidenden Chef Mariss Jansons. Wie dieser etwa Dmitri Schostakowitschs erste Symphonie dirigierte, sowohl analytisch wie feurig und gleichsam von innen her strahlend, war schlicht atemberaubend.
Spezifische spannungsreiche Kombination von Stücken
Zur spezifischen Luzerner Konzertdramaturgie gehört es, eine spannungsreiche Kombination von Stücken zu finden und auf stressierende Marathon-Veranstaltungen weitgehend zu verzichten. Stattdessen sind rund um die Konzerte diverse Satelliten positioniert, das neue Format 40 Minuten zum Beispiel bietet – bei freiem Eintritt – Künstlerbegegnungen, Werkstattgespräche, interessante Mischformen. Als Simon Rattle über Luciano Berio referierte, kamen 1200 Interessenten, der Luzerner Saal – direkt neben dem großen Konzertsaal – fasst jedoch nur 700 Personen. Gut besucht war auch ein Gesprächskonzert mit Matthias Pintscher, der heuer die Lucerne Festival Academy betreute, das einzigartige Orchester aus jungen, auf zeitgenössische Töne spezialisierten Musikern. Pintschers A twilight's song wurde zum Höhepunkt des Abends, auch und vor allem durch die fantastische Sopranistin Sophia Burgos.
Von Jahr zu Jahr experimentiert das Lucerne Festival mit neuen Spielorten und einer ungewohnten Dramaturgie. Barbara Hannigan, unlängst zur Sängerin des Jahres gewählt, gab eine Meisterklasse, bei der jeder zusehen und zuhören konnte, im alternativen Kino- und Veranstaltungskomplex Bourbaki wurde nach manchen Konzerten eine Partylounge eingerichtet, vor dem Konzerthaus KKL fanden Gratis-Konzerte mit reichlich Improvisation statt.
Gratis-Konzerte mit reichlich Improvisation
Das war übrigens keine Gitarre, sondern ein horizontal gehaltenes und eigenwillig gezupftes Cello! Als Residenzkomponisten wirkten dieses Jahr die Koreanerin Unsuk Chin sowie der Österreicher Johannes Maria Staud. Staud schrieb eine völlig verrückte Oper und war auch im Konzertprogramm reichlich präsent. Zum Beispiel bei der Erstaufführung seines Diptychons "Zimt", Staud holte sich Inspiration bei Bruno Schulz und seinen "Zimtläden", einer wilden, übersprudelnden Dichtung zwischen Surrealismus und magischem Realismus.
Über Auslastung und Finanzierung muss man sich in Luzern wenig Gedanken machen, allerdings steht im Herbst eine wichtige Entscheidung an. Wer wird Nachfolger des verstorbenen Claudio Abbado am Pult des Festivalorchesters? Und wer steigt bei der jungen Lucerne Festival Academy dauerhaft mit ein? Momentan liegt die Verantwortung noch beim fast neunzigjährigen Komponisten und Dirigenten Pierre Boulez, der gesundheitlich stark angeschlagen ist. Da gilt es Köpfe zu finden, die im Geiste ihrer Vorgänger arbeiten und die immens hohe Qualität halten können. Wahrlich keine leichte Aufgabe, es bleibt spannend am Vierwaldstättersee.