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Weltklimabericht nicht aktuell

Klima. - Zwei Wochen vor Beginn des Weltklimagipfels in Bali hat der Internationale Ausschuss für Klimafolgenforschung IPCC in Valencia seinen Synthesebericht vorgestellt. Manchen Klimaforschern geht der jedoch nicht weit genug. Sie sagen, der Bericht habe die jüngsten Ergebnisse noch nicht berücksichtigt.

Von Volker Mrasek | 19.11.2007
    Im sogenannten Synthese-Report bekräftigt der Klimarat der Vereinten Nationen noch einmal, was er schon in den ersten drei Berichtsteilen darlegte: Es gibt praktisch keinen Zweifel mehr, dass der Mensch hinter der Klimaerwärmung steckt, diese ist bereits in vollem Gange, und es bleibt nicht mehr viel Zeit, um den Anstieg der Treibhausgas-Emissionen zu stoppen – so Rajendra Pachauri in Valencia, der Vorsitzende des IPCC:

    "”Wir haben bis 2015 Zeit. So lange können die Emissionen noch steigen. Aber dann müssen sie ihren Höhepunkt erreichen und sinken, wenn wir eine Erwärmung jenseits von zwei Grad vermeiden wollen. Für diese Herausforderung gibt es nur eine Lösung: Jedes Land auf der Erde muss etwas unternehmen.""

    Dass dies eine ziemlich schwierige Aufgabe sei, räumte auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in Valencia ein. Aber:

    "”Jetzt, da der neue Klimareport vorliegt und alle Wissenschaftler mit einer Stimme sprechen, ist das Bewusstsein für das Problem noch einmal gewachsen. Das gilt auch für die Verantwortlichen in der Politik.""

    Doch was in Valencia ungesagt blieb und auch so nicht im Synthese-Report steht: Der neue Welt-Klimabericht ist gar nicht auf dem neuesten Stand. Sondern auf dem von Mitte 2006. Da war offiziell Redaktionsschluss. Fachliteratur, die erst später erschien, haben die Autoren und Gutachter des IPCC nicht mehr bewertet. Inzwischen sind weitere 15 Monate vergangen. Und eine Reihe jüngerer Studien lässt vermuten, dass der Klimareport in zahlreichen Punkten bereits überholt ist. Und die Lage noch ernster als geschildert. Zum Beispiel in Sachen Treibhausgas-Emissionen. Die steigen inzwischen immer stärker. Der australische Klimaforscher Michael Raupach erst vor wenigen Wochen im Deutschlandfunk:

    "”Der CO2-Ausstoß übertrifft mittlerweile die Wachstumsraten sämtlicher Emissionsszenarien, die der Klimarat in seinem neuen Bericht abhandelt.""

    Ein anderes Beispiel: Ozeane und Landpflanzen nehmen ständig etwa die Hälfte der Kohlendioxid-Emissionen auf. Sie fungieren als sogenannte Kohlenstoff-Senken und wirken der Erwärmung der Atmosphäre entgegen. Doch ihr Speichervermögen ist offenbar überschätzt worden. Die Wälder Nordamerikas, Europas und Sibiriens schlucken rund 40 Prozent weniger CO2 als bisher angenommen. Das berichtete ein multinationales Forscherteam Mitte des Jahres nach der Auswertung weltweiter Flugzeug-Messdaten. Im neuen IPCC-Bericht steht nichts darüber. Kevin Gurney, Klimaforscher an der Purdue University in West Lafayette in den USA:

    "”Die Vorstellung, dass uns die Biosphäre schon irgendwie im Kampf gegen den Klimawandel retten wird, ist falsch! So viel zusätzliches CO2 können Bäume gar nicht aufnehmen. Dafür ist diese Kohlenstoff-Senke, wie wir jetzt sehen, nicht groß genug.""

    Ein anderer Punkt: der künftige Anstieg des Meeresspiegels. Der kommt nicht nur dadurch zustande, dass sich Wasser ausdehnt, wenn es wärmer wird. Auch der Schmelzwasser-Abfluss von Festlandsgletschern lässt den Pegel steigen. Und Gletscher in Grönland und der West-Antarktis tauen in letzter Zeit beschleunigt ab. Wenigstens in diesem Punkt ist der Synthese-Report aktualisiert worden. Eine Obergrenze für den Meeresspiegel-Anstieg mag der UN-Klimarat jetzt nicht mehr angeben. Es könnten auch mehr als die bisher genannten 20 bis 60 Zentimeter gegen Ende des Jahrhunderts sein. IPCC-Chef Pachauri:

    "”Eine wichtige Erkenntnis aus dem Synthese-Report ist: Selbst wenn wir unsere Treibhausgas-Emissionen zügig reduzieren, wird der Meeresspiegel auf lange Sicht um 40 bis 140 Zentimeter steigen. Das mag nicht mehr in diesem Jahrhundert geschehen. Aber es zeigt: Den Grundstein dafür haben wir bereits gelegt.""

    Der neue Welt-Klimareport ist von einigen als zu schwarzmalerisch kritisiert worden. Tatsächlich sieht es eher so aus, dass er den Klimawandel in seinen Auswirkungen sogar unterschätzt.