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Weltkongress Bioökonomie
Weiter umstritten oder mittlerweile Mainstream?

Plastiktüten aus pflanzlichen Ölen oder das Nutzen lokaler Rohstoffe: Nachhaltiges Denken liegt im Trend. Hinter der Idee der Bioökonomie steckt nicht nur die Absicht, schonender zu wirtschaften. Es gibt auch einen viel banaleren Grund.

Von Benjamin Dierks | 26.11.2015
    Eine Schale mit Biokohle aus Pflanzenresten steht am 17.07.2013 am Rande einer Pressekonferenz in Berlin auf einem Tisch. Das Bundeskabinett hat eine "Politikstrategie Bioökonomie" beschlossen, mit der die biobasierte Wirtschaft in Deutschland gestärkt und die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu vermindert werden soll.
    Eine Schale mit Biokohle aus Pflanzenresten (picture alliance / dpa / Hannibal Hanschke)
    "Das ist eine Plastetüte gemacht aus Disteln. Wir verwenden ein pflanzliches Öl, das aus diesen Disteln kommt. Und wir können diese ganze Distel verarbeiten."
    Gunter Pauli reibt eine dünne, seidige Plastiktüte zwischen seinen Fingern. Pauli ist der Vorstandsvorsitzende von Novamont. Das italienische Chemieunternehmen hat sich auf biologische Rohstoffe spezialisiert. Das ist das Credo der Bioökonomie. Werkstoffe sollen nicht mehr aus Erdöl oder Kohle gewonnen werden, sondern aus Pflanzen. Das soll Ressourcen und Umwelt schonen.
    Selbstgemachte Probleme
    Doch auch mit diesem guten Vorsatz hat die Bioökonomie wieder eigene Probleme geschaffen. Nicht nur die Produktion von Biosprit hat dazu geführt, dass der dafür benötigte Anbau von Raps und Mais Lebensmittelpreise in die Höhe getrieben und Lebensmittelanbau verdrängt hat. Auch die Bioplastiktüte von Novamont bestand anfangs aus Maisstärke. Nun hat der Konzern umgelenkt.
    "Wir haben gelernt, wir sollten nicht zu viel Mais verwenden, Mais soll keinen Wettbewerb machen mit Ernährung. Und deswegen war es auch für uns eine Motivation zu sagen, wir müssen andere Rohstoffe verwenden."
    Lokale Rohstoffe sinnvoll nutzen
    Auf die Distel stießen die Chemiker von Novamont, weil in der Nähe einer neuen Produktionsstätte in Sardinien auf großen Flächen Disteln wuchsen, bis dahin ungenutzt. Also suchten sie einen Weg, sie zu verwerten. Lokale Rohstoffe zu nutzen, das sei ein wichtiger Aspekt, sagt Joachim von Braun.
    "Angepasst werden muss jede Bioraffinerie an ihren Rohstoffstandort."
    Joachim von Braun ist Vorsitzender des deutschen Bioökonomierats, der die Bundesregierung berät. Der Rat hat an diesem Mittwoch und Donnerstag in Berlin zum ersten Weltkongress der Bioökonomie geladen. Denn trotz des lokalen Bezugs müssten technische Entwicklungen und die Vermarktung von Produkten weltweit abgestimmt werden, sagt von Braun.
    "Zum Beispiel die Ideen, die Papierindustrie umweltfreundlich zu machen und da das schwarze Wasser rauszunehmen, das die Flüsse verseucht, das ist völlig international, das ist nicht lokal, das funktioniert in Brasilien genauso wie in Finnland und in China."
    Ressourcen-Knappheit als Antrieb für technische Neuerungen
    Hinter der Bioökonomie stehe nicht nur die Absicht, schonender zu wirtschaften, sondern teils schlicht Ressourcenknappheit, sagt von Braun.
    "Gerade Länder, in denen Wasser knapp ist, wie China zum Beispiel, sind enorm interessiert an solchen Technologien, die eine Kreislaufwirtschaft mit der Bioökonomie verbinden."
    Der Bonner Wirtschaftsprofessor hofft, dass das Interesse von Wirtschaftsmächten wie China der Bioökonomie Auftrieb gibt.
    "Wenn wir in Deutschland uns bioökonomisch aufstellen, dann hat das auf den Klimawandel oder die Nachhaltigkeitssituation der Welt fast keine spürbare Wirkung. Wenn wir aber, weil wir da die Nase vorn haben, unser biobasiertes technologisches und institutionelles Wissen mit den 40 bis 60 Ländern, die hier aktiv mitwirken, teilen, dann hat Deutschland Nachhaltigkeitswirkung auf globaler Ebene."
    Joachim von Braun setzt vor allem auf die Lebensmittelproduktion, die Textilwirtschaft, wo jetzt T-Shirts auch Abfallstoffe wie Kaffeesatz enthalten, auf die Bauwirtschaft sowie Maschinenbau und Autoproduktion. Nichtregierungsorganisationen fürchten aber noch eine andere weltweite Folge der Bioökonomie.
    Joseph Rahall von der Organisation Green Scenery aus Sierra Leone ist nach Berlin gekommen, weil er beobachtet, dass das wachsende Interesse an Anbauflächen und biologischen Rohstoffen Nahrungsmittelproduktion nach wie vor verdrängt.
    Gerade in einem Land wie Sierra Leone sei das fatal, weil ein Großteil der Bevölkerung auf eigenes Land angewiesen sei, um Lebensmittel zu produzieren. Kritiker der Bioökonomie warnen, dass diese nicht immer dazu führe, lokale Wirtschaft zu stützen.
    Große Konzerne seien wie auch in der konventionellen Industrie oft nur an der Ausnutzung der örtlichen Landwirtschaft für ihren Rohstoffbedarf interessiert. Erst wenn sich das ändert, mache die Bioökonomie wirklich einen Unterschied.