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Weltkonzern in der Provinz

Die Familie Mohn hat aus dem Verlagshaus Bertelsmann einen Weltkonzern geschmiedet. Vor 20 Jahren wagte das Unternehmen einen gewaltigen Schritt: Der Kauf von Doubleday & Co., der zweitgrößten Verlagsgruppe in den USA, wurde besiegelt.

Von Martin Hartwig | 26.09.2006
    "Ich verlasse das Unternehmen mit besten Gefühlen, denn die AG ist ein allseits anerkanntes höchstrenommiertes Weltunternehmen geworden, insofern scheide ich hier positiv."

    Mit diesen Worten verabschiedete sich Mark Wössner, der Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann AG, 1998 aus der Führung des Konzerns. Tatsächlich hatte er allen Grund, mit seiner Bilanz zufrieden zu sein. Unter seiner Führung war das Gütersloher Traditionsunternehmen in die Reihe der internationalen Schwergewichte aufgerückt. Die "FAZ" berichtete am 27. September 1986.

    "In der Nacht zum Freitag wurde in New York der Vertrag zum Erwerb der amerikanischen Verlagsgruppe Doubleday & Co., der zweitgrößten Verlagsgruppe in den USA unterschrieben. Nach dem Erwerb von Doubleday ist Bertelsmann nun sogar unter den größten Medienkonzernen der Welt unumstritten die Nummer eins."

    Eine Übernahme dieser Größenordnung wäre heute eine Topnachricht, die in allen Medien starke Beachtung fände. In den noch nicht so ökonomisierten 80er Jahren wurde das Ereignis von der breiten Öffentlichkeit jedoch kaum wahrgenommen. Die Unternehmens- und Börsenberichterstattung fand fast nur im Wirtschaftsteil der großen Tageszeitungen und der Wirtschaftspresse statt. Details zur Übernahme lieferte das "Handelsblatt":

    "Über den Kaufpreis wird nichts mitgeteilt. Analysten schätzen den Wert des zweitgrößten Verlages der USA auf 300 bis 400 Millionen Dollar. Das Unternehmen umfasst im wesentlichen den Verlag Doubleday, den Verlag Dell/Delacorte, ferner Buch- und Spezialclubs mit insgesamt 5,2 Millionen Mitgliedern, mehrere Druckereien sowie Aktivitäten auf den Gebieten des Schulbuchs und im Handelgeschäft. Die Gesamtbelegschaft von Doubleday beträgt 4800 Mitarbeiter."

    Der Preis von 475 Millionen Dollar, den Bertelsmann schließlich zahlte, war nach Ansicht einiger Experten zu hoch, aber Bertelsmann konnte die Summe ohne weiteres aufbringen - schließlich hatte der Verlag allein 1985 einen Gewinn von 300 Millionen Mark erwirtschaftet. Das Unternehmen, das gerade seinen 150. Geburtstag gefeiert hatte, schrieb damit die Geschichte seiner permanenten Expansion fort.

    1835 hatte der gelernte Buchbinder Carl Bertelsmann in Gütersloh einen Verlag gegründet. Als Motto für seine Unternehmung und als Firmensignet wählte der gläubige Protestant den Psalm 24 aus.

    "Wer wird auf des Herrn Berg gehen? und wer wird stehen an seiner heiligen Stätte? Der unschuldige Hände hat und reines Herzens ist; der nicht Lust hat zu loser Lehre und schwöret nicht fälschlich. Der wird den Segen vom Herrn empfangen und Gerechtigkeit von dem Gott seines Heils. "

    Dem frommen Leitgedanken entsprechend war das erste Buch, das der Verlag herausbrachte, eine Sammlung von christlichen Liedern. Der erste Bestseller von Bertelsmann war die "Die kleine Missionsharfe" - ebenfalls ein christliches Liederbuch, das 1853 erstmals erschien und sich zwei Millionen mal verkaufte. In den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts erweiterte der Verlag sein Repertoire um die Unterhaltungsliteratur. Den Sprung zum bundesweit bedeutendsten Unternehmen auf dem Buchmarkt machte Bertelsmann 1950 mit der Gründung des Lesering Buchklubs. Die Idee, Bücher im Abonnement an die Leser zu bringen, war nicht neu. Neu war jedoch, dass ein großes Verlags- und Druckhaus alles aus einer Hand anbot. Schon bald wusste jeder Bundesbürger, was ein Hauptvorschlagsband ist und dass dieser aus einer Stadt namens Gütersloh kommt. Dass die Unternehmenszentrale in der Provinz lag. war, so Reinhard Mohn, der das Unternehmen von 1947-1981 leitete, nie ein Nachteil.

    "Ich glaube, dass wir hier mehr Zeit zum Denken haben oder uns mehr Zeit dazu nehmen. Wir sind nicht immer so eingespannt in Aktivitäten gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Art wie, sagen wir mal, eine Firma in Frankfurt, München oder Hamburg. Da löst eine Veranstaltung die andere ab. Wir haben hier mehr Zeit zum Denken."

    Schon in den 60er Jahren gründete Bertelsmann zahlreiche Buchklubs im Ausland und stieg ins Schallplattengeschäft ein. 1970 hatte Bertelsmann erstmals mehr als 10.000 Mitarbeiter, 1973 übersprang der Umsatz erstmals die Milliardenmarkgrenze. Das durch seine erfolgreichen Buchklubs stets liquide Unternehmen wurde mehr und mehr zu einem internationalen Medienkonzern.

    Der Kauf des Doubleday-Verlages am 26. September 1986 bedeutete einen weiteren Quantensprung. Der Umsatz von Bertelsmann stieg auf über 10 Milliarden Mark an, die Zahl der Mitarbeiter wuchs auf 42.000. Für drei Jahre war Bertelsmann damit der größte Medienkonzern der Welt. Bertelsmann hat seitdem weiter zugekauft und ist sogar aus der New Economy mit Gewinn hervorgegangen. 2005 machte der Konzern einen Umsatz von 17,9 Milliarden Euro und beschäftigte 88.000 Mitarbeitern. Damit ist man derzeit die Nummer fünf unter den Medienmultis.