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Weltmeister in Mathematik

Ehrungen. – Die bedeutendsten Mediziner, Physiker und Chemiker werden mit dem Nobelpreis ausgezeichnet, doch Mathematiker bleiben dabei außen vor. Stattdessen verleiht die Internationale Mathematiker Union ein Äquivalent – die Fields-Medaille.

Gerd Pasch im Gespräch mit Jan Lublinski |
    Die Legende besagt, es würde kein Nobelpreis in Mathematik vergeben, weil der Stifter dereinst einer Mathematikerin den Hof gemacht, von ihr aber einen Korb erhalten habe. Realistischer erscheint indes, dass Nobel nicht daran glaubte, dass Mathematik als theoretische Wissenschaft der Menschheit irgendeinen Nutzen bringen könnte. Daher schufen sich Mathematiker einen Ersatz für die Ehrung: alle vier Jahre verleihen sie ihren eigenen "Nobelpreis" - die Fields-Medaille. So auch heute auf dem Weltkongress der Mathematik in Madrid.

    Gerd Pasch: Wer hat denn den Fields-Preis diesmal zugesprochen bekommen?

    Jan Lublinski: Bei der Fields-Medaille können vier Mathematiker ausgezeichnet werden, und es waren drei Mathematiker, die diesen Preis tatsächlich auch in Empfang genommen haben: Andrei Okounkov und Terence Tao aus den USA sowie der Franzose Wendelin Werner. Nominiert war auch ein vierter Preisträger für die Fields-Medaille, Grigori Perelman aus Sankt Petersburg. Er ist sicherlich der bekannteste Mathematiker überhaupt im Moment, er hat diesen Preis abgelehnt. Das ist nichts Neues, er hat schon andere Preise abgelehnt und auch sehr hoch dotierte Anstellungen an amerikanischen Universitäten haben ihn nicht interessiert. Er ist einfach zuhause geblieben.

    Pasch: Da gibt es also Zoff in Madrid. Perelman verzichtet auf das Preisgeld. Was genau hat er denn herausgefunden?

    Lublinski: Perelman hat eine sehr grundlegende Frage der Mathematik beantwortet, die die Mathematiker schon seit 100 Jahren umtreibt. Henri Poincaré, der große französische Denker, hatte eine Frage gestellt - die Poincaré-Vermutung - und es haben sehr viele Mathematiker sich die Zähne ausgebissen bei dem Versuch, diese Vermutung zu beweisen. Nur Perelman ist es dann tatsächlich nach achtjähriger Arbeit gelungen. Das Ganze fällt in das mathematische Fachgebiet der Topologie, das hat mit Schulmathematik wenig zu tun. Es geht dort um die Eigenschaften von Oberflächen verformbarer Körper. Man kann, wenn Sie sich Objekte aus Knetmasse vorstellen, zum Beispiel einen Autoreifen oder eine Kaffeetasse mit Henkel, dann können sie aus dem Autoreifen eine Tasse mit Henkel formen oder umgekehrt. Und Mathematiker betrachten solche Objekte als topologisch gleich, weil man sie ineinander umformen kann, ohne etwas abzureißen oder etwas anzukleben oder ein Loch zu bohren. Topologisch ungleich wäre zum Beispiel eine Brezel: Weil die Brezel drei Löcher hat, sind das zwei ganz verschiedene Objekte. Die Poincaré-Vermutung geht nun der Frage nach: was ist der einfachste topologische Körper, den man sich vorstellen kann? Das muss natürlich ein Körper ohne Löcher sein und ein Körper, der in eine Kugel verformbar ist. Übertragen kann man das vielleicht auch auf das Universum. Wenn Sie annehmen, das Universum hat kein Ende und auch keine Löcher, ist also nicht ringförmig, da muss es eigentlich eine Kugel sein. Das heißt wenn sie in eine Richtung losfliegen ins Universum, dann kommen Sie nach langer Flugreise irgendwann an derselben Stelle wieder an. Darum geht es etwas vereinfacht ausgedrückt in der Poincaré-Vermutung. Perelman ist es tatsächlich gelungen, diesen Beweis zu führen. Vielleicht sollten wir auch noch erwähnen, was die anderen Mathematiker getan haben. Wendelin Werner, ein französischer Mathematiker, der in Deutschland geboren ist, hat sich speziell mit Fragen des Grenzbereichs zwischen Mathematik und Physik befasst. Er hat neue Werkzeuge entwickelt, mit denen man Phasenübergänge genauer beschreiben kann. Also wenn eine Flüssigkeit verdampft, was passiert genau mit den Molekülen in diesem Prozess. Der Russe Okounkov ist dafür ausgezeichnet worden, dass er Brücken geschlagen hat zwischen verschiedenen Gebieten der Mathematik, die zuvor noch nicht da waren, also Brücken zwischen Wahrscheinlichkeitsrechnung, Algebra und die Geometrie - also eigentlich Gebiete, die sehr weit voneinander entfernt waren. Der Australier Terence Tao ist mit 31 Jahren der jüngste unter den Preisträgern und er ist gleichzeitig der wohl vielseitigste Mathematiker der Welt. Er tummelt sich auf ganz verschiedenen Gebieten, befasst sich mit Primzahlen, genauso mit Relativitätstheorie und Quantentheorie, zumindest mit den mathematischen Grundlagen dieser physikalischen Theorien. Und er hat auch eine sehr soziale Fähigkeit, nämlich die Fähigkeit, andere Mathematiker zusammenzubringen und sie als Team arbeiten zu lassen und bestimmte Problemlösungen zu erarbeiten. Da steht er ganz im Gegensatz zu Grigori Perelman, der ein Einzelgänger ist und sehr alleine arbeitet.

    Pasch: Wie hoch ist denn die Fieldsmedaille dotiert?

    Lublinski: Der Preis ist mit 10.000 US-Dollar dotiert, das ist nicht so wahnsinnig viel. Perelman hat aber noch die Option auf einen Preis von einer Million US-Dollar, weil diese Poincaré-Vermutung als Millennium-Problem ausgezeichnet worden ist von einer privaten Stiftung in den USA, die demjenigen, der hier eine Lösung präsentiert, dieses Geld in Aussicht stellt. Aber auch daran hat er kein Interesse.

    Zur Poincaré-Vermutung und Perelman siehe auch:
    Rätsel um Mathematik(er)