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Weltmusik - eine Reihe des Palmyra-Verlags

Man hört nur, was man weiß. Und was weiß man schon über die Musik anderer Regionen, die Tonsprachen unbekannter Städte, Länder, Kontinente. Fremd und geheimnisvoll klingen ihre Rhythmen, Stimmen, Instrumente, und vielleicht liegt genau darin der bemerkenswerte Erfolg der so genannten "Weltmusik", der Musik also aus anderen Teilen der Erde, die sich hierzulande immer größerer Beliebtheit erfreut.

Kersten Knipp | 19.08.2002
    Vor allem Kuba ist dank Wim Wenders Film über den "Buena Vista Social Club" zum heimlichen Lieblingsland der Deutschen geworden - vielleicht, weil man die Insel meist nur über ihre Musik kennt und alles weitere Klischee sein lässt. Rumba, Son und Cha-Cha-Cha, das kennt man noch, aber wer weiß schon mit trova, bolero und filin etwas anzufangen, den alten kubanischen Liedformen, die sich ihren Weg aus dem späten 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart bahnen. Und was weiß man schon über die vielfältigen Ursprünge dieser Musik, die eigenwilligen Bearbeitungen, die die aus Afrika eingeschleppten Sklaven an den europäischen Musiktraditionen vornahmen, oder über den Einfluss schwarzer Naturreligionen auf die Entstehung des kubanischen Karnevals. Maya Roy greift in ihrem Buch über die Musik Kubas nicht nur diese verwickelten historischen Voraussetzungen auf. Ebenso untergliedert sie die Insel auch in ihre musikalischen Regionen, stellt die Instrumente vor, und jene, die sie spielen - und beileibe nicht nur die Figuren des "Buena Vista Social Club".

    Ein wenig differenzierter lauscht man danach dem musikalischen Inselleben. Und genau das ist das Anliegen, das der Palmyra-Verlag mit seiner großen Weltmusik-Reihe generell verfolgt: Der Hörer soll genießen - und er soll die Chance haben, diesen Genuss zu vertiefen, ihn durch Wissen um Geschichte und Ausdrucksformen der einzelnen musikalischen Traditionen zu erweitern und durch Kenntnis der einzelnen Instrumente, Rhythmen und Texte differenzierter wahrzunehmen.

    Eben darum legt der renommierte Musikwissenschaftler Bernard Leblon in seinem Buch über den Flamenco auch großen Wert auf die Herkunftstheorien dieser Musik, erzählt er die Geschichte der gitanos, der aus Indien eingewanderten, in Spanien dann über Jahrhunderte verfolgten Zigeuner.

    Ihr langer Leidensweg verwandelte am Ende die Klage in Kunst, schuf ein sehr ausdifferenziertes Repertoire an Versen, Strophen, Formen, das im 20. Jahrhundert dank des Dichters Federico García Lorca dann auch hochliterarische Würden errang. Jeder Gefühlslage ordnen sich bestimmte Rhythmen zu, und Leblon lehrt den Leser, die klagenden siguiriya von der stolzen soleá zu unterscheiden, die treibenden tangos von der magischen buleria. Flamenco, das vermittelt dieses Buch nachdrücklich, verfügt über ein sehr weites Repertoire, das in alle Richtungen offen ist und sich, auch davon handelt das Buch, als so genannter Flamenco Nuevo wieder verstärkt mit anderen Musikformen, arabischen etwa, kubanischen, afrikanischen, vermischt.

    So alt ihre jeweiligen Wurzeln sind, Weltmusik tendiert zur Erneuerung, sucht - und findet - den Anschluss an die Gegenwart. Eben darum hält Monique Brandily in ihrem Buch über die Musik Afrikas auch ein entschiedenes Plädoyer gegen die Tendenz zur Folklorisierung, die genau in jenem Moment eintrete, in dem die Musik sich aller Weiterentwicklung verweigere, sich um des Purismus willen der Erneuerung verschließe.

    Doch bevor Brandily sich der Zukunft der traditionellen Formen widmet, nimmt sie den Leser mit auf einen musikalischen Streifzug durch diesen unermesslichen Kontinent, führt ihn ein in die Traditionen der beiden Küstenregionen, die Landschaften nördlich und südlich der Sahara. Sicher: Auf gut 150 Seiten ist kaum mehr als ein flüchtiger Eindruck zu leisten. Doch der Leser ist nach der Lektüre in der Lage, den Kontinent musikalisch wenigsten grob zu unterteilen. Und wem das nicht genügt, wer mehr wissen will über Instrumente wie Kora, Ngony, Balafon, die Tradition der berühmten Griots, der professionellen Musikerkaste aus Mali, oder die Geschichte des ostafrianischen Daumenklaviers, dem hilft, wie auch in den anderen Bänden, eine ausführliche Bibliographie weiter.

    Auch die westlichen Ohren vielleicht mit am schwersten zugängliche Musik, die des arabischen Raums, gibt in der Reihe manches ihrer Geheimnisse preis. Der Arabist Frederic Lagrange hat sein Buch über die ägyptische Musik nicht geographisch, sondern historisch gegliedert. Von der traditionellen ländlichen bis zur Kunst-Musik des 20. Jahrhunderts spannt sich der thematische Bogen. Allerdings: "Gott war in Ägypten stets anwesend", umreißt der Autor den kultischen Ursprung der Musik und widmet sich daher ausgiebig deren religiösen Ursprüngen. Hört man die CD, die diesem Band wie auch den anderen beigelegt ist, werden sich nicht alle Stücke erschließen.

    Aber eines wird klar: Die Weltmusik ist ein kaum bekanntes Land, geheimnis- und darum auch außerordentlich verheißungsvoll. Und vor allem: eine charmante Alternative zu den synthetischen Klängen des Techno-Zeitalters.