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Weltpremiere

Die Karriere des britischen Literatur-Nobelpreisträgers Harold Pinter kam nur mühsam in Gang. Mit 18 verweigerte er den Militärdienst und kam ins Gefängnis. Von seinen beiden ersten Stücken konnte er kaum leben; der Erfolg kam, als er 30 war: mit der Uraufführung seines dritten Stücks "The Caretaker".

Von Ruth Fühner | 27.04.2010
    Eigentlich hatte die Londoner Theaterwelt im Frühjahr 1960 auf ein ganz anderes Pferd gesetzt: auf Eugene Ionescos "Nashörner" am Royal Court Theatre, mit Laurence Olivier in der Hauptrolle, Regie Orson Welles. Aber dann lief am 27. April dem Favoriten eine Uraufführung den Rang ab, auf die keiner gewettet hätte: Harold Pinters "Caretaker", deutsch: "Der Hausmeister". Ein undurchsichtiges Stück über die Machtspielchen zwischen zwei Brüdern und einem Obdachlosen, der Schauplatz: eine Bruchbude voll Gerümpel. Hier ein Ausschnitt aus der Verfilmung von Clive Donner, mit Alan Bates und Donald Pleasance, die auch in der Uraufführung spielten:

    Harold Pinter gab nicht gern Einblick in seine dramatische Werkstatt, und was er über seine ersten drei Stücke zu sagen hatte, lüftet das Geheimnis nicht wirklich:

    "Ich betrat einen Raum und sah eine Person stehen und eine sitzen, und ein paar Wochen später schrieb ich 'Das Zimmer'. Ich betrat einen anderen Raum und sah zwei Leute sitzen, und ein paar Jahre später schrieb ich 'Die Geburtstagsfeier'. Ich blickte durch eine Tür in einen dritten Raum und sah zwei Leute stehen und ich schrieb den 'Hausmeister'."

    Kein Wunder bei solchen Äußerungen, dass Pinters Stücke schnell dem absurden Theater zugeschlagen wurden, das, mit den Mitteln der Komik und der Groteske, um die Sinnleere der Existenz, die Orientierungslosigkeit des Menschen kreiste. Tatsächlich verehrte Pinter Beckett und liebte "Warten auf Godot". Das typisch "Pintereske" aber am "Hausmeister" ist das Oszillieren zwischen dem Absurden und dem kitchen-sink-Realismus, jener gesellschaftskritischen Wohnküchen-Dramatik, die damals das englische Theater beherrschte.

    Von Beckett hat Pinter die schwebende Undurchschaubarkeit der Situation, den Verzicht auf Plot und Handlung – mit Kollegen wie John Osborne teilt er den präzisen Blick auf die Trostlosigkeit der Unterschicht. Schließlich kannte Pinter das Elend aus eigener Erfahrung: als Schauspieler nagte er am Hungertuch, und seine beiden ersten Stücke waren bei Publikum und Kritik durchgefallen.

    "Ich hab Ihre Tasche.
    Oh, danke Mister, danke.
    Was ist das?
    Geben Sie her, das ist meine Tasche.
    Diese Tasche hab ich schon mal gesehen.
    Das ist meine Tasche.
    Diese Tasche kommt mir bekannt vor.
    Was soll das heißen?
    Wo haben Sie die her?
    Das ist meine Tasche.
    Was?
    Das ist meine Tasche. Sagen Sie ihm, dass die mir gehört!
    Das ist Ihre Tasche?
    Geben Sie her.
    Nu gib sie ihm doch.
    Was? Was soll ich ihm geben?
    Na diese verdammte Tasche.
    Hokus pokus fidibus, jetzt ist die Tasche weg.
    Wo wollen sie hin?
    Ich will meine alte Tasche.
    Ganz sachte, Sonnenscheinchen, mal ganz sachte. Sie klopfen an die Tür, wenn niemand zuhause ist. Übertreiben Sie's nicht. Sie kommen in anderer Leute Haus und fingern an allem rum, was Ihnen in Reichweite kommt. Hauen Sie mal nicht zu sehr über die Stränge, Junge."


    Der "Hausmeister" handelt vom Abstand zwischen Fantasie und Realität, von neurotischen Spielchen und von Blut, das dicker ist als Wasser. Die Atmosphäre ist bedrohlich und lachhaft zugleich, und die Protagonisten können einem das Herz zerreißen – der über die Maßen gutmütige, psychiatriegeschädigte Aston, sein Bruder Mick, der gern den Boss herauskehrt, und der obdachlose Davis, der vielleicht auch ganz anders heißt und vergeblich versucht, sich bei den beiden mit Tricks und Druck einzunisten.

    "Alles was passiert, ist, dass sie reden, aneinander vorbeireden, und in Augenblicke der Gewalt ausbrechen, die die Verzweiflung der Welt widerspiegeln. Es erschütterte das Publikum und entließ es nachdenklich Ich wiederhole: dieses Stück ist ein Ereignis",

    urteilte der Kritiker des Observer. Das denk- und erschütterungswillige Publikum rannte dem Londoner Arts Theatre die Türen ein. Daraufhin wurde "The Caretaker" - in der Regie von Donald McWhinnie - in ein größeres Haus verlegt und insgesamt 444 Mal aufgeführt. Der Evening Standard wählte es zum Stück des Jahres, und sein Autor war auf dem besten Weg, einer der meistgespielten und einflussreichsten britischen Dramatiker aller Zeiten zu werden. 45 Jahre nach der Uraufführung erhielt Harold Pinter den Nobelpreis für Literatur.