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Weltpremiere "El Público"
Spanische Identitätssuche mit surrealen Chiffren

Der spanische Schriftsteller Federico García Lorca machte eine persönliche Krise durch, als er 1936 auf Kuba sein surrealistisches Stück "El Público" schrieb. 2010 bekam der Dirigent und Komponist Mauricio Sotelo den Auftrag, daraus eine Oper des 21. Jahrhunderts zu machen. Unser Rezensent war bei der Weltpremiere in Madrid.

Von Frieder Reininghaus | 25.02.2015
    "El Público" sei, so ließen die Veranstalter vorab wissen, ein geheimnisumwittertes "dunkles" Stück. Tatsächlich stehen, scharren und grasen dann recht bald drei gutgebaute Ballett-Tänzer als Schimmel mit langen blonden Mähnen auf dem Bühnenparkett. Die Pferde stehen als allegorische Figuren bereit und tänzeln als Chiffre für die ungebärdigen Naturgewalten im Allgemeinen und für die Sexualität im Besonderen um die Protagonisten. Freilich ist solche ausgespielte ‚dunkle' Symbolik nur eine der Komponenten des Stücks. Es geht weiter (und keineswegs nur beiläufig) um die Fragen innovativer Regie und überhaupt das "wahre Theater" in den 1930er Jahren, mithin also auch um Theatertheorie.
    Surreal getönte Geschichte
    Die Rahmenhandlung bildet die surreal getönte Geschichte des Theaterdirektors Enrique, der in einer erstarrten Beziehung mit seiner repräsentativ-schönen Ehefrau lebt, aber vom früheren Liebhaber Gonzalo zur Rede gestellt wird – wegen der Aufkündigung der gesellschaftlich geächteten Beziehung und seiner mutlosen Art des Theatermachens.
    Den Theaterprinzipal, dem José Antonio López mit überragendem Bass alle erdenkliche Seriosität verleiht, treibt dies dazu, sich der einst für revolutionär gehaltenen, wohl maßgeblich von Gonzalo stammenden Theorie eines "Theaters unter dem Pflasterstrand" zu entsinnen. Er besetzt Shakespeares "Romeo und Julia" mit zwei Schauspielern. Dieser Regie-Einfall löst größere gesellschaftliche Verwerfungen aus. Der religiös verklärte Liebhaber Gonzalo fällt der konterrevolutionären Gewalt zum Opfer. Seine Mutter verlangt die Aushändigung der Leiche.
    Ausgesprochen vielgestaltig, abwechslungs- und kontrastreich erscheint die Musik des in erheblichem Umfang auch in Wien tätigen Komponisten Mauricio Sotelo. Der betont, wie sehr alle musikalischen Momente aus dem Text heraus entwickelt wurden. Aber es gibt da doch sehr stark überschießende Momente, in denen sich eine ungebärdige Kreativität Bahn bricht. Die schließt den wohldosierten Einsatz von Flamenco-Musik ein und etabliert so neues colorit locale.
    Pablo-Heras Casado gelingt als Dirigent die Balance des Ungleichgewichtigen und die Homogenisierung des Divergierenden überzeugend. Für die selbstverliebten Längen im überproportional ausgedehnten ersten Teil ist er nicht verantwortlich.
    Von der mittleren Donau hat der Komponist Sotelo auch das Klangforum mit nach Kastilien gebracht. Die Raum-Klang-Regie von Mauro Lanza und Peter Böhm basiert auf durchgehendem diskreten "Support" für alle akustischen Ereignisse und sorgt in ihrer Raffinesse immer wieder für Verblüffung. Das Kompliment hinsichtlich der Effizienz und Delikatesse gilt insbesondere auch dem Regie- und Ausstattungs-Team um Robert Castro und Alexander Polzin. Gelegentlich zitierte die Bühnenausstattung Motive der surrealistischen Malerei herbei und Wandbilder, wie sie in sozialen Kontexten der Stadtgestaltung in den 30er, 40er und 50er Jahren Gang und Gäbe waren.
    Optisch virtuos gelungene Spiegeleffekte
    Die Spiegeleffekte für die Szenen des Aufruhrs sind optisch so virtuos gelungen wie die Arie von Isabella Gaudí als Juliette akustisch – da triumphiert die Höhensicherheit, während sich die Sängerin auf den leuchtenden Labyrinthlinien tief legt. Man mag sich am Ende des opulenten Abends womöglich fragen, ob das ökonomisch und inzwischen auch massiv politisch gebeutelte Spanien für die Oper keine vordringlicheren Themen kennt als den immer noch nicht vollständig gewonnenen Kampf gegen die Unterdrückung der Homosexualität und die Theaterreformbestrebungen der 30er Jahre. Aber der zu goutierenden Ernsthaftigkeit und großen Sinnlichkeit tut dieser eher theatertheoretische Einwand keinen Abbruch.