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Weltpremiere vor Portugal

Umwelt. – Die Wellenenergie des Meeres ist eine verführerische Kraftquelle, die bislang nahezu ungenutzt ist. Vor der Küste Portugals soll jetzt der Prototyp eines neuen Wellenkraftwerks in Betrieb gehen. Der Name Pelamis, Seeschlange, spricht für sich. Es sind Ketten aus Stahlzylindern, die die Energie erzeugen. Auf dem Weltkongress für erneuerbare Energien in Florenz wurde das Projekt vorgestellt.

Von Volker Mrasek | 24.08.2006
    David Lindley sagt von sich, dass er in Florenz nicht so richtig glücklich sei. Er mache sich nun mal leider nichts aus Pizza und Pasta. Vielleicht wählt er deswegen einen anderen Vergleich, um zu beschreiben, was sich noch niemand so recht vorstellen kann: den weltweit ersten Wellen-Park im Ozean. Er entsteht im Moment vor der Küste Portugals und soll noch in diesem Jahr Netzstrom an Land liefern:

    "”Wir nennen unsere Entwicklung Pelamis. Das bedeutet: Seeschlange. Stellen Sie sich einfach vier riesige Bratwürste vor, die aneinandergereiht auf dem Meer schwimmen, senkrecht zur Küstenlinie. Und dann stellen Sie sich vor, dass Wellen auf sie zulaufen. Und die Würste versuchen, darauf zu reiten.""

    Wellenreitende Würste im Atlantik! In Wahrheit sind es dicke Stahlzylinder, jeder von ihnen 30 Meter lang und über 3,5 Meter im Durchmesser. Die noch junge schottische Firma Ocean Power Delivery hat sie entwickelt. Maschinenbau-Ingenieur David Lindley ist einer ihrer Geschäftsführer. Miteinander verbunden sind die schwimmenden Röhren jeweils durch bewegliche Scharniere. Die Wellen sorgen dafür, dass sie sich heben und senken. Das ist so, als würde man ein Kniegelenk mal strecken und mal beugen. Aus diesem ständigem Auf und Ab lässt sich etwas machen. Lindley:

    "Die Röhren heben und senken sich also andauernd und bewegen auf diese Weise hydraulische Kolben in den Verbindungsstücken zwischen ihnen. Dadurch wird ein Hochdruck-Öl in einen angeschlossenen Hydraulik-Motor gepumpt, und der wiederum treibt einen Stromerzeuger an. All das geschieht an Bord."

    Mit dem neuen Wellenpark ist es wie mit den ersten Windparks im Meer: Man fängt klein an, später wird aufgestockt. Von den stählernen Seeschlangen sollen zunächst einmal drei Stück bis zum Herbst verankert werden - und zwar fünf Kilometer vor der portugiesischen Küste. Zusammen bringen sie es auf eine elektrische Leistung von etwas über zwei Megawatt. Das ist vergleichbar mit dem, was gängige große Windkraft-Turbinen heutzutage erreichen. Später sollen es dann 28 Seeschlangen sein, jede mit vier auf dem Meer schaukelnden Stahlröhren. Wenn alles klappt, werden sie den Atlantikwellen am Ende genügend Energie entziehen, um 15.000 Haushalte mit elektrischem Strom zu versorgen. Lindley:

    "”Es gibt viele nutzbare Küsten für die Wellenenergie. Zum Beispiel in Spanien und Portugal, in Frankreich und Großbritannien, wo starke Winde vom Atlantik wehen. Aber auch in Südafrika und Südamerika. In den USA wird gerade nach geeigneten Abschnitten an der West- und Ostküste gesucht. Es gibt viele Plätze auf der Erde, wo man die Wellenkraft-Technologie anwenden kann. Und wir stehen erst am Anfang der Entwicklung.""

    In Europa existiert inzwischen ein Aktionsbündnis zur Förderung der Energie aus dem Meer. Ihm gehören zahlreiche Forschungseinrichtungen und Firmen aus insgesamt zwölf Ländern an. Im jüngsten Statusbericht der Initiative heißt es, das Wellen-Klima an der europäischen Atlantikküste sei - Zitat - "hochenergetisch". Allein dort steckten Ressourcen in der Größenordnung von fast 300 Gigawatt im Meer. Das entspricht gut und gerne der Leistung von 400 bis 500 Kohle-Kraftwerksblöcken. dass die erste kommerzielle Wellenkraftanlage jetzt vor Portugal entsteht, ist dabei kein Zufall. Die Regierung hat beschlossen, Strom aus dem Meer üppig zu vergüten, mit über 20 Euro-Cent pro eingespeister Kilowattstunde. Die stählerne Seeschlange wird deshalb kein Einzelgänger bleiben. Veronica La Regina vom Forschungszentrum für Wellenenergie in Lissabon:

    "”Spätestens in fünf Jahren soll es in Portugal schon fünf Wellen-Parks geben. Dann werden auch die Umwelt-Verträglichkeitsprüfungen abgeschlossen und die günstigsten Standorte gefunden sein.""

    Auch in Schottland und Wales wird noch in diesem Jahr mit ersten Aufträgen für Wellenparks gerechnet. Große Energieversorger wie BP und Norsk Hydro investieren inzwischen in die Technologie. Europa schwimmt offenkundig auf einer neuen Energiewelle.