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Weltspiele – Sport und Kolonialismus (12)
Warum Rassismus tief in der Sportindustrie verankert ist

Läufer aus Subsahara-Afrika haben eine bessere Ausdauer? Afroamerikanische Basketballer springen höher? Rassistische Stereotype halten sich hartnäckig. Die Gründe liegen auch im Kolonialismus. Doch auch im Sport werben nun mehr Netzwerke für nicht-weiße Führungskräfte – und damit für Differenzierung.

Von Ronny Blaschke |
Junge Läufer sind auf einer Straße im roten Sand rund um die Kleinstadt Iten im hügeligen Hochland Kenias unterwegs
Genetischer Vorteil? Kenia ist für seine starken Langstreckenläufer in der ganzen Welt berühmt (dpa /Norbert Wilhelmi)
In den 1980er Jahren kommen die besten Mittelstreckenläufer aus Großbritannien. Als Ursachen gelten Trainingsqualität und Lauftradition – niemand glaubt an genetische Vorteile von Europäern. Bald gewinnen viele schwarze Läufer aus den USA, Jamaika und Subsahara-Afrika wichtige Wettbewerbe. Nicht nur in Großbritannien beginnt eine Suche nach genetischen Nachteilen der "eigenen Rasse", erzählt der Historiker Gavin Evans.
"Viele gute Läufer kamen aus einer bestimmten Region in Kenia. Und so glaubten etliche europäische Sportler, dass es dort ein Wundergen geben muss. Seriöse Forschungen haben klargestellt: Es gibt geringe genetische Unterschiede zu Europäern, aber entscheidend für den Erfolg sind andere Gründe. Die meisten kenianischen Läufer kamen aus einer Hochebene, das hatte Vorteile fürs Ausdauertraining. Und sie wollten durch Sport der Armut entkommen."
Der Fußballplatz eines Dorfes ohne nennenswerten Rasen und mit einem roh gezimmerten Tor ohne Netz aus Baumstämmen, aufgenommen am 2006 nahe der Stadt Blantyre (Provinz Mphuka) in Malawi.
Es gibt soziale, aber keine biologischen Unterschiede
In seinem Buch "Skin Deep" nimmt Gavin Evans den Rassismus der Wissenschaften aus den vergangenen zwei Jahrhunderten auseinander. Und er geht auch auf den Sport in den USA ein. Dort, so Evans, glauben viele Menschen, dass Afroamerikaner aus genetischen Gründen höher springen können und so schneller in der NBA landen. Dass Basketball für viele Schwarze der wichtigste Jugendsport ist, zur Popkultur gehört und einen sozialen Aufstieg ermöglicht, das berücksichtigen sie weniger. Und was sie wohl nicht wissen: Die Olympiasieger im Hochsprung sind seit dem Jahr 2000 alle weiß. Gavin Evans sagt:
"Ein anderes Beispiel: Es gibt in den USA Vorurteile gegen schwarze Schwimmer. Manche glaube, sie seien wegen ihrer schweren Knochen langsamer. Aber das ist Unsinn. Tatsächlich waren Schwimmbäder für schwarze Menschen lange geschlossen. Und auch nach der Bürgerrechtsbewegung blieb das Schwimmen lange ein weißer Sport. Noch heute ist der Anteil von Nichtschwimmern unter schwarzen Kindern viel höher. Aber das hat nichts mit Genetik zu tun."
Der Start bei einem Rennen im Rückenschwimmen bei einer High-School-Meisterschaft
Typisches Bild im US-Schwimmsport (High School): Durchgehend weiße Starterinnen (Richard Graulich/imago)
Ein Menschenzoo bei Olympia
Stereotype wie diese stammen aus der sogenannten "Rassenlehre" während des Kolonialismus. Europäische Wissenschaftler bewerten Afrikaner schon im 18. Jahrhundert als kraftvoll und wild. Zu den Olympischen Spielen 1904 in St. Louis gehören die "Anthropologischen Tage" für "unzivilisierte Stämme". Damals werden indigene Menschen oft in Zoos präsentiert, auch im Deutschen Kaiserreich. Und so sollen sie auch bei Olympia Steine werfen, auf Bäume klettern und im Schlamm kämpfen.
Jahrzehnte später, bei der Fußball-WM 1974, feiern Medien die Spieler aus Zaire als Leoparden, die eindrucksvoll springen können. Und in der Gegenwart, das zeigen Forschungen, gehen TV-Kommentatoren bei schwarzen Spielern mehr auf Kraft und Schnelligkeit ein, weniger auf Taktik und Disziplin. Kurt Wachter von der Initiative Fairplay in Wien beschäftigt sich mit Diskriminierung im Fußball.
"Da gibt es auch aktuelle Untersuchungen, dass das wirklich noch so ist: Dass eben Positionen wie kreativer Mittelfeldspieler, Torwart und so weiter, dass das einfach eine Domäne ist nach wie vor ist von Weißen. Und alles, was mit Physikalität, mit Athletik zu tun hat, dass das verstärkt schwarze Menschen sind."
Schwarze Athleten, weiße Führungskräfte
Am Beispiel von England werden die Folgen des Kolonialismus deutlich: 33 Prozent der Spieler in der Premier League sind schwarz. In den Trainerteams dagegen sind nur knapp vier Prozent schwarz, in den Führungsgremien der Klubs oder bei Schiedsrichtern sind es weniger als zwei. In Afrika hingegen, so der Eindruck, sind viele Nationalteams noch immer von europäischen Trainern und Beratern abhängig. Diese Strukturen haben historische Gründe, sagt der Journalist und Podcaster Marcel Aburakia. Entscheidungsträger aus Verbänden wie der Fifa kommen lange aus Kolonialmächten. Diese Dominanz wirkt nach. Zum Beispiel auf die WM 2010 in Südafrika, der ersten auf dem afrikanischen Kontinent. Marcel Aburakia:
"Ich erinnere mich an sehr viele Artikel, die sich mit der landesweit fehlenden Sicherheit befasst haben. Nach dem Motto: Also dieses Land ist beherrscht von Wilden. Die Schwarzen würden die ganze Zeit nur Menschen kidnappen. Und der Grundgedanke war eigentlich nie 'wie geht es den Leuten vor Ort?' Sondern: 'Können wir als weiße europäische Fans oder Funktionäre oder Spieler vor Ort uns sicher bewegen?'"
Fans von Inter Mailand präsentieren ein Plakat für Samuel Eto'o: Lion King
Fan-Transparent bei Inter Mailand: König der Löwen Samuel Eto'o (imago images / Gribaudi)
Tierähnliche Kämpfer für die Vermarktung
Die Werbeindustrie will mit der WM 2010 afrikanische Märkte erschließen. Ein deutscher Sportartikelhersteller lässt in einem animierten Spot den kamerunischen Spieler Samuel Eto’o gegen einen Löwen kämpfen. Ein Beispiel von vielen für die Darstellung schwarzer Athleten als tierähnliche Kämpfertypen. Solche Kampagnen stammen aus Netzwerken, die selten die Diversität der Gesellschaften spiegeln. Das gilt auch für den Sportjournalismus in Deutschland, sagt der freie Autor Philipp Awounou:
"Ich war in fast allen Stadien der ersten und zweiten Bundesliga mittlerweile. Und ich kann sagen, dass ich in 95 Prozent aller Fälle der einzige Mensch bin, der nicht weiß ist im Presseraum. Wir haben da eine sehr starke homogene weiß-männlich dominierte Gruppe im Sportjournalismus, mehr noch als in anderen journalistischen Genres. Wenn ein weißer Kommentator problematisch über nicht weiße Spieler spricht, dann kann er danach heimgehen und alles ist egal, weil an der Sicht über ihn hat sich nichts geändert."
Projekte gegen koloniale Klischees gibt es kaum
In jüngerer Vergangenheit entstehen Sportnetzwerke, um die Sichtbarkeit nicht-weißer Menschen zu stärken. In Großbritannien diskutieren Spieler, Journalisten und Trainer in der Denkfabrik "Football Black List". In den USA wächst das Bündnis "Black Players for Change". Doch in der polarisierten Gesellschaft unter Donald Trump schlagen rechte Stimmen zurück. "Shut up and dribble", sagt die Fox-News-Moderatorin Laura Ingraham über den politisierten Basketballer LeBron James.
"Und hat ihm ganz klar die Kompetenz abgesprochen, außerhalb vom Spielfeld irgendeine Relevanz zu haben für die Gesellschaft", erklärt Reporter Philipp Awounou. "Ein Jahr später supportet der Quarterback Drew Brees, weiß der Mann, Donald Trump öffentlich, was für viel Wirbel gesorgt hat. Und die gleiche Moderatorin sagt: ,He is allowed to have an opinion‘, er darf seine Meinung äußern. Und daran sehen wir so krass diesen Doppelstandard."
Baskeballspieler Forward LeBron James am 8. März in Los Angeles. Ein Mann steht auf einem Spielfeld. 
Basketballspieler LeBron James am 8. März in Los Angeles. (imago images/Icon SMI)
Es gibt viele Kampagnen gegen Rassismus. Doch es gibt kaum Projekte, die koloniale Stereotype ansprechen, in Sportkommentaren oder in Spielfilmen wie "White Men Can’t Jump". Das scheint sich nun im Zuge von Black Lives Matter zu ändern. Doch von hochrangigen Sportfunktionären ist zum Thema Kolonialismus wenig zu hören.
Drew Brees in Trikot und Schonern aber ohne Helm.
Footballspieler Drew Brees (New Orleans Saints) (www.imago-images.de)