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Weltsprache der Kunst

Flamenco, eine hermetische Kunst. Entstanden im abgeschlossenen Kreis der andalusischen Zigeuner, die jahrhundertelange Erfahrung von Verfolgung und Leid in dunkle Verse und bittere Melodien verwandelten. So zumindest will es der Mythos. Dass daran wenig, um nicht zu sagen: gar nichts stimmt, hat dieser Legende bis heute wenig anhaben können. Denn tatsächlich ist der Flamenco ein Produkt der europäischen Romantik, die sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die Industrialisierung vor Augen, der alten Zeiten durch Hinwendung auf landestypische Figuren zu vergewissern suchte: eine Aufgabe, die in Andalusien vor allem die Zigeuner übernahmen. Nüchtern durch und durch ist demnach die Geschichte des Flamencos - aber das, so der in Sevilla lehrende Soziologe und Flamencoforscher Gerhard Steingress, will aus einsehbaren Gründen niemand wissen.

Von Kersten Knipp | 27.03.2004
    Weil die Institutionen, die den Flamenco forcieren, natürlich wenig Interesse daran haben, ihn zu entmystifizieren. Der Mythos, dass der Flamenco, diese so genannte hermetische Phase, sozusagen die Zigeunerhöhle in der der Schrei ausbricht und die Menschen ergreift, verkauft ja ganz gut, und das Produkt wird damit natürlich interessanter, das darf man nicht vergessen. Der Mythos gehört zum Phänomen, man kann ihn nicht einfach abtrennen.

    Doch mittlerweile gibt es in Andalusien immer mehr Anstrengungen, der Welt des Flamenco endlich als Kunst von internationalem Rang vorzustellen. "Flamenco und Globalisierung" war etwa das diesjährige Festival von Jerez de la Frontera überschrieben - ein Titel, der, so Festivaldirektor Francisco López, auf die hybriden Ursprünge und die gegenwärtigen Tendenzen zur Vermischung mit anderen Kulturen hinweisen soll.

    Ich glaube, der Flamenco ist, um sich selbst zu erhalten, auf die Globalisierung dringend angewiesen. Wir wollen zum Ausdruck bringen, dass es sicher immer einige Künstler gibt, dank derer eine Kunst entsteht oder sich erheblich weiter entwickelt. Aber dann wird sie zum Allgemeingut. Und so wie es keine Rasse gibt, die den Flamenco für sich beanspruchen kann, gibt es auch keinen spezifischen Urheber der Lyrik oder der Oper. Die Kultur ist immer ein Produkt der Mischung vieler anderer Kulturen.

    Um auf diese vielfältigen Wurzeln hinzuweisen, hat die derzeitige andalusische Regionalregierung soeben ein touristisches Programm, die "rutas flamencas", aufgelegt. Ausländische Besucher sollen sich auf insgesamt sieben Touren zu den historischen Stätten des Flamenco mit dessen Ästhetik und Geschichte vertraut machen. Macías Moreno, der Leiter des Programms:

    Wir sehen unsere Aufgabe darin, den Besuchern der Flamencorouten in die künstlerischen und didaktischen Eigenheiten des Flamencos einzuführen, so dass er ihn theoretisch wie praktisch besser kennen lernt. Fünf Tage lang stellen wir den Flamenco auf Konferenzen, in Konzerten und Begegnungen mit Künstlern vor, so dass sie den Flamenco am Ende etwas besser kennen und diese besondere andalusische Kunst schätzen lernen.

    Zudem soll Anfang April auch die deutsche Ausgabe des "Guía Flamenco", des von der andalusischen Regierung herausgegebenen Flamencoführers erscheinen.

    Und doch ist der Tourismus nicht alles. In Jerez de la Frontera soll eine "ciudad flamenca", eine Flamencostadt, entstehen, die neben einer Bibliothek mehrere Konzert- und Vortragssäle enthalten soll. Außerdem sollen für die Sparte "Kunst" des diesjährigen Prinz-von-Asturien-Preises mehrere Flamencokünstler - etwa Paco de Lucia, Matilde Coral oder Enrique Morente - vorgeschlagen werden. Ein deutliches Signal für das Bestreben, der bislang allzu oft noch unter "Folklore" abgehandelten Musik endlich den Charakter einer ernstzunehmenden Kunst zu sichern. Francisco López, einer der Väter der Idee:

    Der Flamenco kann zwar durchaus für sich selbst stehen. Aber in der globalen Kommunikationsgesellschaft kann der Flamenco mediale Unterstützung durchaus gebrauchen. An dem Vorschlag waren mehr als 30 Festivals, Gesellschaften und Repräsentanten des Flamenco beteiligt – mit dem Anliegen, dem Flamenco in den Medien zur Anerkennung zu verhelfen.

    Noch weiter geht eine andere Initiative. Sie will den Flamenco zum Kulturerbe der Menschheit erklären lassen. Diese von der UNESCO eingerichtete Programm hat sich bislang meist um vom Untergang bedrohte kulturelle Ausdrucksformen verdient gemacht - was für den Flamenco, so Gerhard Steingress, Mitglied der andalusischen Initiative, natürlich kaum zutrifft.

    Wobei im Flamenco natürlich ein Problem vorhanden ist: es handelt sich ja nicht um eine tote Tradition, sondern es handelt sich um einen lebendigen künstlerischen Ausdruck. Also es existiert ein gewisser Widerspruch in der Konzeption des Flamenco als Weltkulturerbe. Aber wenn man davon ausgeht, dass Kultur nicht nur etwas Gestriges ist, etwas Vergangenes, was man museal behandeln muss, sondern was auch in Zukunft Neues hervorbringen kann, dann ist der Schutz dieses Klimas, dieses künstlerischen Wachstumsklimas, durchaus sinnvoll.

    Flamenco - längst nicht mehr nur die Musik der andalusischen Zigeuner. Sein reiches Formeninventar, seine vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten legen nahe, ihn der großen Öffentlichkeit endlich als das vorzustellen, was er längst ist: eine der großen Weltsprachen der Kunst.