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Welttournee von Räumen

Kunst, Theater, Tanz, Installation - eine Fusion aus all diesem markiert die Serie "Rooms". Gezeigt werden diese Räume von zwölf internationalen Künstlern im Museum Folkwang in Essen. Zuvor war das Projekt in Manchester, danach geht es nach Sydney.

Von Peter Backof |
    Hunderte von Menschen drängen ins Museum Folkwang, am Eröffnungsabend von 12 Rooms. Lange Warteschlangen bilden sich an den Zugängen. Zu den zwölf Räumen im Raum. Die sind: labyrinthisch gestellt, die Wände von außen zart-grau gestrichen. Und innen? Jeweils eine Welt für sich.

    "Was man hört, ist der Klang des Raums."

    Es rauscht, es klingt nach Störgeräusch - es stimmt nostalgisch: Zwei alte Tonbandgeräte hat die kalifornische Künstlerin Lucy Raven installiert, einen Performer engagiert, der sich selbst mikrofoniert:

    "Wenn ich fertig bin, werde ich die Aufnahme abspielen und davon eine zweite Generation der Aufnahme machen. Danach nehme ich diese Aufnahme und wiederhole den Vorgang."

    Bis der Wortsinn allmählich im Rauschen verschwindet, kommentiert Lucy Raven. "Room Tone" ist so eine Hommage - im Kern die erste Realisierung eines nie aufgeführten Stücks des Sound Art Pioniers Alvin Lucier von 1969. Im akustischen Kontext von heute: ein schlaues Spiel mit der - vermeintlich überholten - analogen Technik. Denn die Besucher, die leise plaudernd an diesem Raum vorbei strömen, wirken mit, an der allmählichen Verdichtung des Schalls. Rückkopplung, Feedback im doppelten Wortsinn.

    Die Kuratoren Klaus Biesenbach und Hans Ulrich Obrist aus dem Direktorium des Museums of Modern Art in New York und der Serpentine Gallery in London – respektive – bündeln, vollführen eine Art globalen Scan, was derzeit an der Schnittstelle zwischen Kunst und Theater weltweit geschieht und diskutiert wird. Von der Politperformance, die sich mit chinesischer Außenpolitik beschäftigt, bis zum – ja, was ist das eigentlich?

    "Also gibt es Interesse? Wer möchte das mit mir tauschen?"

    Eine Jahrmarktsgaukelei, ein leichtes Stück Improvisationstheater? Der slowakische Künstler Roman Ondák setzt einen Performer an einen Tisch in der Mitte seines Raums. Ringsum stehen die Besucher, die aufgefordert werden, hervorzukramen, was sie gerade in ihren Taschen dabei haben – einen Lippenstift, ein Fläschchen Augentropfen – um dieses dann wie einen sich ständig verändernden Staffelstab mit dem Performer zu tauschen.

    Die Idee der Progression ins Unendliche durchzieht das global konzipierte Projekt. In der ersten Station Manchester waren es elf Räume, in Essen zwölf, in Sydney werden es dreizehn sein. Und so weiter. Ein Makrokosmos, der sich im konkreten Mikrobiotop freilich immer wechselnd gestaltet.

    "Ich denke mal, Kommunikation ist doch was Feines!"

    Kommentieren Hans und Georg Honeleit aus Bochum lapidar ihren Auftritt. Zwei Männer, Mitte 50, sitzen auf Stühlen an der Wand und lesen in ihren Motorradzeitschriften. Eine Wartesaalsituation. Der Clou in dieser Performance von Damien Hirst aus London: Die Honeleits sind eineiige Zwillinge, dazu noch gleich angezogen, eines von drei Paaren, die buchstäblich von der Straße weg engagiert wurden, um die nächsten zehn Tage hier zu sitzen.

    "Durch Zufall. Reiner Zufall."

    Über den beiden auf die Wand gemalt: ein streng quadratisches Raster aus daumenbreiten farbigen Punkten. Von Damien Hirst nach Essen verschickt als Komplett-Malset im Koffer, mit den Farben und einer Malanleitung. Konsequent, denn diese Performance braucht den Künstler nicht. Wohl aber die Besucher. Und gleich entspinnen sich in diesem Raum rege Diskussionen: Warum warten die beiden hier, warum unterscheiden sich die Farbraster deutlich voneinander, die Zwillinge dagegen - auch nach längerem Ansehen – nicht? Sind das Fährten, Hinweise auf irgendeine genetische Individualität?

    "Die Sache ist unklar. Man kann wissen, was es ist - aber man sollte unsicher sein. Und aus dieser Unsicherheit es ist die Frage: Was ist selbst produziert, was ist passiv, was ist aktiv, was ist ein Subjekt, was ist ein Objekt?"

    Der französische Choreograf und Künstler Xavier Le Roy bespielt den Raum, der jetzt - zwischen Manchester und Sydney - neu dazugekommen ist zu der Rooms-Welttournee. Sein Raum ist komplett tapeziert mit mausgrauem Teppich. Nur wenn jemand hereinkommt, fällt durch den Türspalt ein wenig Licht. Man sieht dann jemanden am Boden sitzen. Oder liegen? Bewegt er sich - oder nicht? Was ist das für ein Mantel, spielt er mit einer Puppe? Xavier Le Roy schafft so, im Zwielicht, ein Bild dafür, was Performance Art überhaupt ausmacht: Dieses Werk macht ohne Publikum überhaupt keinen Sinn. Mehr noch: Durch ihr Eintreten öffnen die Besucher die Blende dieser Camera obscura und sorgen so dafür, dass das Werk überhaupt existiert.