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Weltweit einmalig, aber nicht unumstritten

Andere Länder, andere Sitten. In Deutschland gibt es für die Deckung des Fleischbedarfs zum Beispiel Rinder- und Schweinefarmen oder auch Hühner- und Putenmastanlagen, ja sogar Straußenfarmen sind hierzulande nichts ungewöhnliches mehr. Auf den Cayman-Inseln, in der Karibik zwischen Kuba und Honduras, gibt es - und das ist für unsere Ohren dann doch etwas ungewöhnlich - eine Schildkrötenfarm. Sie hat den gleichen Zweck, wie bei uns die Ställe zur Massentierhaltung: die "Turtle Farm" soll die Einwohner der Inseln mit Schildkrötenfleisch versorgen. Die Farm ist, nach eigenen Angaben, weltweit einmalig. Und sie ist durchaus nicht unumstritten.

Von Guido Meyer |
    Seit die Cayman Islands entdeckt wurden, sind Schildkröten ein wichtiger Bestandteil der Ernährung gewesen. Zwar werden wir oft gefragt, wie wir nur all diese kleinen Schildkröten umbringen können, aber was wäre die Alternative? Man stelle sich vor, 25-tausend Menschen möchten am Sonntag ihr Lieblingsessen auf dem Tisch haben. Wenn sie es aber nicht von meiner Farm bekommen können, fahren sie selber auf See und fangen auch noch die letzte Schildkröte da draußen.

    Kenneth Hydes, der General Manager der Cayman Turtle Farm, erklärt den Sinn dieser Einrichtung, die auf der Welt einmalig ist. Auf Grand Cayman, der größten der drei Cayman Islands, werden seit den 70er Jahren Seeschildkröten gezüchtet - und diese jährlich von einer Viertel Millionen Menschen besucht. Die Cayman Turtle Farm ist zu einer Art Touristenattraktion geworden, werden die kleinen Schildkröten doch nicht nur zum Verzehr gezüchtet.

    Der zweite Grund für unser Zuchtprogramm ist das Auffüllen der Populationen in unseren Gewässern. Das bedeutet, dass im Durchschnitt 40 Prozent all der Schildkröten, die man hier in den Wannen sieht, in den Ozean entlassen werden. Bis heute haben wir über 28-tausend Tiere freigelassen. Einerseits halten das viele Menschen für eine gute Tat, andererseits ernten wir aber auch wissenschaftlichen Widerspruch. Es gibt zum Beispiel die Theorie, dass wir mit unseren gezüchteten Schildkröten den Genpool des Ozeans aufmischen oder Krankheiten transportieren, gegen die unsere Exemplare geschützt sein mögen, nicht aber die wilden.

    Etwa ein Jahr lang durchlaufen die Tiere etwa 30 Wannen, entsprechend ihrer jeweiligen Größe. Am Anfang steht in diesem Fall das Ei. Die Cayman Turtle Farm hat eine Art Sandstrand, auf den die Weibchen zur Eiablage kriechen, ganz wie im wahren Leben. Das passiert etwa zehnmal im Jahr; und jedes Mal legt Mutti Turtle rund 1500 Eier. Während draußen, in der großen weiten Welt, jedes Mal nur etwa 15 Schildkröten nach dem Schlüpfen lebendig den Ozean erreichen und nicht von Möwen gefressen werden, ist die Überlebensquote auf der Turtle Farm zehnmal höher.

    Die Schildkröten werden markiert, wenn sie freigelassen werden. Sollte sie also eines Tages jemand fangen oder beobachten, erfahren wir durch die Fischer oder Taucher, wo sie sich aufhalten, wie groß sie sind und so weiter. Unsere bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass es ihnen gut zu gehen scheint. Nach einem Jahr, wenn die Tiere in die Freiheit entlassen werden, ist ihr Instinkt so weit ausgeprägt, dass sie sich zurechtfinden und jagen können. Ich habe selbst an Ausfahrten teilgenommen, bei denen wir ausgesetzte Schildkröten wieder eingefangen haben. Die Tiere haben nicht nur gefressen, sondern sind auch regelrecht wild und aggressiv geworden. Auf unserer Farm sind sie ja eher zahm, aber wenn sie einmal freigelassen sind, scheinen sich die natürlichen Eigenschaften durchzusetzen.

    Fast 20-tausend Tiere werden derzeit auf der Cayman Turtle Farm gehalten. Sie fungieren mittlerweile als eine Art lebendige Postkarte der Cayman Islands und machen diese bekannter. Freigelassene Schildkröten mit der Markierung von Grand Cayman wurden schon in den Gewässern der USA, Mexikos und Mittelamerikas beobachtet. Postalische Grüße nach Hause, an Kenneth Hydes, soll aber noch keine geschrieben haben...

    Bis jetzt hat mir noch keine eine Postkarte geschickt. Ein bisschen niedergeschlagen macht mich das schon.