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Wem der Atomausstieg gehört

Ob die Grünen den Atomausstieg der Bundesregierung abnicken, entscheidet sich am Samstag, auf dem Sonderparteitag der Ökopartei. Das Treffen in Berlin gilt auch als Weichenstellung für die Post-Atom-Ära. Die Basis in den Wahlkreisen hat sich aber noch nicht eindeutig entschieden.

Von Wolfram Stahl | 23.06.2011
    Der Abend beginnt mit Stühle rücken. Im Kiezladen der Grünen im Bezirk Tempelhof-Schöneberg ist gleich Mitgliedertreffen.

    "Wir müssen von hinten noch ein paar Stühle holen. Es könnte heute doch ein bisschen voller werden."

    Kreisvorstand Jürgen Roth erwartet mehr Mitglieder als sonst.

    "Ich schätze so mit 30 bis 40 Leute. Aber das ist schwer zu sagen."

    Der langsam auf Touren kommende Wahlkampf fürs Berliner Abgeordnetenhaus, aber vor allem der Sonderparteitag zum Atomausstieg beschäftigt momentan die Grüne Basis.

    "Ich glaube die erste Motivation ist natürlich das Interesse am Thema selber und nicht nur der Parteitag. Der ist ja nur Ausdruck dieses großen Interesses an der Diskussion innerhalb der Partei."

    Kurz vor 20 Uhr sind die Stühle im Kiezladen besetzt. Es gibt an diesem Abend nur ein Thema: der Leitantrag des Bundesvorstandes für den Sonderparteitag, den Djuke Nichelsen kurz beschreibt.

    "Der BuVo schlägt vor, dem Atomausstieg, so wie es Schwarz-Gelb vorschlägt, zuzustimmen, und darüber wollen wir jetzt diskutieren."

    Sofort gibt es Wortmeldungen unter den knapp 30 Mitgliedern. Viele stört, dass der Parteitag dem Leitantrag zustimmen soll, obwohl nur der Zeitpunkt des Atomausstiegs klar ist, Details weiterer Knackpunkte aber noch unbekannt sind. Stimmen der Mitglieder:

    "Ich glaube, parlamentarisch mehrheitlich werden wir Grüne nicht benötigt, damit das durchgesetzt werden kann. Das ist ja klar."

    "Ich wollte noch in eine ähnliche Richtung gehen. Also das ist sozusagen gerade der Hauptkritikpunkt am Vorschlag des Bundesvorstandes, sozusagen: das Ergebnis steht fest, die Verhandlungen sind egal, auch wenn es viele Kritikpunkte gibt."

    Wie der Rest des gesamten Gesetzespaketes aussehen soll, ist vielen Parteimitglieder noch unklar. Sie sorgen sich, weil die Sicherheitsproblematik weiter existiert, die Frage des Endlagers ungeklärt ist und ihnen die Förderung der erneuerbaren Energien schlichtweg ungenügend erscheint. Für die Parteivorsitzende Claudia Roth ist die entscheidende Frage die, wie es die Grünen generell mit der Atomgesetznovelle halten.

    "In dieser Atomgesetznovelle steht drin, die sieben Ältesten plus Krümmel werden abgeschaltet. Und, das geht über den rot-grünen Atomausstieg hinaus, es gibt nicht ein System der Reststrommengenübertragung, bei denen dann die Laufzeiten künstlich verlängert werden können, sondern es gibt ein festes Datum mit dem Ausstieg. Das wäre ja verrückt, wenn die Grünen das nicht als ihren eigenen Erfolg betrachten würden, selbstverständlich stimmen wir dem zu."

    Die Grünen werden mit der Bundesregierung über alles verhandeln, was im Zusammenhang mit dem Atomausstieg steht, sagt Roth. Die Partei möchte Druck machen, wo immer es nötig ist. Das Thema Atomkraft ist noch lange nicht abgehakt und somit den Grünen als ein Kernthema der politischen Ausrichtung auch nicht abhanden gekommen.

    "Ich bin ganz sicher, wir müssen dafür sorgen, dass zum Beispiel die Absenkung der Sicherheitsstandards zurückgenommen wird, dass tatsächlich alle Atomkraftwerke, die noch am Netz sind, überprüft werden. Wir sind überhaupt noch nicht am Ende, was die Frage des Umgangs mit dem Atommüll angeht. Also, da gibt es noch ganz, ganz viel zu tun."

    Im Kiezbüro der Grünen in Tempelhof-Schöneberg gibt es nur wenige, die eine Zustimmung zum schwarz-gelben Atomausstieg ablehnen. Vor allem die Älteren mahnen an, dass die in 30 Jahren erworbene Glaubwürdigkeit nicht durch die Ablehnung aufs Spiel gesetzt werden dürfe. Viele Jüngere fordern jedoch noch einmal härtere Verhandlungen der Parteispitze mit der Regierung, falls der Kanzlerin wirklich an einem Konsens gelegen sei. Mitgliederstimmen:

    "Von daher gehe ich davon aus, dass wir eigentlich schon einen sehr guten Hebel haben, noch ein bisschen mehr von ihr zu bekommen als wir jetzt schon haben."
    "Ich persönlich denke, wenn wir zu etwas, was in unsere Richtung geht, ja sagen, mit dem Wissen, wir wollen mehr."

    Unter den 800 Delegierten, die beim Sonderparteitag in Berlin sein werden, sind dann auch acht Delegierte aus dem Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg. Unsere Leute repräsentieren dort das Stimmungsbild des Mitgliedertreffens, sagt der Kreisvorsitzende Jürgen Roth.

    "Wir haben hier kein imperatives Mandat. Das heißt, die Delegierten werden abstimmen, wie sie das für richtig halten, aber natürlich werden sie die Diskussion heute Abend erwägen und auch in ihrem Herzen bewegen."

    Jürgen Roth spricht von einer hervorragenden Stimmung in der Partei, die auch nicht dadurch getrübt werde, dass es unterschiedliche Auffassungen über den Atomausstieg gebe. Ihn und viele andere stellt vor allen Dingen zufrieden, dass die Meinungsbildung zu diesem Identitätsthema innerhalb der gesamten Partei erfolgt und es kein Diktat der Parteispitze gibt.

    "Hier führen wir wie so oft eine Debatte, die stellvertretend ist für die Gesellschaft, die vielleicht die CDU in ihrem Bereich mal führen sollte. Denn da hat ja Frau Merkel erhebliche Kommunikationsprobleme, die hat unsere Führungsspitze nicht."