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Wem gehört das Meer?

Der Wettstreit um das Meer, als Nahrungs- und Rohstoffquelle, Verkehrs- und Handelsweg, ist längst entbrannt. Ein globales Thema, bei dem Umwelt-, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik aufeinandertreffen.

Von Christina Selzer | 18.09.2009
    Das Meer und die Küste werden von vielen Menschen als Urlaubsort wahrgenommen. Tatsächlich ist das Meer aber Handelsstraße, Nahrungsquelle, Verkehrs- und Fluchtweg, sagt Kai Kaschinski vom Verein für Internationalismus und Kommunikation. Seiner Ansicht nach wird noch zu wenig beachtet, wie stark alles mit allem zusammenhängt. Denn Meerespolitik ist auch ein Spiegel der Globalisierungspolitik, so Kai Kaschinski, der das Seminar mit dem Titel "Wem gehört das Meer" veranstaltet.

    "Ein aktuelles Beispiel ist die Piraterie vor Somalia. Da geht es nicht nur um die Besatzung, auch darum, sichere Handelsrouten für die Globalisierung zu finden. Es geht auch um Fischereipolitik vor Ort, deren Zusammenbruch der Fischerei erst dazu geführt hat."

    Diese Zusammenhänge lassen sich auch vor der Küste Westafrikas feststellen. Ein großer Teil der Afrikaner, die versuchen, nach Europa zu kommen, seien arbeitslosgewordene Fischer, so Peter Willers von der Aktionskonferenz Nordsee.

    "Die Fischer aus dem Senegal verlieren ihre Existenz, weil die Europäer ihnen die Bestände wegfischen. Sie verarmen und versuchen mit ihren kleinen Booten nach Europa zu kommen, auf die kanarischen Inseln."

    Im Jahr 2008 schlug die globale Fischindustrie 141 Millionen Tonnen um. 77 Prozent der globalen Fischbestände sind überfischt oder komplett ausgebeutet. Und davon profitieren die reichen Industriestaaten, so Kai Kaschinski.

    "Aufgrund der Tatsache, dass die EU überfischt ist, hat die EU Verträge mit westafrikanischen, auch mit pazifischen Ländern geschlossen und den EU-Flotten ermöglicht, in deren Hoheitsgewässern zu fischen. Und das ist keine grundsätzliche Klärung der Problematik auf dem Meer."

    Wem gehört das Meer, das so intensiv genutzt und dabei so wenig geschützt ist? Die Frage ist nicht neu. Schon in den 20er-Jahren wurde sie im Völkerbund diskutiert. Damals mussten die Südamerikaner zusehen, wie die europäischen und nordeuropäischen Flotten vor den Küsten Südamerikas fingen, die Südamerikaner selbst gingen leer aus, sagt die Umwelthistorikerin Anna-Katharina Wöbse von Greenpeace:

    "Da ging es um die Frage, warum sind es so wenige, die beteiligt werden, und auch, ob das nicht irgendwann zu Ende ist. Nur weil die Schnellsten das leerräumen, kann das doch nicht sein, dass eine wachsende Bevölkerung nicht Anteil nehmen kann."

    Der Verteilungskampf ist geblieben. Und da wäre es zu kurz gedacht, Entwicklungs- und Umweltpolitik getrennt voneinander zu betrachten.

    "Wenn Greenpeace eine Kampagne macht gegen die Piratenfischerei, dann geht es auch darum, dass die Menschen auf den Schiffen unwürdig behandelt werden. Da merkt man auch, dass die Entwicklungsdebatten sich im Umweltschutz wiederfinden. Das kann man nicht Stück für Stück diskutieren, sondern das muss an einen Tisch."

    Die Meeresstrategie der EU soll Ökologie, Wirtschaft und Soziales vereinen. Doch Peter Willers von der Aktion Nordseekonferenz glaubt, dass die Ökologie dabei zu kurz kommt. Stattdessen haben seiner Ansicht nach wirtschaftliche Interessen Vorrang. Das gilt auch für die Tiefsee, die 2zweiDrittel des Globus ausmacht und schätzungsweise fünf Millionen Arten beherbergt, so Willers:

    "Wirtschaftliche Interessen und Begehrlichkeiten richten sich jetzt auf Gebiete, die noch weitgehend unbekannt sind, deren ökologische Funktion noch nicht erforscht ist. Man greift ein, zum Beispiel mit Ölförderung oder den schwarzen Rauchern, den kleinen Vulkanen, in deren Umfeld es Edelmetalle gibt. Dummerweise gibt es da auch das meiste Leben."

    Ein anderes Beispiel sind die Manganknollen im Pazifik. Wegen ihres Gehaltes an Kupfer, Nickel und Kobalt gelten sie als möglicher zukünftiger Metallrohstoff. Peter Willers von der Aktionskonferenz Nordsee plädiert dafür, den wirtschaftlichen Interessen, die hinter der Meeresforschung stecken, mit Vorsicht zu begegnen.