Schäfer-Noske: Inwieweit ging es denn ganz konkret um diese Vorfälle der letzten Monate und Jahre?
Sander: Zunächst mal ging es, wenn auch nicht richtig zu Ende diskutiert, aber von einzelnen Vortragen immer wieder, darum zu überlegen, was kann man machen, wie kann man die Scherben wieder kitten zum Beispiel im deutsch-polnischen Verhältnis, überhaupt das Projekt Europa wieder zurück zu nehmen, den Politikern aus der Hand zu nehmen und gewisser Maßen in einem intellektuellen Forum zu diskutieren. Aber das ist natürlich leichter gesagt als getan, und der relativ kleine Kreis, der dazugehört, zeugt auch davon, dass Interesse vielleicht existiert in einer wichtigen Gruppe von liberalen Intellektuellen und Politikern in Polen wie auch in Deutschland oder in anderen Ländern, über diese Fragen zu diskutieren, aber die Stimmung ist erregt, aber es gibt ja nicht nur das deutsch-polnische Verhältnis. Ein weißrussischer Autor hat sich zu Worte gemeldet, und es wurde über diese ganze Situation diskutiert, was bedeutet eigentlich dieses Europa, östlich der Grenzen der europäischen Union? Wie weit fühlt es sich selber europäisch und wie verhält man sich aus der Sicht des heutigen EU-Mitglieds Polen, aber auch der anderen europäischen Staaten gegenüber diesen Gesellschaften?
Schäfer-Noske: Sie haben eben gesagt, es wurden Lösungen versucht. Gab es denn da Erfolg versprechende Ansätze?
Sander: Es hat dann letztendlich einen Appellcharakter. Was interessant war, dass doch diese unterschiedlichen Gedanken zu Europa, also etwa in der Frage, was sind eigentlich diese europäischen Werte? Das ist ja eine fast schon abgegriffene Diskussion, man kommt dann immer wieder auf die Menschenrechte, auf die Individualität. Da ist eigentlich dieser ganze Doppelcharakter dieses europäischen Selbstbewusstseins wieder herausgekommen, nämlich auf der einen Seite ist man offen, man will sich erweitern, man will auf andere zugehen, dann will man sich aber wieder abgrenzen. Aber man hat deutlich gesehen, dass sowohl angesichts der Wahlen vor einigen Tagen in Weißrussland, der unglaublichen Vorfälle der Unterdrückung der Opposition, der bevorstehenden Wahlen in der Ukraine eine ähnliche Diskussion wahrscheinlich auch in nächster Zeit beginnen wird, wie man sie in Deutschland im Blick auf die spätere eventuelle Aufnahme der Türkei in die Europäische Union führt und wenn man dann bei den Werten angekommen ist, dann muss man auch fragen: Was sind das für Werte und werden die Werte eigentlich wirklich realisiert in der Europäischen Union? Ein interessantes Schlaglicht gab hier ein kroatische Satirikerin. Sie hat eigentlich die Frage, "Wessen Europa? - Wem gehört Europa?" ganz konkret beantwortet und sagte, es gibt ja nicht mehr das Europa der verschiedenen Länder, Kulturen und Regionen, sondern es gibt vor allen Dingen ein Europa, das sich die internationalen großen Konzerne mehr und mehr nach ihren Wünschen formen.