Im Tallinner Tammsaare Park herrscht ein geschäftiges Hin und Her. Der Weg durch die Grünanlage vor dem Nationaltheater ist der kürzeste zwischen der Altstadt und dem nahegelegenen Viru-Einkaufszentrum. Gerade für Jugendliche ist dieser moderne Konsumtempel mit seinen vielen Geschäften, Imbissen und Kaffeebars zu einem beliebten Treffpunkt geworden. An der Haltestelle auf der gegenüberliegenden Seite der Pärnu Mint, eine der Tallinner Hauptverkehrsadern, warten Dutzende Menschen auf die Busse und Straßenbahnen, die sie nach Hause in einen der Außenbezirke der estnischen Hauptstadt bringen sollen.
Gegenüber dem Zeitungskiosk und den Telefonzellen sitzt nahezu unscheinbar ein älterer Mann mit zerschlissener dunkelblauer Jacke. Auf seinem dreibeinigen Schemel würde man ihn im Strom der Menschen beinahe übersehen, wäre da nicht sein Instrument - das Akkordeon. Vor ihm ein an den Rändern bereits etwas zerfledderter Korb mit einigen Münzen darin, daneben ein Schild, auf dem in unleserlicher Schrift ein paar Sätze geschrieben sind. Das Alter des Mannes ist schwer zu schätzen:
"Vor acht Jahren bin ich erblindet, weil ich zuckerkrank bin. Ich hatte zuhause nichts zu tun, und da habe ich mir dieses Instrument aus dem Schrank geholt - es gehörte früher meinem Vater. Ich habe zwei Jahre lang geübt, bis ich richtig spielen konnte. Und vor fünf Jahren kam ich dann nach Tallinn, ich selbst komme aus dem Südosten Estlands - damals wurde hier der 30. Geburtstag eines blinden Mädchens gefeiert und bei diesem Fest traf ich eine ältere Dame, die mir sagte, ich könne jederzeit bei ihr hier in Tallinn übernachten. Und so kam mir die Idee, als Straßenmusiker ein paar zusätzliche Kronen zu verdienen."
2400 Kronen Invalidenrente, umgerechnet etwa 160 Euro, bekommt Aavo Paap im Monat. Zu wenig, um zu leben, zu viel, um zu sterben, sagt er mit leerem Blick. Dann fügt er leise, aber ernst hinzu: Für mich ist es lebenswichtig, schon im Frühjahr hierher nach Tallin zu kommen und auf der Straße zu spielen, um den nächsten Winter zu überleben:
"Ich habe mir das unabhängige Estland wirklich anders vorgestellt, vor allem als ich damals in der baltischen Kette stand, zwischen Tallinn und Vilnius, 1989. Das soziale System in Estland ist sehr schwach. Die medizinische Versorgung ist schon vorhanden, aber gute Ärzte sind teuer. Und ich verstehe auch unsere Politiker nicht - sie bekommen 50 bis 60.000 Kronen im Monat und noch immer beschweren sie sich und sagen, sie kommen nicht über die Runden.
Ich bekomme 2400 Kronen und muss davon meine Miete, meine Medikamente, mein Essen und alles andere bezahlen. Und was ich auch nicht verstehen will: es gibt verschiedene Klassen der Behinderungen. Leute mit einer leichten Behinderung, die auch noch arbeiten gehen können, bekommen 2200 Kronen Rente. Ich mit meiner schweren Behinderung kann nicht arbeiten und bekomme nur 200 Kronen mehr. Ich verlange ja nicht viel, nur so viel, dass ich überleben könnte. Drei-, viertausend Kronen würden schon reichen."
Doch weder Staat noch Gemeinde haben das Geld, so jedenfalls haben es die Behörden Aavo Paap immer wieder gesagt. Während des Sommerhalbjahres sitzt er nun jeden nachmittag hier auf dem Platz und spielt die immer gleichen Lieder. An einem normalen Tag verdient er zwischen 150 und 200 Kronen, an einem guten sind es auch schon mal 300. Am liebsten, sagt Aavo lächelnd, sind ihm die Finnen. Denn die würden ihm Euro-Scheine in den Korb legen:
"Auch Esten sprechen mich gelegentlich schon mal an und fragen, was mir fehlt und wie ich hier auf der Straße gelandet bin. Die Russen hingegen sind frech - sie kommen und verlangen, dass ich ein russisches Lied spielen soll und ich antworte ihnen dann stets, ich kenne keine russischen Lieder. Und dann habe ich immer das Gefühl, dass sie mich überfallen oder sonstwie angreifen könnten. Gerade die Jungen versuchen manchmal, mir Geld aus dem Korb zu klauen, aber es gibt dann viele Esten, die ihnen hinterherlaufen und versuchen, sie zu schnappen. Nein, vor den Russen habe ich Angst. Über sie kann ich wirklich nichts Gutes sagen."
Hinter Aavo, auf den Bänken am Rand des quadratischen Platzes, sitzen junge, schmusende Liebespaare Hand in Hand, eine alte Frau mit Kopftuch verfüttert Brotreste an die Tauben. Ein idyllisches Bild, so scheint es. Ein Bild jedoch, das den meisten Passanten entgeht - ist ihr Blick doch fest auf das Einkaufszentrum vor ihnen fixiert.
"Ich werde so lange spielen, wie es meine Gesundheit einigermaßen zulässt. Würden sie mir meine Rente erhöhen, würde ich sofort aufhören. Bis dahin aber sind alle meine Sommer verdorben, weil ich hier spielen und Geld verdienen muss."
Gegenüber dem Zeitungskiosk und den Telefonzellen sitzt nahezu unscheinbar ein älterer Mann mit zerschlissener dunkelblauer Jacke. Auf seinem dreibeinigen Schemel würde man ihn im Strom der Menschen beinahe übersehen, wäre da nicht sein Instrument - das Akkordeon. Vor ihm ein an den Rändern bereits etwas zerfledderter Korb mit einigen Münzen darin, daneben ein Schild, auf dem in unleserlicher Schrift ein paar Sätze geschrieben sind. Das Alter des Mannes ist schwer zu schätzen:
"Vor acht Jahren bin ich erblindet, weil ich zuckerkrank bin. Ich hatte zuhause nichts zu tun, und da habe ich mir dieses Instrument aus dem Schrank geholt - es gehörte früher meinem Vater. Ich habe zwei Jahre lang geübt, bis ich richtig spielen konnte. Und vor fünf Jahren kam ich dann nach Tallinn, ich selbst komme aus dem Südosten Estlands - damals wurde hier der 30. Geburtstag eines blinden Mädchens gefeiert und bei diesem Fest traf ich eine ältere Dame, die mir sagte, ich könne jederzeit bei ihr hier in Tallinn übernachten. Und so kam mir die Idee, als Straßenmusiker ein paar zusätzliche Kronen zu verdienen."
2400 Kronen Invalidenrente, umgerechnet etwa 160 Euro, bekommt Aavo Paap im Monat. Zu wenig, um zu leben, zu viel, um zu sterben, sagt er mit leerem Blick. Dann fügt er leise, aber ernst hinzu: Für mich ist es lebenswichtig, schon im Frühjahr hierher nach Tallin zu kommen und auf der Straße zu spielen, um den nächsten Winter zu überleben:
"Ich habe mir das unabhängige Estland wirklich anders vorgestellt, vor allem als ich damals in der baltischen Kette stand, zwischen Tallinn und Vilnius, 1989. Das soziale System in Estland ist sehr schwach. Die medizinische Versorgung ist schon vorhanden, aber gute Ärzte sind teuer. Und ich verstehe auch unsere Politiker nicht - sie bekommen 50 bis 60.000 Kronen im Monat und noch immer beschweren sie sich und sagen, sie kommen nicht über die Runden.
Ich bekomme 2400 Kronen und muss davon meine Miete, meine Medikamente, mein Essen und alles andere bezahlen. Und was ich auch nicht verstehen will: es gibt verschiedene Klassen der Behinderungen. Leute mit einer leichten Behinderung, die auch noch arbeiten gehen können, bekommen 2200 Kronen Rente. Ich mit meiner schweren Behinderung kann nicht arbeiten und bekomme nur 200 Kronen mehr. Ich verlange ja nicht viel, nur so viel, dass ich überleben könnte. Drei-, viertausend Kronen würden schon reichen."
Doch weder Staat noch Gemeinde haben das Geld, so jedenfalls haben es die Behörden Aavo Paap immer wieder gesagt. Während des Sommerhalbjahres sitzt er nun jeden nachmittag hier auf dem Platz und spielt die immer gleichen Lieder. An einem normalen Tag verdient er zwischen 150 und 200 Kronen, an einem guten sind es auch schon mal 300. Am liebsten, sagt Aavo lächelnd, sind ihm die Finnen. Denn die würden ihm Euro-Scheine in den Korb legen:
"Auch Esten sprechen mich gelegentlich schon mal an und fragen, was mir fehlt und wie ich hier auf der Straße gelandet bin. Die Russen hingegen sind frech - sie kommen und verlangen, dass ich ein russisches Lied spielen soll und ich antworte ihnen dann stets, ich kenne keine russischen Lieder. Und dann habe ich immer das Gefühl, dass sie mich überfallen oder sonstwie angreifen könnten. Gerade die Jungen versuchen manchmal, mir Geld aus dem Korb zu klauen, aber es gibt dann viele Esten, die ihnen hinterherlaufen und versuchen, sie zu schnappen. Nein, vor den Russen habe ich Angst. Über sie kann ich wirklich nichts Gutes sagen."
Hinter Aavo, auf den Bänken am Rand des quadratischen Platzes, sitzen junge, schmusende Liebespaare Hand in Hand, eine alte Frau mit Kopftuch verfüttert Brotreste an die Tauben. Ein idyllisches Bild, so scheint es. Ein Bild jedoch, das den meisten Passanten entgeht - ist ihr Blick doch fest auf das Einkaufszentrum vor ihnen fixiert.
"Ich werde so lange spielen, wie es meine Gesundheit einigermaßen zulässt. Würden sie mir meine Rente erhöhen, würde ich sofort aufhören. Bis dahin aber sind alle meine Sommer verdorben, weil ich hier spielen und Geld verdienen muss."