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Neurologie. - Nerven kommunizieren über Synapsen miteinander – daher gibt es ganz eindeutige Kommunikationskanäle im Gehirn. So lautet verkürzt die Standardsicht der Neurologie. Ein Bonner Arzt fand nun heraus, dass unser Nervensystem doch noch etwas anders arbeitet, als gemeinhin gedacht.

Von Kristin Raabe | 01.03.2007
    Ist eine Nervenzelle einmal aktiviert, dann breiten sich entlang ihrer Membran winzige Ströme aus, bis sie schließlich das Ende eines Zellfortsatzes erreicht haben. Dort, an der sogenannten Synapse, der Kontaktstelle zur nächsten Nervenzelle, verwandelt sich das elektrische Signal in ein chemisches Signal. Die Synapse setzt Botenstoffe frei, die zur nachgeschalteten Zelle wandern und diese schließlich aktivieren. Auf diese Weise bilden Nervenzellen riesige Netzwerke, ähnlich einem komplizierten Muster von elektrischen Schaltkreisen. Dirk Dietrich von der Universitätsklinik Bonn untersucht, die Arbeitsweise der Nervenzellen im Gehirn.

    "Im groben kann man sagen, dass sich das ganze Gehirn aus grauer und weißer Substanz zusammensetzt, die graue Substanz enthält die Nervenzellen, sehr viele Nervenzellen, auch sehr viele Synapsen, an denen die Nervenzellen miteinander kommunizieren, aber einige Nervenzellen müssen auch in entferntere Regionen projizieren, zum Beispiel in die andere Hirnhälfte, und dafür gibt es entsprechende Bahnen oder auch Kabelschächte, wo diese Nervenfasern in andere Hirnbereiche hinüberziehen. Diese Bereiche vom Gehirn nennt man weiße Substanz, da gibt es keine Nervenzellen, sondern nur die Fortsätze, die Ausläufer von Nervenzellen und Gliazellen und in diesen Bereich sind wir für unsere Untersuchung hineingegangen."

    Gliazellen sind Stützzellen, die die Fortsätze der Nervenzellen umgeben, ähnlich der Isolierung, die die Drähte eines Kabels umgibt. Weil bei den Gliazellen in der weißen Substanz im Gehirn keine Synapsen vorkommen, sind Forscher bislang davon ausgegangen, dass an den Gliazellen auch keine Ströme messbar sind. Dirk Dietrich wollte sich damit allerdings nicht zufrieden geben und hat einfach einmal nachgeschaut. Dietrich:

    "Das Überraschende bei unserem Befund war, dass diese Ströme, in der weißen Substanz, wo man eigentlich keine Synapsen findet, genauso aussehen wie synaptische Ströme, so dass man zunächst einmal denkt, man hat hier eine Nervenzelle abgeleitet. Die sind vom elektrischen Muster her nicht unterscheidbar."

    Bislang gingen Forscher davon aus, dass lediglich die Synapsen an den Nervenenden die Fähigkeit haben, Botenstoffe freizusetzten. Aber die Ergebnisse von Dirk Dietrich beweisen: Zumindest in der weißen Substanz, wo es gar keine Synapsen gibt, werden Botenstoffe auch entlang der aktivierten Nervenfortsätze freigesetzt. Ob dasselbe auch in der grauen Substanz geschieht, ist mit herkömmlichen Methoden leider nur sehr schwer zu untersuchen. Dirk Dietrich ist sich aber relativ sicher, dass Nervenzellen in der grauen Substanz ähnlich arbeiten.

    "Ich denke, dass es eine Möglichkeit ist für eine Nervenzelle, ihren allgemeinen Aktivierungszustand nicht nur an die Zellen zu übertragen, mit denen sie verschaltet ist, sondern auch umliegende Neurone, zu vielleicht geringerem Maße mitzuinformieren, wie der eigene Informationszustand, der eigene Aktivierungszustand ist. Das heißt, dass die Zelle möglicherweise über zwei verschiedene Kanäle der Informationsweitergabe verfügt. Auf der einen Seite synaptisch, gezielt an vielleicht zehn bis zwanzig Zellen, auf der anderen Seite extrasynaptischen an 500, 1000 Zellen. ...Man würde durch so eine Hintergrundaktivierung der Nachbarzellen erreichen, dass insgesamt der Einfluss dieses einen aktiven Neurons im Netzwerk verstärkt wird."

    Wenn sich die Ergebnisse von Dirk Dietrich auch in weiteren Experimenten bestätigen, dann müssen Hirnforscher ihre bisherige Vorstellung davon, wie beispielsweise Lernen und Gedächtnis funktionieren, noch mal gründlich überarbeiten.