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Wende ohne Kompass

Energiepolitik. - 2022 Jahren, so sieht es die Bundesregierung vor, soll in Deutschland das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet, sein Strom durch solchen aus erneuerbaren Quellen ersetzt werden. Das Ziel ist also klar, der Weg dahin weniger. Einen solchen Fahrplan zur Energiewende wollen Chemiker jetzt erarbeiten. Auf dem Workshop "Energietransformation – Die Rolle der Chemie" am Karlsruher Institut für Technologie wurde das Vorhaben vorgestellt.

Von Volker Mrasek | 16.11.2012
    "Es geht sicher nicht in zehn Jahren."

    Damit meint Robert Schlögl die Energiewende, wie sie sich Bundesregierung und Bundestag vorstellen: kompletter Ausstieg aus der Atomkraft bis 2022 und beschleunigter Ausbau regenerativer Energieträger

    "Wenn wir uns die zehn Jahre vorgeben, dann ist das eine politische Vorgabe, die auf Abschätzungen basiert, die nicht haltbar sind."

    Schlögl ist Gründungsdirektor eines neuen Max-Planck-Instituts in Mülheim an der Ruhr – des Instituts für Chemische Energiekonversion. Zugleich leitet er die Abteilung für Anorganische Chemie am Fritz-Haber-Institut in Berlin. Der gebürtige Münchner ist ein erfahrener Wissenschaftler. Und einer, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Auch jetzt nicht, auf dem Chemie-und-Energie-Workshop am Karlsruher Institut für Technologie:

    "Im politischen Feld ist das größte Versäumnis, daß man sich keinen Plan gegeben hat.Und im industriellen Raum: Die Energieindustrie hat sich positioniert. Die haben im wesentlichen beschlossen, abzuwarten, weil die Randbedingungen so unsicher sind. Und die Tatsache, daß man das EEG ..."

    … also das Erneuerbare-Energien-Gesetz mit festen Einspeisevergütungen für Wind- und Solarstrom ...

    "... die Tatsache, daß man das EEG alle drei Monate neu strickt, dient jetzt nicht dazu, daß Versorger, die Infrastrukturen beherrschen, die eine Lebensdauer von 50 bis 100 Jahren haben, glauben, da wirklich investieren zu können. Wenn sich die Rahmenbedingungen als politisch willfährig herausstellen, dann kann man da natürlich auch nicht mit dem großen Geld reingehen. Das ist ein schwerer Fehler."

    Den fehlenden Masterplan für die Energiewende wollen Robert Schlögl und andere Forscher jetzt nachliefern. Mit einem neuen Arbeitskreis unter dem Dach der Wissenschaftlichen Akademien in Deutschland. Vor wenigen Tagen haben sich die führenden Köpfe zum ersten Mal getroffen. Der Arbeitskreis nennt sich "Energiesysteme der Zukunft" und hat sich vorgenommen, daß ...

    "... ein Plan entstehen kann, wie man die Energiewende sinnvollerweise macht und in welchem Zeitrahmen welche Modifikationen unseres heutigen Systems nötig sind. Das wird auch von der Regierung unterstützt. Nur, diese Initiative hätte man eigentlich schon gleich mit der Energiewende machen sollen."

    Regenerative Energien schwanken in ihrer Verfügbarkeit. Wind weht nun einmal nicht ständig, und auch die Sonne verschwindet oft hinter Wolken; nachts strahlt sie überhaupt nicht. Erneuerbare Energien müssen also speicherfähig gemacht werden. Das ist die größte Herausforderung der Energiewende. Und sie verlangt durchdachte Konzepte. Die aber vermisst so mancher in der Eile der Energiewende. Hermann Pütter zum Beispiel. Der frühere BASF-Industriechemiker ist Koordinator der Arbeitsgemeinschaft Chemie & Energie bei der Gesellschaft Deutscher Chemiker. Auf dem Workshop äußerte er sich kritisch über das Konzept Power to Gas, …

    "... was von verschiedenen Firmen – Eon, Audi und anderen -, aber auch von vielen Forschungsinstituten sehr propagiert wird. Und da bin ich der Meinung: Die Wirkungsgrade sind so niedrig und die Kosten werden so hoch sein, daß das wahrscheinlich scheitern wird."

    Power to gas bedeutet. Weht so viel Wind, daß Strom im Überschuss anfällt, dann steckt man ihn in die Elektrolyse von Wasser, erzeugt auf diesem Weg Wasserstoff und wandelt ihn in Methan um, das sich ins Erdgasnetz einspeisen läßt. Später kann man mit diesem Methan dann ein Gas-Kraftwerk befeuern ...

    "Wenn man sich die Wirkungsgradkette aber anschaut, dann stellt man fest, daß am Ende vielleicht 20 Prozent der geernteten Windstrommenge am Schluss wieder als Strom beim Endverbraucher ankommen."

    Viel effizienter arbeiten dagegen Natrium-Schwefel-Batterien. In Japan, sagt Pütter, würden sie bereits als stationäre Akkus und Strompuffer für ganze Stadtteile eingesetzt, bei wesentlich höheren Wirkungsgraden im Bereich von 80 Prozent:

    "Das heißt, der Strom, der reingesteckt wird, taucht zu 80 Prozent beim Abnehmer wieder auf."

    Die Technologie sei zwar noch sehr teuer. Aber man könne sich ja zum Ziel setzen, die Kosten zu senken, durch verstärkte Forschung und Entwicklung auf diesem Gebiet. So etwas könnte der Masterplan anregen, den die Wissenschaftlichen Akademien entwerfen. In zwei Jahren, sagt Robert Schlögl, soll er auf dem Tisch liegen:

    "Ich spar' mir gleich den Punkt, zu sagen: in zwei Jahren ist viel zu spät. Nein, es ist nicht zu spät! Wenn wir das Falsche machen, haben wir noch weniger Zeit. Dann fährt die Energiewende gegen den Baum."