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Wenig Neues über Furtwänglers Orchester

Zu den Profiteuren der nationalsozialistischen Kulturpolitik zählten die Berliner Philharmoniker unter ihrem Dirigenten Wilhelm Furtwängler. Zur Rolle der Berliner Philharmoniker und ihres Chefdirigenten im Nationalsozialismus hat der kanadische Politikwissenschaftler und Opernregisseur Misha Aster nun eine neue Studie veröffentlicht.

Von Matthias Sträßner | 17.09.2007
    Seit Götz Aly über Hitlers Volksstaat schrieb, hat sich das Interesse am sogenannten Dritten Reich insbesondere auf die wirtschaftlichen Voraussetzungen und Folgen des Nationalsozialismus verlagert. Das bleibt ein interessanter Ansatz sogar da, wo es - scheinbar - nicht um Wirtschaft, sondern um Kultur geht. Etwa bei der Geschichte des Berliner Philharmonischen Orchesters in der Zeit von 1933 bis 1945.

    Das Regime nutzte das Orchester - und das Orchester nutzte das Regime

    schreibt der Soziologe Wolf Lepenies im Vorwort zu Asters Untersuchung, ganz im Sinn von Götz Aly. Und lakonisch bemerkt Lepenies weiter:

    " Es wird Zeit über Leistungszulagen und Reisekostenzuschüsse zu sprechen."

    Und zu diesem Themenbereich bietet das Buch von Misha Aster manchen Fund:
    da wird zunächst sichtbar, dass schon im Jahr 1929 die entscheidenden Weichen für die Entwicklung des Orchesters ab 1933 gestellt wurden. Denn 1929 wurde ein neuer Gesellschaftervertrag entworfen, in welchem das Reich, das Land Preußen und die Stadt Berlin als Gesellschafter des Orchesters firmierten. Und die Orchester-Mitglieder mussten eine dicke Kröte schlucken. Von ehemaligen Anteilseignern einer philharmonischen Gesellschaft wurden sie zu Angestellten des öffentlichen Dienstes. Und wenn sich die Pläne auch zerschlugen, und ab 1933 das Reich allein die Trägerschaft des Orchesters übernahm, im Rahmen der Verhandlungen von 1929 definierte der Dirigent Wilhelm Furtwängler seine Position und sein Mitspracherecht völlig neu. Sein Auftreten ab 1933 wird nur vor diesem Hintergrund verständlich. Außerdem stieß im Jahr 1929 auch ein neuer - ein jüdischer -Konzertmeister zum Orchester: Szymon Goldberg.

    Unterhalb der Ebene des Chefdirigenten wurde nach und nach das heikle Zwei-Konsul-System eines kaufmännischen und eines künstlerischen Geschäftsführers eingeführt. Heikel nicht nur deshalb, weil diese Doppelspitze selbst Keim für Konflikte bietet, sondern weil sich hinter den künstlerischen Geschäftsführern häufig Direktoren mit eigenen Dirigier-Ambitionen verbergen. Überhaupt müssen diese Positionen, die nacheinander Rudolf von Schmidtseck, Hermann Stange, Hans von Benda und Gerhart von Westerman bekleidet haben, ständig im Focus von Intrigen gestanden haben: War der eine mutmaßliches Mitglied einer Druidenloge, so der nächste früheres Mitglied der SPD. Andere wiederum legten zu große Ambitionen als Dirigent einer philharmonischen Kammerorchester-Formation an den Tag, oder die nur schlecht versteckte Homosexualität gab Anlass für Nachforschungen und Durchstechereien.

    Ganz spannend ist auch zu lesen, wie die personelle Verstärkung, welche die Philharmoniker vom Berliner Sinfonieorchester bekommen, sich als Danaer- Geschenk erweist, denn man holte sich mit diesen neuen Musikern endgültig den NS-Virus in den Klangkörper.

    Und schließlich gibt Asters Monographie interessante Aufschlüsse darüber, wie sich die Konkurrenz zwischen Reichspropagandaminister Joseph Goebbels und dem Reichsminister für Luftfahrt Hermann Göring auf der Ebene des Tarifrechts, der Gehälter und der Spesen abspielte. Goebbels war für die Philharmoniker, Göring für die Konkurrenz, das Orchester der Oper unter den Linden zuständig. Das Orchester der Staatsoper spielte für die Philharmoniker den innenpolitischen Feind Nr.1, sowie die Wiener Philharmoniker der außenpolitische Feind Nr.1 waren. Vom professionellen Zynismus der Orchesterwelt in Zeiten des Krieges lässt sich einiges ahnen: Als die Staatsoper ausgebombt wurde, zu Konzertzwecken aber noch zu nutzen war, drangen die Philharmoniker sofort auf provokante Mietminderung, und als die Philharmoniker im Herbst 1943 noch in Budapest konzertieren sollten, war das wichtigste Problem, dass das Honorar nicht unter dem der Wiener Philharmoniker liegen durfte.

    Damit sind aber die positiven Aspekte des Buches schon genannt: Das Portrait Furtwänglers dagegen bleibt verwaschener denn je. Misha Aster geht über Ronald Harwoods Theater-Stück: 'Taking Sides - der Fall Furtwängler' nie hinaus, wenn er dem Chef-Dirigenten "selbstgefälliges Verantwortungsgefühl" und "politische Theatralik" bescheinigt. Furtwängler war Dirigent und nur Dirigent, und er definierte seine seit 1929 neu geschaffene Rechtsposition im rein macht-pragmatischen Rahmen eines Chefdirigenten. Er schützte seinen jüdischen Konzertmeister und seine jüdische Sekretärin nicht etwa deshalb, weil sie Juden waren, sondern weil er nicht zulassen konnte, dass er in solchen Fragen nicht das letzte Wort haben sollte. Für Furtwängler galt es, diese Position in beide Richtungen zu verteidigen: sowohl gegenüber dem Orchester, als auch gegenüber Goebbels.

    Aster erläutert zwar an verstreuten Stellen in seinem Buch auf verdienstvolle Weise, wie kompliziert es insbesondere für junge Musiker des Orchesters gewesen sein muss, vom Wehrdienst befreit - resp. "uk"- gestellt - zu werden. Immerhin zwölf (!) Passfotos waren nötig, und zwar für jede Auslandsreise aufs Neue, um das so unerbittliche wie teilweise kafkaeske System der Wehrbezirkskommandos zu überwinden. Umso bemerkenswerter, dass es Albert Speer tatsächlich gelang, das Orchester bis zum Schluss als "kriegswichtig" einstufen zu lassen. Wie es Speer allerdings 1944/45 gelungen sein könnte, die Berliner Philharmoniker sogar gegen den Willen von Goebbels vor dem Kriegseinsatz zu retten, erfährt man nicht einmal andeutungsweise.

    Am wenigstens befriedigend aber ist die Tatsache, dass Aster ständig auf der Propaganda- Funktion des Orchesters herumreitet, und hier stehen und stecken bleibt.

    Die Musikbesessenheit der NS-Führung und insbesondere des 'Führers' ist keine Marotte, sie ist ernst, todernst wie die nationalsozialistische Kulturpolitik und verstörend dazu,

    schreibt Wolf Lepenies in seinem Vorwort zu Asters Buch und trifft damit den entscheidenden Punkt.

    Ein Schlüssel für das Verständnis der Nazi-Kulturpolitik ist der Briefwechsel zwischen Goebbels und Furtwängler aus dem Jahr 1933. Goebbels schloss darin mit dem Siegel Nietzsches den Bund zwischen dem Künstler-Politiker und dem Künstler-Dirigenten:

    Auch die Politik ist eine Kunst, vielleicht die höchste und umfassendste, die es gibt. Und wir, die wir die moderne deutsche Politik gestalten, fühlen uns dabei als künstlerische Menschen!

    Dieser Briefwechsel war alles andere als privat, und wurde von vielen Zeitungen jeweils auf der Titelseite dokumentiert.

    Die Entfernung der Juden aus dem Kulturleben seit 1933 war ein wichtiger Schritt, und es war für Goebbels sicher keine leichte Übung, später zugeben zu müssen, dass dieser Aderlass nicht zu verkraften war. Auch für die Berliner Philharmoniker. Auf der Jahrestagung der Reichskulturkammer und der NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude sagte Goebbels im Deutschen Opernhaus in Berlin am 26.11.1937:

    Wenn man sich vergegenwärtigt, dass man - abgesehen von den Juden, die schon bei Ausbruch der Nationalsozialistischen Revolution rechtzeitig als Emigranten das Weite suchten - seit 1933 annährend 3.000 Juden aus dem deutschen Kulturleben entfernt, gleichzeitig aber auch die leergewordenen Stellen mit Deutschen besetzt haben, ohne dass bei diesem riesigen Personenschub eine auch nur in Betracht kommende Stagnation im deutschen Kulturleben eintrat. Wenn man weiterhin bedenkt, dass es sich hier in der Hauptsache selbstverständlich um ausschlaggebende Stellen handelt, so kann man sich ungefähr eine Vorstellung davon machen, wie viel Arbeit hier geleistet wurde, und wie leicht der eine oder andere personelle Missgriff dem Erreichten gegenüber wiegt.

    Goebbels ließ nie davon ab, den Nationalsozialismus zur Religion zu stilisieren, und Beethoven, Bruckner und Wagner zu Kirchenmusikern dieses neuen Glaubens zu machen. Diese magische Anverwandlung und die Usurpation der Kunst und der Musik durch die Politik, bleiben bei Aster völlig ausgeblendet. Die Tätigkeit des Orchesters als Propaganda-Instrument wird zu einer argumentativen Endlos-Schleife. Dabei würde eine echte Auseinandersetzung doch erst da beginnen können. Bei der Götterdämmerung der Nazis bleiben nur zwei Kathedralen der deutschen Musik vor der Feind-Eroberung ungesprengt: die Berliner Philharmoniker und Bayreuth. Spätestens hier verlor Görings Staatsoper gegen die Schützlinge von Goebbels und Speer. Bei Misha Aster aber bleiben die Philharmoniker letztlich nur eine wunderschöne "Jukebox". Dabei zeigen schon die wenigen bei Aster aufgeführten Zitate aus dem Drehbuch zum Spielfilm 'Philharmoniker', der 1943 geplant und im Dezember 1944 in Berlin zum ersten Mal öffentlich gezeigt wurde, dass es in der Geschichte der Philharmoniker nie nur um Propaganda ging, auch nicht immer um Kultur, aber bestimmt immer um den Kult des Nationalsozialismus.

    Misha Aster: Das Reichsorchester
    Die Berliner Philharmoniker und der Nationalsozialismus
    Siedler Verlag, München 2007; 400 Seiten, 21,95 Euro