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Wenig Stellen, schneller Aufstieg

Es klingt wie verkehrte Welt: Der konjunkturelle Aufschwung lässt weiter auf sich warten, und trotzdem ist jetzt der beste Zeitpunkt, um in der eigenen Karriere einen mächtigen Satz nach vorne zu machen. Dies meint zumindest Boris von der Linde, Mitarbeiter bei der Kienbaum Personalberatung und Co-Autor des Buches 'Psychologie für Führungskräfte'.

02.06.2003
    Campus & Karriere: Karriere machen trotz Krise und trotz schlechter Lage auf dem Stellenmarkt? Das müssen Sie mir jetzt erst einmal erklären.

    Von der Linde: Der Grund ist eigentlich folgender: Aufgrund der tatsächlich schlechten Lage auf dem externen Arbeitsmarkt geraten Firmen inzwischen zu der Ansicht, dass es besser sei, Führungskräfte intern zu fördern, denn ein externes Verfahren ist in jedem Falle mit Aufwand verbunden. Wenn man so viele junge begabte potenzielle Führungskräfte im Unternehmen hat, warum nicht die fördern? Das ist allemal einfacher.

    Campus & Karriere: Das heißt, man kommt schneller im eigenen Unternehmen nach oben?

    Von der Linde: Sagen wir mal "schneller" erst dann, wenn Sie die entsprechenden Hürden überspringen. Die Chance, sich innerhalb des Unternehmens zu qualifizieren, ist tatsächlich etwas höher. Allerdings sind auch die Anforderungen höher geworden.

    Campus & Karriere: Mitarbeiter, die schneller vor neue Herausforderungen gestellt werden, sind die nicht einem unglaublich hohen Druck ausgesetzt? Ist man dann vielleicht nicht irgendwann auch einmal überfordert?

    Von der Linde: Ja, die jüngeren oder die Nachwuchsführungskräfte sind tatsächlich heute einem stärkeren Druck ausgesetzt. Während vor einigen Jahren die Unternehmer auf dem externen Arbeitsmarkt für Positionen gerne erfahrenes Personal rekrutiert haben, werden heute dafür junge Führungskräfte, die zum Teil mit diesen Positionen auch überfordert sein können, in die Positionen gebeten. Entsprechend hoch ist der Druck. Das heißt, wenn man dort das Kompetenzprofil nicht so weit geschärft hat, dass man auf die Position passt, kann es zu Überforderungen kommen.

    Campus & Karriere: Wie zeigt sich diese Überforderung?

    Von der Linde: Die Überforderung zeigt sich weniger in fachlicher Art als natürlich in punkto Menschenführung, also das, was man klassischerweise mit Führung verbindet. Junge Führungskräfte, die mit den klassischen Aufgaben wie Motivation, Delegation, Steuerung schlichtweg überfordert sind, suchen händeringend nach Tools, Hinweisen, nach Hilfestellungen, die aber in dem relativ schnellen Unternehmensalltag heute dann so einfach auch nicht zu finden sind.

    Campus & Karriere: Da könnten sich ja diese schnellen Aufstiegsmöglichkeiten, die auf den ersten Blick sehr positiv klingen, möglicherweise auch als Bumerang entpuppen.

    Von der Linde: Das ist richtig. Es kann sich als Bumerang entpuppen, weil die sich schnell bietende Chance jetzt momentan tatsächlich zu einer Überforderung führen kann. Das heißt, die Botschaft an die jungen Führungskräfte ist, sich viel intensiver mit dem Thema Menschenführung auseinander zu setzen.

    Campus & Karriere: Wie bleiben Nachwuchsführungskräfte souverän im Praktischen?

    Von der Linde: Sie bleiben souverän. Es ist eine breite Qualifizierung nötig. Man kann in die Position einer Nachwuchsführungskraft nicht ohne entsprechende Kompetenzen hinein. Neben der fachlichen Richtung muss sich tatsächlich auch auf das spezialisiert werden, was ich vorhin Menschenführung nannte. Über Training, Seminare, Literatur, über Coaching durch den direkten Vorgesetzten, wesentlich intensiver als zumindest in den letzten Jahren.

    Campus & Karriere: Wie kann ein junger Vorgesetzter sich den Respekt von langjährigen altgedienten Mitarbeitern verdienen, die jetzt in der Hierarchie plötzlich unter einem stehen?

    Von der Linde: Das ist das typische Problem, das wir "Vom Kollegen zum Vorgesetzten" nennen. Es ist natürlich wichtig, da fachliche Kompetenz zu haben. Wenn man die an dieser Stelle nicht besitzt, wird es noch einmal ganz deutlich schwierig, weil insbesondere ältere Mitarbeiter da zum Teil weit voraus sind. Mit diesen älteren Mitarbeitern ist es sicher notwendig, ganz speziell in das Führungshandeln zu gehen. Das heißt, dort individuelle Betreuung zu machen, individuelle Ansprache mit diesen älteren Mitarbeitern. Zum Teil auch erst einmal Einzelgespräche, um sich den Respekt dort zu holen. Diejenige junge Führungskraft, die dort in einen schematisierten Führungsstil verfällt, nach dem Motto "Jetzt bin ich Führungskraft und muss zeigen, dass ich führe", wird Schiffbruch erleiden.

    Campus & Karriere: Letzte Frage: Heißt schneller Aufstieg in der Firma heutzutage automatisch sehr viel mehr Geld?

    Von der Linde: Das heißt es mit aller Sicherheit nicht, denn die wirtschaftliche Lage ist nicht dazu angetan, Gehaltsbandbreiten auszureizen. Es heißt zunächst einmal mehr Verantwortung, und dann vielleicht in den nächsten Jahren, wenn es besser läuft, auch entsprechende gehaltliche Anpassung. Momentan aber sicher nicht.

    Boris von der Linde, Anke von der Heyde: Psychologie für Führungskräfte Haufe Verlag 24,95 Euro ISBN: 3-448-05210-8