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Weniger politisch, mehr aus dem Bauch

Die Hamburger Band Kettcar hat gerade ihr neues Album "Zwischen den Runden" herausgebracht. Zum ersten Mal hat neben Sänger Marcus Wiebusch auch Bassist Reimer Bustorff mehrere Songs geschrieben.

Reimer Bustorff im Gespräch mit Katharina Hamberger |
    Katharina Hamberger: Ihr habt ein neues Album rausgebracht, das heißt "Zwischen den Runden". Wie habt ihr euch denn im Vergleich zum letzten Album verändert?

    Reimer Bustorff: Ach, das ist natürlich immer so ein bisschen schwierig zu sagen. Also, jetzt gerade zu der Platte ist es doch relativ deutlich und klar für uns zumindest. Wir haben uns zum Vorgängeralbum, da haben wir uns klar eine Linie gesetzt und haben uns gesagt, wir wollen düster sein, wir wollen so ne Antihaltung einnehmen, wir wollen dagegen sein und wütend sein und verzerrt und laut sein. Und diesmal haben wir uns im Vorfeld zusammengesetzt und haben gesagt, lass uns mal einfach machen und gar nicht viel reden und drüber nachdenken, sondern einfach mal losschreiben. Und dadurch ist das Album auch, glaub ich, relativ heterogen geworden, vielschichtig, aber was ich auch ganz schön finde.

    Hamberger: Das heißt dann auch, dass ihr gar nicht mit einer Voreinstellung an das Album rangegangen seid?

    Bustorff: Genau, im Grund ja. Also wir haben, vor allem, was uns auch wichtig war, viele Einflüsse zugelassen. Also deswegen haben wir, glaub ich, auch viel Platz für Streicher auf der Platte gelassen und das auch ausgenutzt, so Bläser mit reinzubringen und andere Stilelemente reinzubringen, die es so bei Kettcar noch nicht gegeben hat. Und das ist für uns natürlich noch spannend und ne Weiterentwicklung; und wir experimentieren auch gerne rum, mit anderen neuen Elementen, so das ist für uns auch wichtig, so als Band.

    Hamberger: Wie ist es denn für Sie, wenn Sie das Album jetzt hören?

    Bustorff: Ich hab es jetzt natürlich so oft gehört, dass ich gar keinen Abstand richtig habe. Man schreibt sehr lange. Also wir haben, glaub ich, jetzt so, uns so zwei Jahre jetzt damit befasst und die Songs geschrieben und entwickelt. Sind dann im Studio gewesen, haben das eingespielt, viel im Proberaum gewesen. Bin froh, dass es jetzt fertig ist, und das ist für mich dann auch so ein Punkt, ah, jetzt ist die ganze Fleißarbeit getan, jetzt können wir endlich wieder auf die Bühne, weil man ja auch Musiker ist und natürlich auch unbedingt vor Publikum spielen will und die neuen Sachen jetzt auch ausprobieren will vor Publikum. Aber ich hab so nen richtigen Abstand zur Platte noch nicht, dass ich auch noch nicht so richtig was sagen kann, wie sich das … - es fühlt sich auf jeden Fall gut an und es fühlt sich für mich auch so an, es genügt meinen Ansprüchen.

    Hamberger: Wenn ihr jetzt eure Musik vor 30 Jahren gemacht hättet, hätte sich die genauso angehört?

    Bustorff: In meinem Alter vor 30 Jahren?

    Hamberger: Genau.

    Bustorff: Okay, wenn das so gemeint ist, dann: Ich glaube nicht, weil man natürlich immer beeinflusst ist, auch durch die gesellschaftlichen Umstände und durch alle möglichen Umwelteinflüsse, denk ich schon, dass wir wahrscheinlich ne andere Musik gemacht hätten, vielleicht auch viel mehr mit Synthesizern schon irgendwie was gemacht hätten oder so.

    Hamberger: Was sind so kulturpolitische Einflüsse oder politische Einflüsse, die euch im Moment so beeinflussen?

    Bustorff: In Hamburg haben wir halt mit einigen Widrigkeiten zu kämpfen. Darüber lassen wir uns ja auch relativ klar in dem Song "schrilles, buntes Hamburg" aus. Und da geht es für uns als Band zum Beispiel auch um so ganz profane Sachen, wir Proberäume. Es gibt halt in Hamburg keine Proberäume und es wird nichts unterstützt und es gibt vielleicht bald irgendwie das Molotow nicht mehr, was ein super Liveklub war und ganz wichtig für meine musikalische Sozialisation ein ganz wichtiger Ort war, wo ich viele Bands gesehen hab, als sie noch klein waren, die jetzt groß sind. Und das ist schon sehr einschneidend und das sind Sachen, die mich auch bewegen, und die mich beschäftigen und die natürlich dann auch immer so in mein musikalisches Schaffen so mit einfließen, kulturpolitisch.

    Hamberger: Ihr sprecht in "schrilles, buntes Hamburg" auch die Touristen an und das alles verwertet wird, was verwertet werden kann. Ist das so in Hamburg, nehmen da die Touristen so überhand, verwertet man alles, macht man alles zu Geld?

    Bustorff: Es ist gar nicht jetzt so gegen Touristen, das ist ja natürlich ein wichtiger Punkt für Großstädte und natürlich sehen wir Hamburg auch als weltoffene Stadt. Aber ich glaube, wichtig ist, dass Hamburg hier auch nur ein Beispiel darstellt. Wir kommen jetzt aus Hamburg, wir haben das Ganze jetzt für Hamburg geschrieben. Ich hab jetzt mehrere Interviews gegeben und da auch oft gemerkt, dass Leute aus München genau dieselben Erfahrungen machen, Leute in Berlin dieselben Erfahrungen machen – überall im Grunde, wo es einen Kulturetat gibt, werden dieselben Erfahrungen gemacht, dass die Subventionen und so die ganzen Unterstützungen gehen eigentlich in Projekte, die Aushängeschilder für die Stadt werden und die Touristen irgendwie anziehen sollen. Es wird Kultur immer im Zusammenhang mit Wirtschaftlichkeit gesehen. Und das ist so, für mein Verständnis auf jeden Fall falsch. Also ich finde, dass man Kultur auch unbedingt unabhängig von wirtschaftlichen Zwängen sehen muss und dass er Projekte gibt, die unterstützt werden müssen und die ruhig auch mal rote Zahlen schreiben dürfen. Das ist vielleicht sogar wichtig.

    Hamberger: Aber bei roten Zahlen – irgendwo muss man ja Geld verdienen.

    Bustorff: Ja, aber vielleicht nicht im kulturellen Bereich; oder man muss dann zumindest sehen, dass man die Freiräume schafft und die Kulturschaffenden dann die Sachen selber für sich leiten können. Wenn man so nen Laden sieht wie das "Molotow", das ja funktioniert, und wenn so ein Laden dann auf der Strecke bleibt und wenn das dann nicht gesehen wird, weil alle Blicke auf die Elbphilharmonie gehen, dann ist es natürlich irgendwie auch ungerecht.

    Hamberger: Würden Sie, wen es jetzt einen Protest geben würde oder eine Demo für’s Moltow, protestieren gehen?

    Bustorff: So ne Sache, so was wie das Molotow, das ist auch ein persönliches Anliegen für mich und da würd ich auch für demonstrieren gehen – ja, tatsächlich.

    Hamberger: Das ist ja eher was, was gewachsen ist. Jetzt hat Hamburg öfter mal gesagt, naja die Künstler, die können doch in die Hafencity gehen, das ist doch ganz toll, die müssen doch jetzt nicht ins Gängeviertel oder Ähnliches. Kann Kultur gebaut werden oder muss die wachsen?

    Bustorff: Das ist genau das Problem, was ich mein. Also ich glaube, natürlich muss die von alleine wachsen und das beschreibt der Song ja auch, Kultur entsteht ja da, wo die Künstler irgendwie sitzen und anfangen, ihren hippen Kram zu machen, und dann wird plötzlich dieser Stadtteil interessant. Und das funktioniert natürlich nicht, dass man diese angehenden, hippen Künstler irgendwo hinstellt, um einen Stadtteil dann irgendwie interessant zu kriegen, also so rum funktioniert das glaub ich nicht. Aber die Hafencity ist halt, da will ja keiner hin. Das muss man ja einfach auch mal sagen. Es ist kalt, weiß ich nicht, da weht ein scharfer Wind um die Häuser und so, das ist atmosphärisch überhaupt nicht das, was zumindest in meinem Umfeld irgendjemand gewollt hat so und auch nicht angenommen wird, das muss man ja auch ganz klar sehen. Das wird nicht angenommen. Und wenn man dann sieht, der erste Supermarkt macht in der Hafencity auf und das steht dann groß in der Zeitung, dann denkst du, ja weiß ich nicht, in den Fünfzigern oder so. Also es ist noch ne Nachkriegsmeldung so ein bisschen.

    Hamberger: Wie sehr beeinflusst denn die Großstadt euren Sound?

    Bustorff: Ich glaube schon sehr, also zumindest die Texte, beeinflussen mich sehr. Bei mir lebt das sehr aus Beobachtungen heraus. Also viel durch rumfahren. Ich bin nicht jemand, der zuhause am Schreibtisch sitzt und seine Texte schreibt, sondern ich fahre viel mit der U-Bahn durch die Gegend und laufe viel durch die Gegend und beobachte und versuch Kontraste zu finden in der Stadt und da hol ich meine Inspiration her. Ja, und da ist die Stadt natürlich total wichtig für mich.

    Hamberger: Kommen wir mal zu euren Fans. Ihr habt ja jetzt ein Video gemacht, "im Klub" und hattet da ganz viele Bilder von euren Fans. Welche Rolle spielen denn eure Fans für euch, wie wichtig sind die euch?

    Bustorff: Ah, das ist so schwierig. Ich tu mich immer so schwer mit dem Wort Fan, weil das ist so, wir sind ja immer ein bisschen so Understatement-mäßig unterwegs und so doch sehr bodenständig und Fantum hat immer was mit Anhimmelei zu tun; und da fühl ich mich eigentlich nicht so wohl. Ich freu mich natürlich, wenn viele Leute uns gut finden und zu unseren Konzerten kommen und mit uns auch diese Konzerte erleben. Also, das ist für mich auch wichtig, dass es so ein, möglichst ein Miteinander wird, so ein Konzertabend. Was natürlich, wenn das größer wird, auch immer schwieriger wird, aber das spielt natürlich ne wichtige Rolle, also Resonanz, was wiederkommt, ist für uns natürlich auch total wichtig.

    Hamberger: Was wär ein anderes Wort für Fan dann?

    Bustorff: Ach ich weiß nicht, ich bin ja selber auch Fan, das ist auch doof. Von "The Smiths" bin ich großer Fan und da würd ich mich auch als Fan bezeichnen. Und Morrissey find ich auch, ist auch ein bisschen abgeebbt so, insofern find ich dafür vielleicht auch kein anderes Wort. Vielleicht hängt das auch mit diesem Fan und fanatisch zusammen, diese Ableitung, die ich vielleicht so, vielleicht müsste man sich mal ein neues Wort ausdenken dafür – ich überleg mal, ich weiß jetzt so nichts ad hoc.

    Hamberger: Seid ihr denn, wie soll man das – Fans kann ich jetzt nicht mehr sagen.

    Bustorff: Doch jetzt.

    Hamberger: Wie nah seid ihr denn euren Fans, wenn ihr auf der Bühne steht. Seht ihr euch dann so ein bisschen drüber oder ist es ne sehr gleiche Ebene?

    Bustorff: Das ist schon ne sehr gleiche Ebene; und das war bei uns auch schon immer so. Also, wir sind schon oft mal kritisiert worden, so als Kumpelband, eigentlich, wir sind halt einfach so, wir sind schon immer so gewesen. Nach den ersten Konzerten sind wird halt irgendwie von der Bühne zu den Leuten gegangen und haben mit ihnen geredet, so. Ich hab auch keine Allüren oder so. Wir haben jetzt auch kein Divenverhalten und freuen uns über Kleinigkeiten. Aber das hat natürlich auch manchmal das Problem, dass es zu nah werden kann. Oft natürlich dann kriegste mal ne Mail, wo dann irgendwas von Seelenverwandtschaft steht und wo das zu doll wird und man dann natürlich auch aufpassen muss.

    Hamberger: Man kann auch nicht mit allen seinen Fans befreundet sein?

    Bustorff: Es gibt so ein paar, die fahren auch hinter uns her und die kennen wir dann auch mit Namen und ich bin jetzt auch nicht scheu, dass ich irgendwie nach dem Konzert mich da noch irgendwie immer zum Merchandise-Stand hinstelle und mich mit den Leuten unterhalte und so. Das macht mir auch Spaß, also diese Nähe macht mir auch Spaß aber befreundet sein, ist natürlich schon wieder was ganz anderes.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.