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Wenn Blödsinn Blüten treibt

Ein übel zugerichteter Blumenkübel im Münsterland erregt die Netzgemeinde weltweit. Sogar ein Bekennerschreiben der Gruppe "Free the flowers" tauchte auf. Offenbart der lustige Hype unsere Sehnsucht nach mehr Banalitäten aus dem Alltag?

Von Klaus Deuse | 07.08.2010
    Im platten westfälischen Münsterland sagen sich normalerweise Fuchs und Hase Gute Nacht. Doch nun erschüttert eine Schreckensmeldung aus der 14.000-Seelengemeinde Neuenkirchen die ganze vernetzte Welt. Die größten Gräueltaten passieren offenbar noch immer in der tiefsten Provinz. Wie aus heiterem Himmel kam es im Internet zu eruptiven Ausschlägen. Bei Twitter schoss dieses Drama sogar auf Platz zwei vor. Nicht in Deutschland, nein: weltweit! Selbst in den USA liefen die Server heiß.

    Zugetragen hatte sich schließlich Ungeheuerliches. Da hatten frevelnde Hände doch tatsächlich vor einem Altenheim unerkannt einen Blumenkübel umgestürzt, der danach ein erbärmliches Bild bot. Denn weil auch eine Postille aus der Provinz auf der Höhe der Zeit bleiben will, hatte die "Münstersche Zeitung" das Foto des derangierten Blumenkübels zusammen mit ein paar Zeilen ins Netz gestellt. Ein absolutes Bild des Grauens, das ein Mitglied der Twitter-Gemeinde mit den einfühlsamen Worten kommentierte: "Überall nur Erde, dann diese Scherben. Es war wie Krieg."

    Danach ging plötzlich im Netz die Post aber richtig ab. Angela Merkel unterbricht ihren Urlaub, um zu kondolieren, schrieb ein anderer Twitterer, und: Nach diesem infamen Blumenkübel-Anschlag sei die Zeit reif für einen Bundeswehr-Einsatz im Inland. Zum zerdepperten Zustand des Blumenkübels schrieb ein anderer: "BILD spricht mit dem Schwager der Nichte. Er war schon immer labil." Natürlich nicht der Schwager, sondern der Blumenkübel. Trotzdem ein wirklich schöner Beitrag zu einer aufgeblasenen Nachricht, die nicht mal lokal viel hermacht. Aber im Netz, da brodelte es über. Bei YouTube tauchte sogar ein Bekenner-Video der bislang unbekannten Floral-Aktivisten "Free the flowers" auf. Voll maskiert, versteht sich. Selbst die online-Redaktion des ZDF juxte mit, dass man mit einem Heute-Spezial rechnen könne. Falls in einer nicht allzu fernen Zukunft ein Internet-Historiker auf dieses Material stoßen sollte, er müsste diese zigtausend Blumenkübel-Bewerter für total bekloppt erklären.

    Nur was sagt uns heute dieser komplett schräge Hype um einen umgekippten Blümenkübel, außer dass die Amis überhaupt keine Vorstellung davon haben, was da schnöde zu Bruch gegangen ist? Offenbart dieser rund um den Blumenkübel Blüten treibende Blödsinn im Netz durch die Blume in der Flut von globalen Katastrophenmeldungen womöglich die tiefe Sehnsucht nach mehr Banalitäten aus dem Alltag? Wenn das so sein sollte, dann muss man sich nach dieser Blumenkübel-Nummer aber auf allerhand gefasst machen.