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Wenn das Alphabet sich schräg legt

Knifflige Buchstabenspiele und herrlich schräge Geschichten erzählt die US-Amerikanerin Matthea Harvey in ihrem Gedichtband "Du kennst das auch". In Deutschland ist die 1973 geborene Autorin noch relativ unbekannt, in den USA hat es einer ihrer bereits drei Gedichtbände hingegen auf die Auswahlliste zum National Book Critics Circle Award gebracht.

Von Tobias Lehmkuhl | 04.05.2011
    "Du kennst das auch" heißt der soeben erschienene Gedichtband der hierzulande noch weithin unbekannten Dichterin Matthea Harvey. In den USA hat die 1973 geborene Harvey bereits drei Gedichtbände veröffentlicht, einer von ihnen stand sogar auf der Auswahlliste zum renommierten National Book Critics Circle Award. Nun hat die mit dem Peter-Huchel-Preis ausgezeichnete deutsche Dichterin Uljana Wolf - die mit dem amerikanischen Lyriker Christian Hawkey verheiratet ist und sich gerade als Stipendiatin in der kalifornischen Villa Aurora aufhält - einen umfangreichen Auswahlband mit Lyrik Matthea Harveys veröffentlicht. Tobias Lehmkuhl stellt ihn vor.

    Dass die Dichterin Matthea Harvey auch ein Händchen für Kinderbücher hat - eines ist unter dem Titel "Der kleine General und die riesenhafte Schneeflocke" bereits auf Deutsch erschienen - merkt man ebenfalls dem lyrischen Auswahlband "Du kennst das auch" an. Ein Zyklus von Prosagedichten widmet sich in ihm dem Schicksal Robo-Boys, eines kleinen Jungen oder kleinen Roboters oder auch einer Mischung aus beidem: In "Hau-den-Maulwurf-Realismus" spielt Robo-Boy ein archaisches Computerspiel, in "Minotaurus-Labyrinth" wundert er sich darüber, wer sich die Mühe gemacht hat, Lebenslinien in seine Robo-Handflächen zu gravieren und in "Einsamer Magnet" schließlich entwickelt er magnetische Fähigkeiten:

    "Er hebt den Kopf und sieht eine Wand aus Blechblasinstrumenten auf sich stürzen - doch zum Glück hat er DenkschnellTM und ReflexTM, die ihn schon vor zahllosen Spielplatzblamagen bewahrten. Mit gewaltigem Scheppern schlägt die glänzende Blechwand gegen die Tür, die sich hinter ihm schließt, und gleitet zu Boden wie der Schatz eines verrückten Musikantenkönigs. Robo-Boy flitzt nach Hause. Stoppschilder neigen sich ihm zu, Ringe in der Juwelierauslage pressen ihre glitzernden Nasen ans Glas, Armreifen grinsen. Zwar bemerkt ihn der Quiltzirkel nicht, aber die Nadeln bemerken ihn, recken sich ihm entgegen wie Pflanzen der Sonne. Eine Nadel sticht im Verlangen, das neue Zentrum ihres Universums zu finden, Frau Eisenstein in den Finger. Lies den Blutstropfen, der aufs Blumenmuster fällt, als das offizielle Zeichen für den Beginn von Robo-Boys Pubertät.

    Herrlich schräge Geschichten sind das, für Kinder ebenso geeignet wie für Erwachsene mit Hang zum Absurden, für Menschen die DADA-geschult sind und Daniil Charms oder Günter Eichs "Maulwurf"-Geschichten zu schätzen wissen. Andere Gedichte des Bandes sind zwar ebenso spielerisch, dabei allerdings weniger zugänglich. So arbeitet Matthea Harvey in dem Zyklus "Die Zukunft des Terrors" etwa mit alphabetischen Progressionen. Dabei erhalten im Laufe eines Gedichts bestimmte Buchstaben in alphabetischer Reihenfolge den Vorzug. Das führt zu allerlei kuriosen Alliteration - "die Gusche des Gauls beim Gesundheitscheck" etwa - im Ganzen aber wirkt dieser Zyklus allzu beliebig und assoziativ. Zwar fordert Harvey in einem programmatischen Aufsatz zum Thema "Abecedarium", der sich auf ihrer Internetseite nachlesen lässt, es bräuchte einfach ein wenig mehr Zeit als bei üblichen Gedichten, bis sich erschließt, wovon diese alphabetisierenden Gedichte handeln und was sie ausdrücken wollen. Doch fehlt den Versen leider etwas, dass zu einer längeren Beschäftigung überhaupt erst einlädt und anreizt.

    Wer Lyrik gleichwohl als Geduldsspiel schätzt, wird mit "Die Zukunft des Terrors" möglicherweise glücklich. Das gilt auch für viele andere Gedichte des Bandes. Zwar finden sich immer wieder originelle Motiverknüpfungen, Anspielungen und schöne Bilder wie etwa das der Sonne, die im Rückspiegel glänzt wie, Zitat, ein "Pfirsichkern aus Licht", und auch die Verwandtschaft von Silberfisch und Zeppelin offenbart sich hier erstmals. In der Regel aber geht es dem Leser von "Du kennst das auch" wie Matthea Harvey mit Benzinringen in Pfützen: "Schön, aber unlösbar". Daran ändert leider auch die so einfallsreiche wie unglaublich gelenke Übersetzung Uljana Wolfs nichts.


    Matthea Harvey: Du kennst das auch.
    Übersetzt von Uljana Wolf. KOOKbooks, Idstein 2010. 190 Seiten, 19,90 Euro.