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Wenn das Denken krankhaft wird

Die Schizophrenie ist eine psychische Störung, die es den Patienten fast unmöglich macht, ihr Berufs- und Familienleben aufrechtzuerhalten. Nun plädieren einige Fachleute dafür, schon sehr frühe mögliche Anzeichen ernstzunehmen. Allerdings: Eine solche Ausweitung des Psychosebegriffs ist umstritten.

Von Volkart Wildermuth | 30.09.2013
    Eine Schizophrenie beginnt nicht mit der ersten Wahnepisode. Schon Jahre vorher verändert sich etwas. Die Menschen fühlen sich niedergedrückt, ziehen sich aus ihrem normalen Leben zurück.

    "Und wenn man dann genauer nachfragt, dann ist es eben häufig so, dass sie so feine Beschwerden bemerken. Also das Denken geht nicht mehr so, wie sie das aus gesunden Zeiten kennen, bei der Wahrnehmung gibt es so leichte Veränderungen, Farben erscheinen anders, Geräusche erscheinen lauter und manchmal ist es auch so, dass dann tatsächlich so Ideen schon anklingen wie: Da könnte jemand sein, der was gegen mich im Schilde führt."

    Aber in dieser Phase realisieren die Menschen noch, dass das Gefühl der Bedrohung wenig mit der Realität zu tun hat. Solche Probleme führen nicht automatisch in die Psychose, betont der Psychiater Professor Andreas Bechdolf vom Berliner Vivatens Klinikum am Urban. Aber zwei von zehn der Menschen, die Hilfe suchen und bei denen sich erste Denkstörungen feststellten lassen, entwickeln innerhalb eines Jahres einen Wahnschub. Im Januar hat Andreas Bechdolf gemeinsam mit Kollegen in einem Übersichtsartikel in "JAMA Psychiatry" Diagnosekriterien zusammengestellt, die dieses attenuierte, also abgemilderte, Psychosesyndrom beschreiben. Solch eine Ausweitung des Psychosebegriffs ist nicht unumstritten. Aber Andreas Bechdolf betont, dass es um Menschen geht, die selbst feststellen, dass sie sich langsam verändern.

    "Das ist fast der wichtigste Punkt bei der Sache. Also die Rollenerfüllung, ein Schüler, wie der in der Schule zurechtkommt, oder ein Vater, wie der auf seine Kinder aufpasst oder Arbeit, die ist eben schon deutlich vorher beeinträchtigt, bevor die eigentliche Schizophrene Psychose dann diagnostiziert werden kann."

    Es handelt sich also um Menschen, bei denen Veränderungen im Denken bereits ihre gewohnten Tagesabläufe behindern - das ist Andreas Bechdolf besonders wichtig. Ein breites Psychose Screening etwa in der Schule macht nach seiner Ansicht keinen Sinn. Wenn aber Menschen von sich aus Kontakt mit psychiatrischen Beratungsstellen aufnehmen, dann lohnt es sich, gezielt auf Warnzeichen zu achten. Die Diagnose attenuiertes Psychosesnydrom wird von den Betroffenen dann auch nicht als Stigmatisierung erlebt.

    "Was die Patienten eben weit überwiegend sagen, ist, dass es für sie eine Entlastung ist, eine Erklärung zu haben für die Beschwerden."

    Zumal die Psychiater auch Hilfen anbieten können, zum Beispiel eine Psychotherapie oder niedrig dosierte Psychopharmaka. Inzwischen liegen international Erfahrungen mit über 1000 Patienten vor, die Andreas Bechdolf gemeinsam mit Kollegen diesen Monat in der Zeitschrift "Schizophrenia Research" analysiert hat.

    "Der Wissensstand im Moment ist der, dass alle spezifischen Interventionen, also Psychotherapie, Omega-3-Fettsäuren und Antipsychotika den Übergang reduzieren können in die Psychose."
    Je nach Studie müssen zwischen vier und acht Patienten behandelt werden, um eine Psychose zu verhindern. Für ein Vorbeugeprogramm ist das ein recht guter Wert. Niedrig dosierte Psychopharmaka werden wegen ihrer Nebenwirkungen für die Prävention eher kritisch diskutiert. Fischölkapseln mit Omega-3-Fettsäuren könnten hier eine verträgliche Alternative darstellen. Allerdings konnte ihre Vorbeugende Wirkung bislang nur ein einer einzigen Studie gezeigt werden. Es lohnt sich sicher, hier weiter zu forschen. Bis Ergebnisse vorliegen, rät Andreas Bechdolf aber zu einer Psychotherapie. Vor allem auch, weil sie allen Betroffenen helfen kann, auch denen, die später keine Psychose entwickeln würden.

    "Das ist eben der Pfiff bei der Psychotherapie. Man geht ja eben Problemorientiert vor, wenn es jetzt ein Thema ist, mit niedergedrückter Stimmung umzugehen, oder mit Problemen im Schulalltag wird das in der Psychotherapie dann auch angesprochen und behandelt, sodass auch die, die am Ende nicht übergehen in die Psychose, von der Psychotherapie profitieren."

    Zurzeit bezahlen die Krankenkassen diese prophylaktische Therapie aber meist nicht. Wer das Gefühl hat, selbst an Vorsymptomen einer Schizophrenie zu leiden, sollte sich deshalb an eines der zwölf deutschen Früherkennungszentren für Schizophrenie wenden.


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    Liste der Früherkennungszentren