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Wenn das Fundament schwindet

Medizin. - Wer heutzutage mit einem Knochenbruch in die Klinik kommt, für den haben Mediziner ein ganzes Sammelsurium an Behandlungsmitteln: Gips und Plastikschienen, Schrauben und Nägel, Platten aus Metall oder gleich ein komplett neues Gelenk. Schwieriger wird es bei Knochendefekten oder wenn es sich um ältere Patienten handelt, die unter Knochenschwund leiden. Schätzungen zufolge verursacht die so genannte Osteoporose höhere Kosten als Herzinfarkte oder Schlaganfälle. Für einige Mediziner Grund genug, die schwachen Knochen genauer zu untersuchen. Auf dem 6. EFORT-Kongress, der heute in Helsinki zu Ende ging, diskutierten Orthopäden und Unfallchirurgen aus ganz Europa daher einmal nicht nur über Hüftleiden, Knieprobleme und Rückenschmerzen, sondern auch über Osteoporose und Knochenersatz.

    Von Sabine Goldhahn

    Über Jahre hinweg gehörte Osteoporose zu den Krankheiten, die auf medizinischen Kongressen überhaupt nicht oder allenfalls am Rande erwähnt wurden. Erst in letzter Zeit suchen immer mehr Ärzte nach den Ursachen dieser Volkskrankheit. Warum die Knochensubstanz im Alter immer weniger wird, welche Faktoren eine Rolle spielen und wieso gerade Frauen besonders betroffen sind.

    Unser eigentliches Ziel ist es, den Frauen nach der Menopause zu helfen, dass sie weiterhin starke Knochen behalten. Dabei mussten wir im Blut nach Proteinen suchen, die den Knochen im Alter dünner werden lassen. Dabei sind wir auf Interleukin 6 gestoßen. Das Besondere daran ist, dass es bei den Menschen unterschiedliche Gene gibt, die den Bauplan für Interleukin 6 enthalten. Je nachdem, welches Gen man hat, wird bis zu einem Drittel mehr Interleukin 6 gebildet. Und je mehr Interleukin 6 in der Blutbahn ist, desto dünner wird der Knochen.

    Keine guten Aussichten also für jene etwa 12 Prozent Frauen, die über zu viel Interleukin 6 verfügen. Laurence James von den University College London Hospitals konnte sogar noch einen anderen Zusammenhang aufdecken. Warum nämlich die allgemein übliche Hormonersatztherapie bei einigen Frauen nicht genug vor Osteoporose schützt:

    Bei denjenigen, die eine Hormonersatztherapie bekommen und das Gen für wenig Interleukin 6 haben, entstehen die dicksten und stärksten Knochen. Anders bei Menschen mit dem Gen für viel Interleukin 6. Zwar ist Hormonersatztherapie für den Knochen eine wirklich gute Sache, aber in Zukunft sollten wir nach neuen Medikamenten suchen, die den Interleukin 6-Spiegel im Blut senken. Dadurch könnten die Frauen für lange Zeit dicke und kräftige Knochen bekommen.

    Dicke und kräftige Knochen sind etwas, das sich auch Haisheng Li für seine Patienten in Zukunft wünscht. Der Orthopäde vom dänischen Aarhus University Hospital arbeitet an Zellkulturen, die bei großen Knochendefekten die Lücke wieder ausfüllen sollen. Das Schwierige dabei: Um einen Knochendefekt zu schließen, braucht man ein dreidimensionales Netzwerk, denn Knochen besteht aus einem räumlichen Gebilde verschieden dicker Bälkchen. Das lässt sich jedoch in einer Kulturschale im Labor überhaupt nicht erreichen. Da wachsen die Zellen zwar nach rechts und nach links, aber immer nebeneinander und niemals nach oben.

    Unsere zweidimensionalen Zellkulturen in den Petrischalen sind statische Gebilde. Dort geben wir lediglich einige Nährstoffe hinzu und darin liegen die Zellen ganz ruhig. Wenn wir aber einen sogenannten Bioreaktor verwenden, haben wir eine dynamische Umgebung. Dort bewegt sich die Flüssigkeit mit den Nährstoffen um die Zellen, wie bei unserem Blutkreislauf. Sie bringt Nährstoffe und Sauerstoff zu den Zellen und nimmt deren Abbauprodukte mit. Dadurch wachsen die Zellen schneller und erreichen eher die Struktur, die wir im Körper haben wollen.

    Bioreaktor ist das neue Schlagwort bei Forschern, die Gewebe züchten. Dahinter verbergen sich verschiedenartige Glasgefäße, die die künftigen Knochenzellen und eine Nährstofflösung enthalten. Anders als in einer Petrischale wird ihr Inhalt jedoch von außen bewegt: entweder durch den Einfluss eines Magnetfeldes oder durch Vorrichtungen, die Schwerkraft erzeugen. Dadurch ahmen die Forscher die natürliche Umgebung der Zellen nach. Erste Experimente zeigen, dass derart gezüchtete Zellen als Ersatz bei Knochendefekten taugen. Dennoch wird es noch Jahre dauern, bis man sie bei jedem Patienten anwenden kann. Der Bedarf für Knochenersatz ist allerdings schon jetzt sehr groß. Haisheng Li:

    Allein in den USA ist bei etwa 500 000 Operationen Knochenersatz nötig.