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Wenn das Gleichgewicht ins Wanken gerät

Schwindel gilt als Volkskrankheit. Bei Hausärzten klagt etwa jeder sechste Patient darüber. Viele Betroffene laufen von Arzt zu Arzt, ohne dass die richtige Diagnose gestellt wird. Ursachen gibt es viele. Am Universitätsklinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München wird nun ein Forschungs- und Behandlungszentrum eingerichtet.

Von Veronika Bräse |
    Menschen haben eine Art eingebauten Kompass. Sonst würden sie schwanken und könnten nicht gerade aus laufen. Dieser Kompass ist ein kompliziertes System, bei dem das Innenohr, die Augen und das Gehirn optimal zusammenspielen müssen. Bei Patrick Krieg hat das immer gut funktioniert - bis vor einem halben Jahr. Seitdem hat er mehrmals am Tag heftige Schwindelattacken:

    "Ich verliere einfach komplett die Orientierung im Raum, als ob ich auf einem Schiff stehe, das aber kentert. Völlig ohne Vorankündigung, völlig unvorbereitet, verliere ich das Gleichgewicht und stürze dann je nachdem."

    Der sportliche, junge Mann aus Karlsruhe hat eine Odyssee von Arzt zu Arzt hinter sich. Lange war unklar, woher der Schwindel kommt. Am Münchner Klinikum Großhadern haben Spezialisten nun die Ursache gefunden: Sie liegt im Gehirn, wo sich Gleichgewichtsnerven befinden. Kommen die Nerven in Kontakt mit einer Arterie, können sie verrückt spielen, erklärt der Neurologe Prof. Thomas Brandt:

    "Das Pulsieren dieser Arterie kann dann die Schutzhülle des Nerven schädigen und so kann es eben zu zum Teil hunderten von Attacken pro Tag kommen mit kurzen Schwindelzuständen, weil dann, vereinfacht ausgedrückt, die blank liegenden Nervenfasern durch das pulsierende Gefäß erregt werden und dann auch eine Körperbeschleunigung vortäuschen. "

    So kommt es ohne Vorwarnung plötzlich zum Sturz. Patrick Krieg ist das schon oft passiert. Deshalb kann er seinen Beruf als Polizist momentan nicht ausüben. Er bekommt nun Tabletten, die das pulsierende Gefäß in Zaum halten:

    "Die Behandlung ist niedrig dosiert mit Mitteln, die man sonst bei epileptischen Anfällen gibt, wobei das keine epileptischen Anfälle sind, nur verwandte, unnatürliche Erregungen eines Nerves, aber das ist ein bislang kaum bekanntes Krankheitsbild."

    Viele häufiger passiert es, dass der Schwindel eine mechanische Ursache hat. Dann ist ein Kalkstückchen an eine Stelle des Gehörgangs gerutscht, wo es nicht hingehört und sorgt dort für Turbulenzen:

    "Das ist die häufigste Schwindelform überhaupt, da gelangt ein Steinchen in die Bogengänge und simuliert dann eine Drehung des Körpers bei Lagewechsel gegenüber der Schwerkraft."

    Die Ohrensteinchen sind für den Gleichgewichtssinn wichtig. Denn durch ihre träge Masse pegeln sie uns ein. Sie machen dem Gehirn sozusagen klar, wo oben und unten ist. Auch die Beschleunigung im Auto nehmen wir dank der Steinchen wahr, selbst wenn die Augen geschlossen sind. Nur dürfen sie nicht in die mit Flüssigkeit gefüllten Bogengänge des Innenohrs gelangen, weil sie da hin und her schwappen und Bewegungen vortäuschen. Brandt hat für diese Patienten eine besondere Therapie entwickelt:

    "Man muss jetzt das Steinchen an eine bestimmte Stelle bekommen durch eine Seitenlagerung und dann in der Ebene den ganzen Patienten um 180 Grad auf die gegenüberliegende Seite rasch schwenken und dann fällt dieses Steinchen aus dem Bogengang heraus. "

    Damit hat der Schwindel ein Ende. Neben den Kalksteinchen und den erregten Nervenzellen gibt es noch viele andere Ursachen für Schwindel. Migräne kann zum Beispiel ein Grund dafür sein. Die Ärzte sind eher zufällig auf diesen Zusammenhang gestoßen. Sie wollten Patienten helfen, die an Schwindel und an Migräne gleichzeitig leiden:

    "In unserer Not haben wir dann einfach diese Patienten so eingestellt,vorbeugend wie man Migränepatienten einstellt, und haben dann gesehen, dass wir sehr vielen helfen konnten. Also eine sehr häufige, bislang nicht so bekannte Variante: episodischer Schwindel bei Patienten mit Migräne."

    Bei diesen Patienten spricht der Schwindel also auf Migräne-Medikamente an. Die helfen Gehirnzellen wieder auf die Sprünge, die sich krankhaft verändert haben. Manche schalten sich an und ab, was auch ein Flimmern in den Augen verursachen kann. Mit bildgebenden Verfahren, also in der Röhre, lässt sich schon recht genau sehen, was in den Nervenzellen vor sich geht. Auf dieser Basis lassen sich dann Arzneien entwickeln, die noch gezielter ansetzen können.