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Wenn das Studium unbezahlbar wird

Das Studium stellt Frankreichs Studenten immer häufiger vor kaum zu lösende finanzielle Probleme. So erging es auch der Autorin des Buches "Mes chères études" - der ausführliche Erfahrungsbericht einer 18-jährigen Studentin, die sich aus Geldnot prostituiert. Ein Phänomen, das Schätzungen französischer Studentenorganisationen zufolge etwa 40.000 Studenten betrifft.

Von Margit Hillmann |
    Gestern Nachmittag vor der Uni Jussieux im 5. Pariser Arrondissement. Auch hier hat man von dem Buch "Mes cheres études" gehört, die Geschichte der Studentin Laura D., die ihren Körper verkauft, um ihr Studium zu finanzieren. Die Studenten reagieren darauf sehr unterschiedlich:

    " Mich schockiert das nicht. Das gibt es auch in anderen Ländern.

    Ich finde es super hart, dass der Staat die Studenten finanziell nicht besser unterstützt, dass er hinnimmt, dass Studenten sich prostituieren, um Studieren zu können.

    Freunde von mir sind so knapp bei Kasse, dass sie nicht selten schon Mitte des Monats keinen einzigen Cent mehr für Lebensmittel haben.

    Es heißt, die Studentinnen seien zur Prostitution gezwungen, weil sie sonst nicht über die Runden kommen. Ich glaube, dass man immer eine Wahl hat und sich anders durchschlagen kann. … "

    Auch Laura hätte vor ihrem Studium nicht im Traum daran gedacht, dass sie sich eines Tages prostituieren würde. Heute ist sie dagegen sicher, dass es sehr viel mehr Studentinnen und Studenten gibt, die sich mit Prostitution finanziell über Wasser halten, als bekannt ist.

    " Ich weiß, dass ich bin wie andere, ganz normal. Und ich sag mir: Wenn ich da gelandet bin, dann passiert es anderen genauso. Das Problem ist, das Thema ist so tabu, dass niemand darüber reden kann. "

    Laura versteckt bis heute ihre wahre Identität. Auch sie hat eine panische Angst, dass Familie und Freunde entdecken könnten, dass sie sich prostituiert hat. Hätte sie nicht zufällig die kleine Annonce einer Soziologiestudentin gelesen, die für ihre Diplomarbeit über Studentenprostitution nach Betroffenen suchte, dann hätte niemals jemand irgendetwas erfahren, sagt sie.

    Und dann beschreibt Laura in groben Zügen, wie sie in die Prostitution gerutscht ist: Als sie ihr Italienisch und Spanisch-Studium beginnt, hat sie keinen Anspruch auf Bafög. Theoretisch hätten ihre Eltern sie unterstützen müssen, aber die kamen selbst gerade so über den Monat. "Die konnten mir unmöglich meine Miete bezahlen, nicht mal ein kleines Taschengeld war drin", berichtet sie. Laura sucht sich sofort einen Studentenjob, 20 Stunden die Woche in einem Callcenter. Doch bezahlt sie ihren Mietanteil - 300 Euro für eine kleine Wohnung, die Laura mit ihrem Freund teilt - bleibt kaum etwas übrig.

    Schon nach wenigen Wochen steht ihr das Wasser bis zum Hals: unbezahlte Strom- und Telefonrechnungen; der kleine Schrank, in dem sie ihre Konserven und Nudeln aufbewahrt, ist meistens leer. Sie hat innerhalb weniger Wochen 10 Kilo verloren.

    Als sie im Internet surft, um einen besser bezahlten Job zu finden, stößt sie auf "gut bezahlte Jobangebote" für Studentinnen, mit Texten wie "Reifer Mann sucht neugierige Studentin für zarte Stunden". Lola spielt zunächst nur mit dem Gedanken, ihren Körper an einen dieser Männer zu verkaufen. Als sie eine Woche später aber noch immer keine Lösung für die drängenden Geldprobleme gefunden hat, antwortet sie schließlich auf eine der Internetanzeigen.

    " Meine Bank schrieb mir Drohbriefe. Ich stand total unter Druck, ich konnte es nicht mehr aushalten. Dann habe ich mir gesagt: Okay, ich tu es einmal und dann nie wieder. "

    250 Euro die Stunde – für Laura ein Vermögen. Und auch wenn sie sich geekelt hat, sich dreckig und schuldig fühlt – sie hat wieder etwas Luft, kann sich um ihr Studium kümmern. "Das war wichtiger, als alles andere", sagt sie. Es ist der Anfang ihres "Doppellebens": die ehrgeizige Studentin Laura, deren Alltag sich zwischen Callcenter und Uni abspielt, und die heimliche Laura, die sich – wenn das Geld nicht reicht – mit alten Männern in Hotelzimmern trifft und deren Lust nach Sex mit einer unverdorbenen jungen Studentin befriedigt.

    Es dauert bereits ein knappes Jahr, als sie eines Tages einen ihrer Kunden mit seiner Familie in einem Café trifft und sich die beiden Laura zu vermischen drohen. Sie gerät in Panik, hat Angst die Kontrolle zu verlieren. Sie entscheidet sich an diesem Tag, die Prostitution endgültig aufzugeben.

    " Es ist jetzt ein Jahr her, dass ich mit der Prostitution aufgehört habe. Aber ich habe noch immer psychische Probleme, es hat etwas in mir zerstört. Eine Beziehung mit einem Mann ist seitdem nicht mehr möglich. Ich habe noch immer die Bilder im Kopf, die Szenen, auch Gewalt, die ich mit diesen Männern erlebt habe. Bilder und Momente, die ich nicht vergessen kann. "

    Ihr Studium hat Laura nicht aufgeben und sie arbeitet auch wieder nebenbei: 20 Stunden die Woche in einem Fastfood-Restaurant. Und wie früher lebt sie auch heute wieder in permanenter Geldnot. Gott sei Dank, sagt sie, wird mit dem Buch demnächst Geld reinkommen. Denn, sagt Laura, auch wenn sie sehr unter der Prostitution gelitten habe, - ich wäre vielleicht wieder dazu bereit, wenn mein Studium auf dem Spiel stünde.