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Wenn das Wohngebiet überaltert

Jedes fünfte Wohnhaus in Westdeutschland ist ein in den ersten Nachkriegsjahrzehnten erbautes Einfamilienhaus. Viele dieser Baugebiete sind heute von einer Alterung betroffen. Deshalb veranstaltete das Deutsche Institut für Urbanistik in Berlin das Seminar "Alternde Einfamilienhausgebiete. Herausforderungen und Perspektiven".

Von Ingeborg Breuer | 27.09.2012
    Das Häuschen im Grünen: Viele Deutsche erfüllten sich in den 60er-/70er-Jahren diesen Traum. Sie zogen hinaus an den Rand oder ins Umland der Städte, wo in breiter Fläche neue Siedlungen entstanden.

    "Das war gekoppelt mit einem Familienbild: Die junge Familie mit Kindern hatte den Wunsch, in den Einfamilienhäusern zu wohnen. Die Hausfrau versorgte die Kinder und die Männer fuhren zur Arbeit."

    So Dr. Stefanie Bock, Mitveranstalterin des Seminars über "Alternde Einfamilienhausgebiete" am Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin. Und Gregor Jekel, ebenfalls am Institut für Urbanistik, weist darauf hin:

    "Dass dieses Familienmodell auch als förderwürdig angesehen wurde und mit massivem öffentlichen Geld unterstützt wurde, also Eigenheimzulage etc. Das ist nicht nur Familienpolitik gewesen, auch die Wohlstandsbildung war ein wichtiger Aspekt."

    Die in den ersten Nachkriegsjahrzehnten entstandenen Ein- und Zweifamilienhaussiedlungen bilden bis heute einen wesentlichen Teil des Gebäudebestandes in Westdeutschland. Runrid Fox Kämper vom Institut für Landes- und Stadtentwicklung in Aachen arbeitete mit an einem Forschungsprojekt über "Die Zukunft von Einfamilienhausgebieten aus den 1950er- bis 1970er-Jahren":

    "Für die westdeutschen Bundesländer gilt das auf jeden Fall, dass so ein Großteil der Einfamilienhäuser entstanden ist: Für Westdeutschland gilt: 1/5 aller Wohnungen, sie stammen aus dieser Zeit und sind ein Einfamilienhaus."

    Zwar ist bis heute das – möglichst freistehende – Einfamilienhaus nicht nur bei Familien mit Kindern eine äußerst beliebte Wohnform. Doch zunehmend rückt für Städteforscher auch die Problematik solcher 'alternden' Eigenheimgebiete in den Blick:

    "Weil sie für Familien geplant waren, lebt da immer eine Bevölkerungsgruppe, die in einem bestimmten Alter ist, das heißt, die Bevölkerung in diesen Wohngebieten altert auch gleichzeitig. Und es gibt keinen Wechsel, der sich langsam vollzieht, sondern man kann beobachten, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt alle Bewohner auf einmal 70, 75 und 80 werden."

    In vielen dieser Siedlungen steht mittlerweile ein Generationenwechsel an – oder vollzieht sich bereits. Die älteren Menschen, die dort noch wohnen, klagen zum Teil über mangelhafte Anbindung an den öffentlichen Verkehr, über zu wenig Barrierefreiheit des direkten Wohnumfeldes. Oder sie vermissen den Supermarkt um die Ecke. Inzwischen wird deutlich,

    "dass viele Einfamilienhausgebiete nicht generationengerecht geplant worden sind, sondern mit dem Fokus auf Familie. Was die Versorgung für Kinder betrifft, ist das vielleicht noch gut. Aber wenn man an ältere Menschen denkt, dann gibt es in vielen Gebieten Defizite, die noch nicht überall durch eine Überplanung der Infrastrukturausstattung abgebaut werden konnten."

    Hinzu kommt, dass die Häuser selbst in die Jahre gekommen sind und oft einer grundlegenden Modernisierung und Anpassung an gewandelte Ansprüche bedürfen.

    "Bei allen muss man feststellen, dass sie gebaut wurden, als man davon ausging, fossile Energie ist unendlich. Das heißt, sie sind unter heutigen energetischen Gesichtspunkten für viele heute nicht mehr attraktiv."

    Angesichts des demografischen Wandels wird sich in Zukunft eine Polarisierung zwischen Regionen mit Bevölkerungswachstum und solchen, die schrumpfen, entwickeln. Und dies bedeutet: Bei älteren Einfamilienhausgebieten in nach wie vor prosperierenden Gegenden ist weiterhin mit wachsender Nachfrage und damit auch steigenden Preisen zu rechnen. Aber in peripheren Lagen werden solche Häuser in Zukunft mit Wertverfall konfrontiert sein.

    Fox-Kämpfer: "Ganz generell kann man Regionen identifizieren, wo das Risiko erhöht ist. Also umgekehrt: Im süddeutschen Raum wird es zu keinen Problemen kommen, aber in Regionen nah an der ehemaligen Zonengrenze oder in den ländlichen Grenzräumen, Küstenregionen, das sind Räume, wo wir sehen, dass es einen hohen Anteil an Einfamilienhausgebieten gibt, aber die Nachfrage einfach zurückgeht. Es ist aber auch ein Risiko rund um die typischen suburbanen Räume, wo sehr viel gebaut wurde und wird. Also nördliches Ruhrgebiet, Münsterland, ist die Nachfrage langfristig nicht so hoch einzuschätzen."

    In den schrumpfenden Gebieten wird in Zukunft wahrscheinlich eine wachsende Menge frei werdender Häuser sich schlechter verkaufen lassen. Häuser noch dazu, die in verschiedenen Hinsichten den heutigen Bedürfnissen nicht mehr entsprechen. Doch auch, wenn das die Hausbesitzer oder die Erben der Häuser ärgert, muss das, meint Runrid Fox-Kämper, nicht unbedingt die Sorge der Kommunen sein. Aus kommunaler Sicht könnte das sogar den Vorteil haben, dass Käuferschichten angesprochen werden, die sich ein Häuschen sonst nicht hätten leisten können.

    "Von Dortmund kenne ich es ganz gut, dass jetzt auch Migranten sich Eigentum leisten und in diesen Markt reinziehen und zum Teil auch die Immobilien aufkaufen, die die traditionelle deutsche Klientel nicht haben möchte. Ein bisschen günstiger. Und es gibt eine andere Klientel, die man darauf bringen kann: Viele der 50er-Jahre typischen Siedlungshäuser haben eine kleine Wohnfläche, sie sind vielleicht für eine alleinerziehende Mutter finanzierbar."

    Dennoch wird es zunehmend Aufgabe von Städten und Gemeinden werden, Leerstand und damit einhergehende Probleme möglichst zu vermeiden. Allerdings sind politische Interventionen in Gebieten, in denen jedes kleine Haus seinen eigenen Besitzer hat, durchaus kompliziert, aber, so Runrid Fox Kämper, nicht unmöglich:

    "Es mag Gebiete geben, die sind weiterhin stabil. Da reicht es, dass die Kommunen darauf achten, dass die sich weiter entwickeln. Aber es gibt auch Gebiete, auch wo man sieht, da ist Angebot und Nachfrage nicht so harmonisch. Da muss vielleicht ein bisschen qualifiziert werden, da muss man überlegen, kann man hier die Nachfrage in den Bestand lenken? Die Kommunen graben sich auch selbst das Wasser ab, indem sie immer noch Neubaugebiete ausweisen am Stadtrand. Und gleichzeitig die näher zur Innenstadt liegenden Gebiete aus den 50-ern, die höhlen so langsam aus."

    Gezielte Aufwertungsmaßnahmen von alten Gebieten, das Werben um neue Eigentümergruppen oder auch das Schaffen von Einrichtungen für eine alternde Bewohnerschaft seien dringend von Nöten, so die Stadtforscher. In stagnierenden Regionen sollten sich die kleineren Kommunen dagegen genau überlegen, ob sie neues Bauland für Eigenheimer ausweisen.

    "Weil natürlich mit jedem neuen Wohngebiet am Ortsrand, in den Gebieten, die nicht mehr so viel Zuzug haben, in den Kernen der Dörfer und den alten Gebieten ein Haus leersteht. Und es wird dann immer unattraktiver, wenn ich da auf meiner Scholle sitze, aber kein gelebtes Leben mehr in den Innenstädten ist. Und es lässt sich schon feststellen, dass es zunehmend Kommunen gibt, die das auch verstanden haben und die an ihrer Baulandpolitik etwas ändern. Das ist schwierig, das hat ja auch etwas mit der Konkurrenz unter den Kommunen zu tun. Die Kommune, die zuerst verzichtet auf das Baugebiet, hat mit Recht große Angst, dass die jungen Familien, solange es noch Grundstücke auf der grünen Wiese gibt, in die Nachbarkommune ziehen. Das heißt, es ist ein Thema, das nur in Abstimmung der Kommunen miteinander erfolgreich sein kann."