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Wenn der Arztbesuch zum Luxus wird

Ausgerechnet das US-Gesundheitswesen, einst Paradebeispiel für den humanen amerikanischen Kapitalismus, steht vor dem Kollaps. Ein Blick auf eine aktuelle Statistik genügt. Die Zahl der Amerikaner ohne Krankenversicherung hat sich seit dem Jahr 2000 um 7 Millionen auf insgesamt 47 Millionen erhöht. Immer mehr Amerikaner sterben frühzeitig, weil sie eine ärztliche Behandlung nicht bezahlen können.

Von Heike Wipperfürth | 30.08.2007
    "Did you talk about her emotional component?"

    So hatte sich Amarylis Cortijo ihren Samstagmorgen nicht vorgestellt. Gerade will die Ärztin im Walton Gesundheitszentrum in der South Bronx an einem Pappbecher Kaffee nippen, als zwei Medizinstudenten Alarm schlagen. Eine 23-jährige Patientin, zum ersten Mal in der kostenlosen Sprechstunde, krankhaft fettsüchtig, sei selbstmordgefährdet.

    "Ich habe sie nach ihren Selbstmordabsichten gefragt. Sie sagt, dass sie schon manchmal daran denke, sich umzubringen."

    Die Ärztin rät den Studenten, sofort einen Psychologen zu holen. Und sich so lange mit der Frau zu unterhalten, bis sie Vertrauen zu ihnen fasse. Viel Zeit haben die Studenten dafür allerdings nicht. Crystal Query, eine Kommilitonin, wacht vor der Tür und blickt nervös auf eine lange Liste der Patienten mit Beschwerden aller Art.

    "Wir sehen hier viele Leute mit Bluthochdruck, Diabetes und Geschlechtskrankheiten. Wir machen aber auch Vorsorgeuntersuchungen und erinnern Frauen an ihre Mammographien.Und wir helfen Kranken an billige Medikamente zu kommen. "

    Seit dem frühen Morgen stehen die ersten Patienten unter der himmelblauen Markise des Gesundheitszentrums und klopfen an die Tür. Sie benötigen dringend medizinische Hilfe und Arzneimittel, können sich aber keinen Arztbesuch leisten. Die Medizinstudenten, die hier im Gesundheitszentrum jeden Samstag eine kostenlose Sprechstunde abhalten, sind ihre einzigen Ansprechpartner.

    "Unsere Patienten sind die "working poor" - die arbeitenden Armen. Sie haben einen Job, eine Familie, eine Wohnung, können sich aber keine Krankenversicherung leisten. Und wenn sie in die Notaufnahme eines Krankenhauses gehen, müssen sie über hundert oder sogar mehrere tausend Dollar für die Behandlung bezahlen."

    Ausgerechnet das US-Gesundheitswesen, einst Paradebeispiel für den humanen amerikanischen Kapitalismus, steht vor dem Kollaps. Nach dem Zweiten Weltkrieg schlossen viele Unternehmen freiwillig eine Krankenversicherung für ihre Angestellten ab, da eine Pflichtversicherung als unamerikanisch abgelehnt wurde. Doch die Zeiten haben sich geändert. Immer weniger Unternehmen versichern ihre Angestellten. Andere streichen Stellen, so dass mit der Arbeitslosigkeit auch der Verlust der Krankenversicherung eintritt. Ein Blick auf eine aktuelle Statistik genügt. Die Zahl der Amerikaner ohne Krankenversicherung hat sich seit dem Jahr 2000 um sieben Millionen auf insgesamt 47 Millionen erhöht, das entspricht etwa 16 Prozent der US-Bevölkerung oder gut der Hälfte der deutschen Bevölkerung.

    Und: immer mehr Amerikaner sterben frühzeitig, weil sie eine ärztliche Behandlung nicht bezahlen können.

    "Hier geht es um Leben und Tod. Laut einer Studie des "Institute of Medicine" sterben jedes Jahr 18.000 Menschen, weil sie keine Versicherung haben und deshalb nicht die Pflege bekommen, die sie brauchen. Es ist die acht-häufigste Todesursache in Amerika. Noch häufiger als Diabetes."

    Karen Davis, die Leiterin des Commonwealth Fund, eines bekannten Think Tanks in Manhattan, lässt keinen Zweifel daran, dass Reformen nötig sind. Schuld an der Misere sei das viel zu teure und ineffiziente amerikanische Gesundheitssystem.

    Etwa 60 Prozent der US-Amerikaner sind Mitglieder in betrieblichen Gruppenversicherungen. Der jährliche Beitrag für eine vierköpfige Familie beträgt durchschnittlich 11.500 Dollar, wovon etwa zwei Drittel der Arbeitgeber übernimmt. Die monatliche Belastung liegt also umgerechnet bei gut 240 Euro. Das ist relativ günstig - solange man nicht krank wird: Denn bei jedem Besuch beim Arzt oder in der Apotheke muss ein Teil der Kosten aus eigener Tasche bezahlt werden.

    Wer seinen Job verliert - oder selbstständig werden möchte, hat die Möglichkeit in eine so genannte Individualversicherung zu wechseln. Das jedoch können sich die wenigsten leisten. Der monatliche Beitrag für eine Familie beträgt mindestens 314 Euro plus die Zuzahlungen bei Krankheit. Die amerikanischen Versicherungsprämien gehören damit zu den teuersten der Welt. Allein in den letzten sieben Jahren sind die Beiträge um etwa 87 Prozent gestiegen. In den USA ist Gesundheit zum Luxus geworden.

    "Darunter leiden nicht nur die Nichtversicherten. Auch für Familien, die eine Versicherung haben, sind die hohen Zuzahlungen ein Problem. Immer mehr Amerikaner sind bis über beide Ohren verschuldet - und einige gehen wegen der hohen Arztkosten sogar Pleite. Wir dürfen das Problem nicht noch länger ignorieren."

    Die Wunschliste von Karen Davis ist lang: niedrigere Kosten und bessere Vorsorgemaßnahmen. Ganz oben aber der Wunsch nach einer Pflichtversicherung. Doch selbst wenn die käme, sei da noch ein anderes Problem, so Davis, der akute Mangel an Allgemeinmedizinern und Hausärzten:


    "Wir haben sehr wenig Hausärzte. Viele unserer Ärzte sind Spezialisten. Sie werden Chirurg oder Hautarzt oder Anästhesist, da die viel besser bezahlt werden. Die Allgemeinmedizin wird vernachlässigt, und deshalb haben viele Amerikaner gar keinen Hausarzt mehr. Selbst die Versicherten haben nicht unbedingt einen behandelnden Arzt - und es kann sein, dass sie in die Notaufnahme gehen müssen, wenn sie krank werden."

    Ein Montagmittag in der Notaufnahme des Queens Hospital Center, einem modernen Krankenhaus mit 240 Betten in der Nähe des JFK Flughafens. Notarzt Peter Dittmar wirft einen ungeduldigen Blick auf seine Uhr, während ein Patient am Tropf im Rollstuhl neben ihm vor sich hin dämmert und auf einen freien Platz wartet.

    "Einige Patienten klagen über Schmerzen in der linken Brust. Asthmakranke über Kurzatmigkeit - und dann müssen wir auch noch Schwangere mit Blutungen untersuchen. Andere Patienten werden eingeliefert, weil sie aggressiv geworden sind. Wir entscheiden, ob sie krank sind oder nur zuviel getrunken haben - oder in die Psychiatrie müssen. Wir sind ein öffentliches Krankenhaus und weisen nie jemanden ab. Als Arzt frage ich nie nach einer Versicherung. Die ist mir völlig egal. "

    Dittmar hat Recht: Die Emergency Rooms sind das Sicherheitsnetz der Amerikaner. Weil der US-Kongress vor 21 Jahren ein Gesetz verabschiedet hat, das die Notaufnahmen dazu verpflichtet, jeden Patienten zu behandeln, der zu ihnen kommt.

    Das Resultat dieses Gesetzes? Laut einer Studie des Institute of Medicine müssen Amerikas Notaufnahmen alle 60 Sekunden einen Notfall abweisen und in andere Krankenhäuser umleiten. Der Grund sind lange Schlangen Nichtversicherter mit Gesundheitsbeschwerden aller Art, die die Aufnahmen blockieren - tagaus, tagein. Und das, obwohl auch dieser Behandlung eine Rechnung folgt.

    Mitch Abidor, Leiter der Notaufnahme des Queens Hospital Center, spricht von einem gewaltigen Problem. Rund 60 Prozent seiner Patienten seien nicht versichert - und doch kämen einige von ihnen regelmäßig zur Untersuchung. Für viele Krankenhäuser ist diese Art der sozialen Fürsorge ein finanzielles Desaster. Einige mussten bereits schließen. Auch Abidor rechnet wegen unbezahlter Rechnungen in seiner Abteilung mit hohen Verlusten.

    "Wir wissen, wieviel Geld wir einnehmen. Es ist aber nur ein kleiner Teil dessen, was wir ausgeben. Im Durchschnitt bekommen wir 40 Dollar von den Patienten, die Sie hier sehen. Sie können sich vorstellen, dass wir bei all den Diagnosen und Untersuchungen, die wir hier für unsere Patienten durchführen, großen Verlust machen."

    Von einer Gesundheitsreform ist im Weißen Haus bislang nichts zu spüren. US-Präsident George W. Bush hat den Amerikanern zwar im Januar neue Steueranreize für den Abschluss einer Krankenversicherung versprochen. Doch Niedrigverdienern oder gar Arbeitslosen, die keine Steuern zahlen, ist damit nicht geholfen.

    Immerhin gibt es zwei staatliche Sozialprogramme im medizinischen Bereich. Die Medicare-Versicherung für Menschen über 65 Jahre. Monatlich bezahlen etwa 42 Millionen ältere Amerikaner eine Prämie von mindestens 88,20 Dollar an staatliche oder private Versicherungen. Weitere 52 Millionen bedürftige Amerikaner erhalten Zuschüsse durch das Medicaid-Programm. Unterstützt werden vor allem mittellose alleinstehende Mütter mit Kindern, Schwangere, Behinderte und Aidskranke. Medicaid und Medicare wurden vor 42 Jahren vom amerikanischen Kongress ins Leben gerufen. Die beiden Programme verschlingen jährlich mehr als 600 Milliarden Dollar, vor allem für die Betreuung siecher Menschen in Pflegeheimen und Krankenhäusern.

    Doch nun sollen die Mittel für Medicaid und Medicare um Milliarden Dollar gekürzt werden - vorläufiger Höhepunkt einer Reihe von Sparmaßnahmen im Sozialbereich, die Präsident Bush entschlossen vorantreibt. Eine Fehlentscheidung, warnen Experten. Viele Hausärzte verweigerten schon jetzt armen Patienten die Behandlung, mit der Begründung, dass die Vergütung durch Medicaid unter ihren tatsächlichen Behandlungskosten liege.

    "Für die Untersuchung eines armen Patienten bekommen Hausärzte in New York zwischen zwölf und 44 Dollar. Im Durchschnitt sind es 30 Dollar. Das geht nicht. Das ist finanziell nicht tragbar. Deshalb sehen viele Mediziner keine armen Patienten."

    Ronda Kotelchuck weiß, wovon sie spricht. Als Leiterin der Primary Care Development Corporation, einer Privatfirma in Manhattan, unterstützt sie den Ausbau von Gesundheitszentren in Slums und Armenvierteln. Landesweit wurden in den letzten 40 Jahren über 1.000 Gesundheitszentren erbaut, deren Teams insgesamt über 14 Millionen arme Patienten betreuen. Um Kosten zu sparen, kooperieren Ärzte mit Pflegern, kein Patient bleibt über Nacht und: Schwerkranke werden ins Krankenhaus überwiesen.

    Auch Banken unterstützen den Ausbau der Gesundheitszentren durch zinsgünstige Kredite. Rund 172 Millionen Dollar, so Ronda Kotelchuck, stellten sie ihnen in den letzten 14 Jahren zur Verfügung.

    "Als wir 1993 unsere Firma gründeten, gab es hier fast gar keine Behandlungsmöglichkeiten für Arme. Wir haben uns lange überlegt, wie wir das am besten ändern können. Wir haben dann den paar Gesundheitszentren, die hier waren, Geld geliehen, damit sie expandieren und neue Praxen bauen konnten. Das hat prima geklappt."

    Während Gesundheitsexperten wie Kotelchuck pausenlos nach neuen Lösungen suchen, haben sich Politiker seit mehr als einem Jahrzehnt vor einer Reform des maroden US-Gesundheitssystems gedrückt. Doch durch seine harte Haltung hat George Bush seine Gegner eher mobilisiert. Selbst Parteifreunde versuchen, an Bush vorbei, eine Lösung zu finden, um die Zahl der nicht versicherten Amerikaner zu reduzieren.

    "From the state capital. This is governor Arnold Schwarzenegger with another weekly report ... "

    Die Führung hat ausgerechnet der Republikaner und kalifornische Gouverneur Arnold Schwarzenegger übernommen. Als er im Januar nach einem Skiunfall mit einem gebrochenen Bein vor das Mikrofon humpelte, deutete sich sein Umdenken bereits an:

    "In Kalifornien muss jeder eine Krankenversicherung haben. Wenn Sie sich keine erlauben können, bekommen Sie staatliche Unterstützung!"

    Sein ehrgeiziger Plan ist ein Ansporn für andere US-Bundesstaaten: Illinois, Tennessee und Pennsylvania, aber auch New Jersey und New York drängen auf Gesundheitsreformen. Setzt sich sein Plan auch bei ihnen durch, würde Schwarzenegger praktisch von unten eine Pflichtversicherung für alle Amerikaner einführen.

    Um die Versicherungspflicht einzuführen, bedarf es allerdings mehrerer Milliarden Dollar. Hierin liegt das Problem. Schwarzenegger verlangt, dass Firmen mit mehr als neun Mitarbeitern höhere Steuern zahlen sollen, wenn sie ihren Angestellten keine Krankenversicherung anbieten. Dieses Geld fließe dann in einen öffentlichen Versicherungstopf. Nur so könne der Schutz der 6,6 Millionen unversicherten Kalifornier finanziert werden. Ob die demokratische Mehrheit im kalifornischen Regionalparlament den Plan verabschiedet, ist nicht klar. Auch viele Mittelständler und Kleinunternehmer schütteln den Kopf. Mehr Steuern zahlen, das wollen sie nicht.

    Der erste Gesundheitsreformer ist Schwarzenegger allerdings nicht. Diese Ehre gebührt dem ehemaligen Gouverneur von Massachusetts, Mitt Romney. Auch er ist ein Republikaner - und aktueller Präsidentschaftskandidat. Der ehemalige Unternehmensberater hat eine Pflichtversicherung in Massachusetts vorbereitet, die Schwarzeneggers Plan sehr ähnlich ist. Ab dem 1. Juli werden die meisten nicht versicherten Bürger des Neuenglandstaates monatliche Beiträge zwischen 37 und 105 Dollar an Krankenkassen abführen müssen - oder ein Bußgeld bezahlen.

    "We need to break the silence of 46/47 million people who are worried sick ... "

    Dass die enorme Zahl der Nichtversicherten oberstes Thema der nächsten Präsidentschaftswahl wird, ist bereits klar. Die demokratischen Kandidaten Barack Obama und John Edwards haben beispielsweise versprochen, im Fall eines Wahlsieges eine Pflichtversicherung einzuführen. Auch Hillary Clinton setzt darauf - obwohl sie damit vor 14 Jahren kläglich gescheitert ist.

    "These are the great moral imperatives of our time! "

    Aus der Gesundheitskrise Kapital schlagen wollen zahlreiche Händler und Unternehmer. Allen voran: Steve Case, der Dotcom Superstar, der den Internetanbieter AOL zum Weltruhm führte. Der 48-Jährige mit dem Bubengesicht gründete vor zwei Jahren die Firma Revolution. Sie investiert Millionen in Firmen rund um den Bereich Gesundheit, zum Beispiel in einen Vertrieb von Yogafilmen und in ein Heilbad. Dafür nennt er einen guten Grund:

    "Laut einer Studie des Commonwealth Fund haben 80 Millionen Amerikaner im letzten Jahr 1000 Dollar aus der eigenen Tasche in die Gesundheitsvorsorge gesteckt. Gesundheitsprodukte für Konsumenten sind eine riesige Marktlücke."

    Ein paar Millionen Dollar hat er auch in den Ausbau von so genannten Billigpraxen namens "Rediclinic" gesteckt. Die ersten ihrer Art, in Städten wie Atlanta, Tulsa und New York, wurden bereits eröffnet, 500 sollen es in drei Jahren sein.

    "Als Vater war ich frustriert, wenn mein Kind am Wochenende Fieber bekam und ich auf einen Arzttermin bis Montag warten oder in die Notaufnahme gehen musste. Banken haben jetzt auch am Wochenende auf - warum nicht auch Ärzte? "

    Im Aufsichtsrat von Revolution steht Case der ehemalige Außenminister Colin Powell zur Seite. Gemeinsam planen sie den Ausbau der Billigpraxen in Drogerien und Supermärkten wie Wal Mart - mit 315 Milliarden Dollar Umsatz der größte Einzelhändler der Welt. "Schnell und günstig" lautet die Devise. Schmerzt der Kopf, juckt die Haut, kratzt der Hals - dann geht man für 59 Dollar zur "Get Well" Untersuchung in die Rediclinic. Wobei das medizinische Personal in der Regel nur aus Krankenschwestern und Pflegern besteht. Ein Arzt ist nur via Telefon oder Email erreichbar.

    Selbst Krankenhäuser wollen sich auf dem Markt der Billig-Gesundheit etablieren. Zum Beispiel in Somers Point, einem kleinen Städtchen in New Jersey. Die Coladosen sind bis zu drei Meter hoch gestapelt, Spülmittel, Obst und Gemüse aller Art so weit das Auge reicht, doch in der überdimensionalen Halle des Shoprite Supermarktes kann man sich auch gegen Ohrenschmerzen und Grippe behandeln lassen, seit der Krankenhausbetreiber Atlanticare hier im letzten Herbst seine erste Billigpraxis namens "Healthrite" eröffnet hat.

    Vor der Praxis, so groß wie ein Imbissstand, verkündet eine Preistafel das Angebot. Die Behandlung von Halsschmerzen und einer Nebenhöhlenentzündung kostet 55 Dollar, Grippe 65 Dollar. Ein Schnäppchen im Vergleich zu den 95 Dollar, die ein Amerikaner für einen Arztbesuch bezahlen muss, wenn er keine Versicherung hat. Ein Blick in das winzige Healthrite Behandlungszimmer zeigt: Es wird auf vieles verzichtet. Hier gibt es keinen Arzt oder teure Geräte. Patrick Eye, ein Pfleger, der die Untersuchungen durchführt, wäscht sich in einem Waschbecken die Hände. In seiner Kitteltasche trägt der freundliche junge Mann mit dem schütteren Haar ein Stethoskop und ein Blutdruckmessgerät. Einen Ohrenspiegel hat er auch. Damit leuchtet der Pfleger in den Gehörgang und auf das Trommelfell. Er hat alles, was nötig ist - nicht mehr. Und wenn er nicht mehr weiter weiß, bittet er einen Arzt im Krankenhaus um Hilfe.

    "Wir sehen hier viele Nebenhöhlenentzündungen, Halsschmerzen und so - alles, was vom Hals an nach oben geht. Wir behandeln auch Ausschlag und Hautentzündungen, eben all das, wofür man so zum Hausarzt geht. Aber wir konzentrieren uns auf die Entzündungen der Atemwege."

    Eine Cocktailparty in der eleganten Villa des Commonwealth Fund auf der East Side Manhattans. Etwa 100 Gesundheitsexperten stehen in kleinen Grüppchen und prosten sich zu. Leiterin Karen Davis steht in der Mitte und redet. Sind die Billigpraxen eine Bereicherung des Gesundheitssystems? Nein, meint sie, nicht wirklich.

    "Ihr größter Nachteil ist, dass sie die Fragmentierung des amerikanischen Gesundheitssystems verschlimmern. Besser wären Kliniken, die sich in Teamarbeit um das Wohlergehen der Patienten kümmern. Die den ganzen Patienten behandeln - und nicht nur ein kleines Problem."

    Millionen nichtversicherter US-Amerikaner würden sich so eine Versorgung wünschen. In Los Angeles wurde im Februar ein Querschnittgelähmter von einem Krankenhaus in einem Slum ausgesetzt. Ohne Rollstuhl, ohne Stock. Nur seinen Katheterbeutel hat er dabei. Das Krankenhaus wollte ihn loswerden. Weil der Obdachlose keine Krankenversicherung hatte - und seine Rechnung nicht bezahlen konnte.