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Wenn der Kopf den Magen nicht versteht

Medizin. - Ob wir hungrig sind oder nach dem Essen dick werden, das bestimmen vor allem unsere Hormone - sie geben Signale des Körpers zurück an das Gehirn. Dabei kann aber einiges schief gehen, wie Experten am Beispiel Übergewicht herausfanden. Auf dem 10. Kongress der Europäischen Endokrinologischen Gesellschaft in Berlin berichten sie darüber.

Von William Vorsatz | 06.05.2008
    Es gibt eine Steuerzentrale für Energie im Gehirn. Sie verarbeitet verschiedene Signale. Viele davon kommen aus dem Bauchraum. Magen und Darm geben ständig Hormone ab und veranlassen so Hunger, Sättigung oder Fettaufbau. Aber auf diese Nachrichten ist kein Verlass mehr. Professor Andreas Pfeiffer leitet die Endokrinologie an der Berliner Charite und forscht am Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke:

    "Wir sind an sich so programmiert, dass wir unsere Nahrung möglichst effektiv verwenden. Dass man möglichst dick wird. In der Evolution war wahrscheinlich nicht wichtig, dass man zu essen aufhört. Es war viel wichtiger, dass man isst."

    So fehlen uns einige körperliche Sicherungen, die eine Gewichtszunahme automatisch begrenzen könnten. Wenn Menschen dick werden, reagieren sie beispielsweise nicht mehr so gut auf das Hormon Leptin, das den Appetit zügelt. Aber auch die veränderten Essgewohnheiten machen dem modernen Menschen zu schaffen.

    "Das zweite Signal, was für die Nahrungsverwertung sehr wichtig ist, ist immer das Insulin. Wir brauchen Insulin für die normale Verwertung, aber viel Insulinfreisetzung steuert eben auch die Adipositas."

    So sind Nahrungsmittel, die eine geringere Insulinausschüttung auslösen, günstiger. Fleisch etwa oder pflanzliche Proteine benötigen kein Insulin zur Verdauung. Zucker dagegen setzt viel Insulin frei und macht dadurch dick. Die Kombination von Zucker und Proteinen wiederum fördert die Gewichtszunahme weiter. Am stärksten aber nimmt zu, wer Zucker und Fett kombiniert. Das aufgenommene Fett hindert außerdem die Zellen, daran, Energie zu verbrennen. Professor Johan Auwerx forscht an der Medizinischen Fakultät der Louis Pasteur Universität Straßburg zur Fettverbrennung in den Mitochondrien, den Kraftwerken in den Zellen. Er hat mit seinem Team verschiedene Studien mit dicken Mäusen durchgeführt und auch Menschen untersucht. Je dicker diese waren, desto schlechter verbrannten sie die Energie:

    "Ihre Mitochondrien funktionieren normalerweise schlecht. Sie sind nicht in der Lage, die Energie zu nutzten, die sie mit der Nahrung aufnehmen. Deshalb wird man dick, baut Fett auf. Wir haben geschaut, bei welchen Nährstoffen und herausgefunden, dass besonders Fett die Arbeit der Mitochondrien hemmt. Und so kommt man in einen Teufelskreis. Indem die Mitochondrien weniger aktiv werden und man immer dicker wird, weil man weniger aktive Mitochondrien hat."

    Hier hilft nur eine radikale Umstellung auf fettarme Nahrung und viel mehr Sport als bei normalgewichtigen Menschen. Neue Studien belegen jedoch, das Abnehmen nicht nur einen Willensfrage ist. So haben die Molekularbiologen erst im letzten Jahr eine entscheidende genetische Veränderung entdeckt, die in der Bevölkerung weit verbreitet ist und zu Fettsucht führen kann. Mit den neuen Erkenntnissen über erbliche und Umwelteinflüsse wachsen aber auch die Chancen, das Übergewicht einzudämmen. Die Forscher wissen heute beispielsweise, dass Schlafmangel den Appetit anregt. Andreas Pfeiffer:

    "Das kommt eben zusammen mit den hormonellen Reaktionen auf die Nahrung. Also wir können da doch vieles verbessern, wenn wir versuchen, das besser zu verstehen und eine Nahrung zu machen, die sozusagen günstiger ist für die Hormonausstattung, die wir haben."

    Neue Medikamente nutzen Hormone, wie sie vom Dünndarm als Sättigungssignal produziert werden. Damit wird beispielsweise der Appetit von Diabetikern gezügelt. Und auch die Chirurgen gehen neue Wege. Bei stark Übergewichtigen verkleinern sie nicht mehr einfach nur den Magen. Denn so bleibt der Appetit, die Operierten greifen oft zu kalorienhaltigen Getränken oder kleinen energiereichen Häppchen. Beim Magenbypass wird die Nahrung dagegen in den oberen Dünndarm umgeleitet und erzeugt dort ein Sättigungsgefühl.