Archiv


Wenn der Löwe brüllt

Generationswechsel bei der Preisverleihung in Venedig: Sofia Coppola, Tochter des berühmten Francis Coppola, gewann den Goldenen Löwen für "Somewhere". Die Preisverleihung hielt ansonsten keine Überraschungen parat.

Von Josef Schnelle |
    "Papa, denk Dir nur. Ich habe den goldenen Löwen von Venedig gewonnen." Dieses Telefongespräch dürfte es in den letzten 24 Stunden irgendwann gegeben haben. Den Anruf ging ins Napa Valley in Kalifornien, wo Francis Ford Coppola seiner Tochter Sofia vermutlich doch die Daumen gedrückt hatte für ihren großen Auftritt bei der Filmbiennale von Venedig, wo gestern Abend Jurypräsident Quentin Tarantino die Entscheidung über einen der wichtigsten Filmpreise der Welt, den Leone D´Oro verkündete.

    Fast ging die Verkündigung ein bisschen unter im Genuschel und Sprachengewirr. Aber es stimmt: Sofia Coppola tritt mit "Somewhere" als in die Jahre gekommenes Wunderkind in die Fußstapfen ihres berühmten Vaters, der alle nur denkbaren Ehrungen als Filmemacher eingeheimst hat und sich inzwischen doch eher dem Weinanbau widmet. Eine große Überraschung war der Preis für Sofia Coppolas Protokoll der großen Leere, die das Innere eines berühmten Schauspielers beherrscht nicht. Der gelangweilt nur in Hotels lebt, es sei denn, seine Tochter kommt zu Besuch und legt sich mit ihm mit cooler Sonnenbrille an den Rand des Pools.

    Dass autobiographische Erfahrungen des Filmkinds Sofia in den Film eingeflossen sind, hat sie längst berichtet. Ihr Generalthema Entfremdung hat sie auch schon seit "Lost in Translation" gefunden. Coppolas Film führte schon seit Tagen sämtliche Favoritenlisten an gemeinsam mit Alex de Iglesias der mit "Ballada triste de trompeta" den besonders renommierten zweiten Hauptpreis für die beste Regie und auch noch den Drehbuchpreis bekam.

    Auch ein Preis für den 72-jährigen Altmeister Jerzy Skolimowsk war erwartet worden. Für "Essential Killing" der einen Mann auf der Flucht im verschneiten polnischen Wald zeigt, gab es den Spezialpreis der Jury. Die Reihenfolge der drei Filme wäre in jeder denkbaren Kombination möglich gewesen. Allerdings kann man böse sagen, dass ein bisschen Zeitungslektüre sämtliche Jurysitzungen hätte ersetzen können. Man kann aber auch die schöpferische Eigenleistung der Jury vermissen, die sich offenbar zu keinem dezidierten Statement aufraffen konnte. Weder sperrige ästhetisch anstrengende Dramen wie der Kunstwestern "Meeks Cutoff" von der Amerikanerin Kelly Reichard noch die merkwürdig stilisierte russische esoterisch-schamanische Seelenkreuzfahrt "Ovsyanki" von Alexsei Fedorchenko, die beiden anspruchsvollsten Film des Festivals hatten da eine Chance. Auch das knallige Unterhaltungskino aus Asien mit großen Namen wie Tsui Hark bildet sich nicht ab in den Entscheidungen der Jury.

    Dabei hatte es das Festival zumindest in der Nachtschiene beherrscht und Tarantino gilt schließlich gemeinhin als besonderer Befürworter von Kung-Fu und Märchenfilmen aus Fernost. Mit "Kill Bill" hat er dieser Vorliebe auch ein filmisches Denkmal gesetzt. Aber vielleicht ist es ja auch nur eine Kritikerphantasie, dass die Jury gefälligst entweder die Persönlichkeit ihres Präsidenten abbildet, als eine Fortsetzung seines Werkes als kritischer Beobachter eines Filmjahrgangs.

    Auch der fromme Wunsch, die Jury möge in ihren Entscheidungen das jeweilige Festival kommentieren, nachschmecken und ihm neue Wege weisen, wird selten erfüllt. Und auf einen zweiten Blick entsprechen die Preise mit denen die 67 Filmbiennale gestern Abend zu Ende ging, in ihrer Vorhersehbarkeit, man kann auch sagen Langeweile durchaus dem gediegenen Mittelmaß, das in diesem Jahr Trumpf war.

    Biennale Präsident Paolo Barrata lobt in seinem Schlusswort Festivaldirektor Marco Müller nach einer lustlos absolvierten glanzlosen Preisverleihung schließlich so sehr über den grünen Klee, dass man das Gefühl bekommen konnte, unter dem Tisch habe er schon die Rücktrittserklärung Marco Müllers gereicht bekommen, der nach italienischen Zeitungsberichten seinen Vertrag bis 2011 nicht bis zum bitteren Ende erfüllen will. Venedig spielt natürlich nicht in einer Liga mit den Festivals von Cannes und Berlin, die auch Marktplätze der Filmwirtschaft sind. Unter dem aktuellen Problem, dass die großen Hollywoodfilme nicht mehr auf Festivals gestartet werden, leidet auch Venedig. Außerdem hat sich deren Anzahl durch die Krise deutlich verringert.

    Nun zeigen alle (auch Locarno, auch Toronto) Nachwuchsfilme und suchen nach unentdeckten Talenten. Die Chance, dass für Venedig ein paar große Filme übrig bleiben, werden also nicht mehr steigen. Wieder einmal ist eine neue Standortbestimmung des immerhin ältesten Filmfestival der Welt notwendig.