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Wenn der Verlust von Angehörigen tödlich wirkt

Wenn ein Partner verstirbt, dann heißt es Abschied nehmen. Für viele Menschen ein schmerzhafter Prozess. Wenn ein Hinterbliebener wenig später ebenfalls verstirbt, spricht man vom Witweneffekt. Ein Doktorand der Hochschule Hannover ist dem Phänomen wissenschaftlich ein Stück näher gekommen.

Von Michael Engel | 31.07.2012
    Christian Schultze-Florey ist 25 Jahre alt. Einen Trauerfall in der Familie hat es nicht gegeben. Vielmehr wählte der junge Medizinstudent das ungewöhnliche Thema seiner Doktorarbeit aus wissenschaftlichen Gründen.

    "Ein Modell, an dem man wirklich gut den Einfluss von Stress auf Immunsystem, auf Neurobiologie, untersuchen kann, ist ein Modell, wo der Stressor auftritt, der vorher nicht da war, und das ist die Trauer."

    Christian Schultze-Florey ging nach Kalifornien, weil dort ein Institut existiert, das die molekularen Zusammenhänge von Psyche und Körper analytisch umfassend erkundet. 64 Menschen, die gerade einen Trauerfall erlebt hatten, konnten für die Studie gewonnen werden.

    "Was wir im Vorfeld wissen, ist, dass Personen, die schwer erkrankte Familienangehörige pflegen, dass die erhöhten Entzündungswerte im Blut zeigen. Was jedoch noch nicht klar war, ist, dass auch Trauer ein potenter Stressor ist, der das Immunsystem disreguliert, und dass wir auch da das "Interleucin 6" finden."#

    "Interleucin 6" ist ein Botenstoff, der Entzündungen fördert, am Ende sogar zu Arteriosklerose und Herzinfarkt führen kann. Tatsächlich wurde der Doktorand fündig. Die Blutanalysen zeigten bei den Trauernden im Einzelfall sogar dreifach erhöhte Werte. Doch nur die Hälfte der Studienteilnehmer war betroffen. Bei den anderen blieb alles im normalen Bereich.

    "Was uns dann insbesondere interessiert hat mit dem Wissen, dass dieser "widow hood effect" ja nicht wirklich jeden betrifft. Dass wir geschaut haben, was könnten Gene da für einen Einfluss haben? Und da haben wir uns das "IL-6-Gen" insbesondere angeschaut. Und dort eine Genvariante. Gerade diejenigen, die eine Genvariante zeigten, wie die geschützt vor diesem Trauerstress waren."

    Es hängt also insbesondere von den Genen ab, ob sich der Trauerstress negativ auf die Gesundheit auswirkt. Mit der psychischen Intensität der empfundenen Trauer hatte das in jedem Fall nichts zu tun. Der naheliegende Schluss: Es war nicht das "gebrochene Herz" des Trauernden, sondern eine Genvariante, die zu der vermehrten Ausschüttung entzündungsfördernder Hormone führte. Bei der Untersuchung hatten 50 Prozent der Betroffenen eine Genvariante, bei der erhöhte Werte von "Interleucin 6" auftraten. Diese Menschen reagierten auf Stressfaktoren wie Trauer besonders empfindlich.

    "Nun ist es ganz wichtig zu betonen, dass Trauer ein ganz normaler und wichtiger Zustand der Psyche ist, um dieses Verlustereignis zu verarbeiten. Was die Studie allerdings aussagt, ist, dass die erhöhten Krankheitsraten, die wir nach Trauer sehen, dass es hierfür einen Pathomechanismus gibt."

    Wer erhöhte Interleucin-Werte im Blut hat, sollte den Stress reduzieren, so der angehende Mediziner: Trauer ist notwendig, Abschied nehmen, in den Alltag zurück finden. In manchen Fällen kann es aber wichtig sein, dass dieser Abschied fachlich begleitet wird, zum Beispiel mit Psychotherapie, sagt Dr. Birgit Carstensen, Trauertherapeutin an der Medizinischen Hochschule Hannover. Dr. Birgit Carstensen:

    "Extreme wären, dass sich jemand komplett zurückzieht, sich isoliert, dass die Menschen niemanden mehr an sich heranlassen. Auch Leute, mit denen sie vorher guten Kontakt hatten. Oder dass jemand Gewohnheiten, Abneigungen des Partners oder Verstorbenen annimmt, die überhaupt nicht seinem Naturell entsprechen. Da würden wir auch sagen, oh, das bekommt jetzt doch eine krankhafte Komponente."

    Krankenkassen bezahlen die Psychotherapie, wenn Trauernde Symptome der Überlastung entwickeln. Unterstützung bieten bundesweit auch Hospizdienste mit ihren "Trauercafés" oder "Trauergruppen" in der Selbsthilfe. Einige Reiseveranstalter bieten sogar spezielle "Trauerreisen" an - als Brücke zurück in den Alltag.