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Wenn die Blase vibriert

Technik. - Wer seine Harnblase etwa durch eine Krebsoperation verliert, gibt damit auch die Kontrolle über den Urinfluss ein für alle mal ab. Die künstliche Harnblase, die Münchener Techniker entwickelten, soll das Manko wieder beseitigen. Das Gerät sammelt nicht nur den Urin, sondern misst auch den Pegeln im Reservoir und meldet per Vibration, wenn es Zeit ist, das "stille Örtchen" aufzusuchen. Der Strom dafür wird drahtlos geliefert.

    Von David Globig

    Man ist zuerst leicht irritiert: das Modell der künstlichen Harnblase, das Professor Helmut Wassermann stolz vorführt, sieht nicht so aus, als ob es überhaupt in einen menschlichen Körper passt. Denn das, was der Dozent der Fachhochschule München da in seinen Händen hält, hat etwa die Abmessungen eines kleinen Fahrradsattels. Den meisten Platz nimmt dabei ein Kunststoffbeutel für den Urin ein.

    Bei diesem Anschauungsmodell sieht man den wichtigen Bereich des Reservoirs, das ist dieser Polyurethan-Beutel. Der fasst 700 Milliliter, das ist der größte Bereich. Im mittleren Bereich ist der Steuerungsbereich, und im unteren Bereich ist der Aktorik-Bereich. Aktorik beinhaltet in diesem Fall die beweglichen Teile, also Pumpe und Ventil.

    Steuerungselektronik, Pumpe und Ventil stecken in einem Gehäuse aus biokompatiblem Kunststoff, also Kunststoff, den der Körper nicht abstößt. Das Gehäuse ist so geformt, dass die künstliche Blase genau in das so genannte kleine Becken passt. Von außen wird also nichts von ihr zu sehen sein. Es führen auch keine Anschlüsse aus dem Bauch heraus. Das Implantat wird nur mit den Harnleitern verbunden und mit der Harnröhre, über die der Urin schließlich abfließt. Strom soll die künstliche Blase drahtlos erhalten mit Hilfe einer Induktionsspule, die unter die Haut eingesetzt ist. Der Patient legt einfach alle paar Tage ein kleines Gerät auf seinen Unterbauch und lädt so die Akkus auf. Die liefern unter anderem die Energie für die Elektronik.

    Die Elektronik hat einmal die Aufgabe, den Füllstand zu erkennen, das geht über eine Sensorik, die mit implantiert ist. Der Füllstand kann gemessen werden über Druck und redundant über Ultraschall. Und die Elektronik hat die Aufgabe, auch die Kapazität der Energieversorgung zu messen, zu kontrollieren und auszugeben. Auch über das Gerät, das wir von extern auf den Bauch auflegen, haben wir die Möglichkeit, die Kapazität der Energieversorgung zu messen, dadurch ein Signal zu bekommen, wann wir wieder aufladen müssen.

    Wie aber bekommt der Träger des Implantats mit, dass der Druck auf seiner künstlichen Blase allmählich zu groß wird und er bald eine Toilette aufsuchen sollte? Helmut Wassermann und seine Mitarbeiter haben sich da von Mobiltelefonen anregen lassen.

    Unser Konzept sieht vor, dass wir einen Vibrationsalarm haben, also durch seismische Bewegungen, so wie beim Handy, wird - ohne dass gleich die Umwelt hört, dass ich den Harndrang habe, - wird das Signal gegeben: die Kapazität des Harnreservoirs ist langsam erschöpft. Wenn ich dann am gewissen Örtchen bin, lege ich den dafür geeigneten Sender auf meine Bauchdecke - und mittels eines Signals, was also auch wieder durch Spulen intern aufgenommen wird, wird der ganze Entleerungsprozess initiiert.

    Für Notfälle soll es auch eine Stopp-Taste am Sender geben, die den Urinfluss sofort unterbricht. Die einzelnen Bestandteile der künstlichen Harnblase - Urinbeutel, Elektronik, Pumpen und Ventil - haben Helmut Wassermann und seine Mitarbeiter ausgiebig getestet. Nach insgesamt zehn Jahren Entwicklungszeit soll die künstliche Harnblase jetzt endlich beweisen, dass sie praxistauglich ist.

    Der Entwicklungsstand ist der, dass wir einen Prototyp zur Zeit bauen, der für den Tierversuch gedacht ist. Der Tierversuch ist also der nächste Versuchsabschnitt, in den wir gehen werden, der notwendig ist für die Zulassung. Anschließend kommen die klinischen Versuche. Von der technischen Seite her soll das System Ende 2004 fertig sein. Den Zahn versuchen gerade die Mediziner mir zu ziehen, die sagen, das wird mit den Tierversuchen und klinischen Versuchen noch etwas länger dauern, die gehen von einer Zahl 2005 aus.

    Und das hängt nicht zuletzt auch davon ab, wie bald sich Geldgeber finden - ohne die geht nämlich gar nichts. Denn allein die Tierversuche werden mehrere hunderttausend Euro kosten.